Rheinische Post Duisburg

Union lehnt leichteren Zugang zu Hartz-IV ab

Arbeitsmin­ister Heil (SPD) will das System zur Grundsiche­rung reformiere­n. Die Gewerkscha­ften freut es, der Wahlkampf beginnt.

- VON JAN DREBES

BERLIN Lange hat die SPD mit den Folgen der Hartz-Reformen gehadert, jetzt will Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil eine grundsätzl­iche Kurskorrek­tur des Hartz-IV-Systems anstoßen – und per Gesetz umsetzen. Doch die geplanten Lockerunge­n von Sanktionen stoßen bereits auf Widerstand in der Bundestags­fraktion von CDU und CSU. Sozialpoli­tiker Peter Weiß (CDU) machte am Sonntag deutlich, dass derzeit geltende Vereinfach­ungen für Hartz-IV-Bezieher nach dem Ende der Corona-Pandemie nicht entfristet werden sollten.

Heil will, dass den Beziehern der Grundsiche­rung künftig keine außergewöh­nlichen Härten mehr durch Sanktionen bei Pflichtver­letzungen drohen. Ein als Reaktion auf die Corona-Pandemie eingeführt­er, vereinfach­ter Zugang zur Grundsiche­rung für Arbeitssuc­hende soll zudem „verstetigt“werden. Das geht aus dem Gesetzentw­urf hervor, der unserer Redaktion vorliegt. Im „Spiegel“hatte Heil angekündig­t: „Die Grundsiche­rung soll ein soziales Bürgergeld werden, für das sich niemand schämen muss, der es braucht.“

Die Sanktionsp­raxis der Jobcenter hatte das Bundesverf­assungsger­icht bereits im November 2019 nach jahrelange­r Kritik stark eingeschrä­nkt. Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“hatten die Jobcenter seit 2005 unkooperat­ive Hartz-IV-Empfänger disziplini­ert, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehten. Das Verfassung­sgericht entschied am 5. November 2019, dass monatelang­e Minderunge­n um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgeset­z unvereinba­r sind. Die Jobcenter dürfen die monatliche­n Leistungen aber weiter um bis zu 30 Prozent kürzen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen.

Seit dem Urteil wurde die alte Sanktionsp­raxis bereits durch Weisungen des Arbeitsmin­isteriums und der Bundesagen­tur entschärft. Durch die Corona-Pandemie gab es ohnehin weniger Sanktionen. Nun -

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! will Heil dauerhaft gesetzlich regeln, dass monatliche Minderunge­n 30 Prozent des Regelbedar­fs nicht überschrei­ten. Dies soll laut dem Entwurf gelten, wenn Leistungsb­erechtigte ohne wichtigen Grund wiederholt ihre Pflichten verletzt oder persönlich­e Meldetermi­ne nicht wahrgenomm­en haben. Bei jeder Leistungsm­inderung soll geprüft werden, ob sie im Einzelfall eine außergewöh­nliche Härte darstellt. Viel gestritten wurde jahrelang über schärfere Sonderrege­lungen für Unter-25-Jährige – diese sollen nach Heils Plänen nun entfallen.

Für einen erleichter­ten Zugang zur Grundsiche­rung in der Corona-Krise ist derzeit eine Prüfung der Jobcenter zu Wohnung und Vermögen ausgesetzt – nämlich, wie groß die Wohnung der Betroffene­n ist und ob diese Ersparniss­e bis zu 60.000 Euro haben. Während einer Karenzzeit von zwei Jahren sollen nun dem Entwurf zufolge Vermögen bis zu der genannten Summe geschützt und Mietkosten nicht auf ihre Angemessen­heit geprüft werden. Aus dem Ministeriu­m hieß es: „Wir wollen einen Sozialstaa­t auf Augenhöhe, der mehr Sicherheit bietet und neues Vertrauen schafft.“So sollten jene, die vorübergeh­end auf Arbeitssuc­he sind und durch die Grundsiche­rung aufgefange­n werden, darauf vertrauen können, sich vorerst nicht um das Ersparte und die Wohnsituat­ion sorgen zu müssen.

Für die SPD sind diese Reformplän­e von zentraler Bedeutung. Sie sind Teil mehrerer Vorschläge, mit denen sich die Sozialdemo­kraten mehr als 15 Jahre nach Inkrafttre­ten der Hartz-IV-Reformen von der Agenda 2010 des damaligen Bundeskanz­lers Gerhard Schröder (SPD) abwenden wollen. Vor gut einem Jahr hatte die SPD bei ihrem Parteitag nicht nur Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an die Bundesspit­ze gewählt – und mit ihnen einen deutlichen Linkskurs eingeschla­gen. Die Partei hatte auch ein neues Sozialstaa­tskonzept verabschie­det, das Eskens und Walter-Borjans’ Vorgängeri­n Andrea Nahles angestoßen hatte. Für die Union ist das ein rotes Tuch.

CDU-Sozialexpe­rte Peter Weiß sagte, die Union sei gesprächsb­ereit, die coronabedi­ngten Sonderrege­lungen zu verlängern, wenn es nötig sei. „Wir stehen aber weiterhin zu dem Grundsatz ,Fördern und Fordern’ und lehnen auch eine Entfristun­g dieser Sonderrege­lungen ab.“Begeistert reagierten die Gewerkscha­ften auf Heils Pläne. DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte: „Das ist ein sozialpoli­tischer Meilenstei­n.“Damit könne der jahrelang schwelende Konflikt um das Hartz-IV-System, das von vielen als diskrimini­erend erlebt werde, entschärft werden.

Angesichts der Kritik aus der Union ist jedoch absehbar, dass Heils Gesetzentw­urf bis zur Wahl im September kaum Chancen auf Umsetzung haben dürfte. Olaf Scholz, Finanzmini­ster und SPD-Kanzlerkan­didat, stellt sich daher bereits demonstrat­iv an die Seite seines Kabinettsk­ollegen. „Die Reform der Grundsiche­rung ist richtig und wichtig“, sagte Scholz unserer Redaktion. „Noch unter Andrea Nahles hat die SPD entspreche­nde Ideen entwickelt. Bundesarbe­itsministe­r Heil hat dazu nun einen guten Vorschlag vorgelegt, der bürgerfreu­ndlich und unbürokrat­isch ist“, sagte Scholz. Er zeigte sich überzeugt: „Die Bürgerinne­n und Bürger wollen eine Sozialstaa­t, auf den sie sich verlassen können.“Das oberste Ziel bleibe es, Bürgerinne­n und Bürger durch gezielte Unterstütz­ung und passgenaue Weiterbild­ungsangebo­te möglichst rasch in Arbeit zu bringen, so Scholz. (mit dpa)

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