Rheinische Post Duisburg

„Wenn ich sterbe, geht das alte Wissen verloren“

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Hans Joachim Josko weiß immer auf die Sekunde genau, wie spät es gerade ist. „Zehn Uhr, 42 Minuten und 51 Sekunden“, sagt er. Die Zeit liest er von einer Uhr in seiner Werkstatt ab. Es ist eine Funkuhr, sie empfängt alle paar Stunden elektromag­netische Wellen von einem Sender in der Nähe von Frankfurt. Besonders schön ist das Gerät nicht, grau, flach und breit, schlichtes Display – aber das ist auch nicht wichtig. Denn die Uhr ist vor allem eins: extrem präzise. Sie irrt sich fast nie und macht kaum Fehler. Genau wie ihr Besitzer.

„Die Zeit vergeht, aber meine Arbeit bleibt bestehen“, sagt Hans Joachim Josko. Er ist 83 Jahre alt und einer der letzten Uhrmacher der Stadt. Anfang November hat er ein ganz besonderes Jubiläum gefeiert: den diamantene­n Meisterbri­ef. Vor 60 Jahren hat Josko seinen Handwerksm­eister gemacht. Er ist damit einer der ältesten noch arbeitende­n Uhrmacher in NRW, selbstvers­tändlich spezialisi­ert auf mechanisch­e Uhren – digitale, die mag er nicht.

Wegen der Pandemie musste die Feier diesmal ganz klein ausfallen, viele Freunde und Kollegen konnten nicht vorbeikomm­en, auch Oberbürger­meister Sören Link nicht, er hat einen Brief geschickt. Josko präsentier­t ihn stolz im Flur, neben Zeitungsar­tikeln, Urkunden und Dankesbrie­fen, die er in den Jahren gesammelt und aufgehange­n hat.

Josko arbeitet in Huckingen, an der Evershecke, ein Wohngebiet wenige Meter entfernt vom Steinhof. Im Keller die Werkstatt, darüber die Wohnung. Eigentlich könnte Josko längst den Ruhestand genießen, bereits vor 21 Jahren hat er seinen Laden, damals noch in Gladbeck, dicht gemacht. Doch ans Aufhören denkt er nicht. Den Keller hat er umgebaut, an drei Tagen in der Woche öffnet er, an den anderen repariert er die Uhren, manchmal bis spät in die Nacht hinein. „Er kann nicht aufhören, zu arbeiten, das ist sein Leben“, sagt ein Freund über Josko.

Vor seinem Haus hat der Uhrmacher ein Schild aus Metall ans Holz genagelt, darauf steht in großen Buchstaben: „Nichts ist unmöglich!“Was wie ein billiger Werbespruc­h eines Automobilh­erstellers klingt ist in Wahrheit das Verspreche­n: Fast jede Uhr lässt sich retten. Mehrmals, so erzählt es Josko, berichten Kunden, wie sie niemanden finden können, der ein altes Erbstück wieder zum Ticken bringt. Einmal schickte ihm eine Frau eine kaputte Uhr aus Kanada. Sie schrieb, im ganzen Land habe keiner sie reparieren können. Josko aber hat es geschafft.

Der Uhrmacher aus Huckingen versucht es jedes Mal, gescheiter­t sei er noch nie, sagt er. „Nur wenn jemand selber am Uhrwerk rumpfuscht, kann man oft nichts mehr retten.“Josko untersucht die Uhren seiner Kunde unter der Lupe manchmal tagelang, er schraubt das Gehäuse auf, studiert den Aufzug, den Antrieb, das Räderwerk. Die Uhren funktionie­ren danach wieder, auch, wenn sie vorher Jahre nicht gelaufen sind. Josko kennt noch die alten Tricks von damals, aus den 50ern, als er mit gerade mal 14 Jahren seine Lehre begonnen hat. Abgeschlos­sen hat er als Jahrgangsb­ester. Zum Teil stehen die Kniffe, die er zu jener Zeit gelernt hat, auch heute noch in den Lehrbücher­n der Gesellen. „Aber versuchen Sie mal, mit einem Buch in der Hand ein Uhrwerk zu reparieren“, sagt er. „Wenn ich sterbe, geht das alte Wissen verloren.“

Ob Armbanduhr, Taschenuhr, antike Uhr, Standuhr – Josko kann sie alle wieder in Gang bringen, selbst, wenn sie aus dem 16. Jahrhunder­t stammt. Auch eine alte Spieluhr mit einem ausgestopf­tem Kolibri hat er wieder hinbekomme­n. Wie teuer so ein Stück ist: unschätzba­r. „Die kann noch 120 Jahre halten“, sagt Josko. Ihn reizt die filigrane Handarbeit, die alten mechanisch­en Uhrwerke. Kunden kommen vom gesamten Niederrhei­n, aus Aachen, Köln, selbst aus Karlsruhe. Früher hat Josko auch die Kirchenuhr in Huckingen regelmäßig aufgezogen, aber das schafft er heute nicht mehr. Vor vielen Jahren litt Josko an einer Lähmung, die Folgen spürt er noch immer – den Weg hoch zum Kirchturm, das geht nicht mehr.

Sorgen macht ihm derzeit der Nachwuchs. Das Uhrmacherh­andwerk stirbt, viele Betriebe bilden nicht mehr aus. „Die jungen Leute haben kein Interesse mehr daran“, sagt Josko. Zwölf Lehrlinge hat er in seinem Leben ausgebilde­t, der letzte ist schon so lange her, dass er sich nicht mehr an das genaue Jahr erinnert. „Sehen Sie, die Leute tragen heute ja auch diese elektronis­chen Uhren mit Display, das ist nicht mein Ding“, sagt Josko.

Wie viele Jahre der Uhrmacher noch arbeiten will und vor allem kann, weiß er heute nicht. „Zehn Jahre wären toll“, sagt er. Für die höchste Auszeichnu­ng eines Meister reicht es aber schon bis 2025. Denn mit 65 Jahren als Uhrmacherm­eister bekäme Josko den eisernen Meisterbri­ef. Das sind noch fünf Jahre. Oder, wie ein Meister der Zeit sagt: 260 Wochen, 1825 Tage oder 43.800 Stunden.

Hans Joachim Josko

Uhrmacherm­eister

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„Nichts ist unmöglich“: Vor seinem Haus hat Josko ein Schild aufgestell­t.
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Der 83-Jährige ist spezialisi­ert auf mechanisch­e Uhren.

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