Lourdes mit anderen Augen betrachtet
In Zeiten, in denen alle vom digitalen Unterricht träumen, erscheint in den kommenden Tagen ein analoger Dinosaurier unter den Lexika, der weiterhin putzmunter ist und nicht ans Aussterben denkt. Das ist der klassische Rechtschreib-Duden im ebenfalls klassisch knallgelbem Einband. Allerdings: Diesmal richten sich die 720 Seiten an den Lesenachwuchs. Der sogenannte „Schülerduden“entspricht den amtlichen Regeln, hebt allerdings die Duden-Empfehlungen hervor, wenn Schreibvarianten möglich sind. Und wenn es ganz knifflig wird, gibt es auch Infokästen. Insgsamt sind im neuen Schülerduden 32.000 Stichwöter versammelt, 1000 mehr als in der Ausgabe zuvor. Lothar Schröder
Info
Schülerduden Rechtschreibung. 720 Seiten, zehn Euro
Klassik Die Welt vor Bach war mitnichten grau, sondern überraschend bunt. Gewiss, Bach strahlte als einzigartiges Genie, unter dessen Sonne viele verbrannten. Doch da gab es viele Vorgänger und Kollegen, deren Musik noch heute herrlich frisch, individuell, fortschrittlich wirkt – denken wir etwa im Bereich der Kirchenund Orgelmusik nur an Buxtehude, Tunder, Scheidemann, Böhm, Bruhns und viele andere.
Und denken wir an Matthias Weckmann (1619 bis 1674), den aus Thüringen stammenden, langjährigen Organisten an St. Jacobi in Hamburg. Gelernt hat er alles in Dresden, wohin ihn sein Vater früh gebracht hatte. Dort unterrichteten ihn lauter Fachleute und am Ende sogar Heinrich Schütz, den Weckmann später seinen „väterlichen Freund“nannte.
Überhaupt verstand sich Weckmann mit Kollegen ausnehmend gut, er hatte keinerlei Allüren, besaß keinen Hochmut. Dabei erwies er sich selbst als Könner – und wie erfinderisch er als Komponist war, kann man auf einer wundervollen
Essay Was für eine tolle Wiederentdeckung! Und zu verdanken ist sie dem Lilienfeld-Verlag, der Joris-Karl Huysmans Betrachtung über das Phänomen Lourdes wieder hervorgeholt hat. Das Buch von 1906 ist nicht die soundsovielte Betrachtung über den berühmten Wallfahrtsort, das Pilgertreiben und die vermeintlichen Wunderheilungen. Seine Beschreibung ist der wortgewaltige, distanzierte Blick eines Autors, der gleich freimütig bekennt, „niemals“den Wunsch verspürt zu haben, Lourdes zu sehen. So beschreibt er den armseligen Ramsch an Rosenkränzen und Kerzen, beobachtet Menschen, die das Wunderwasser in ihren Tassen aus Weißblech in einem Schluck runterstürzen und danach mit den Kindern schimpfen. Huysmans, der kurz nach Erscheinen des Buches 59-jährig gestorben ist, gelingt es, kritisch zu schreiben, ohne zu denunzieren – ein altes, neues Meisterwerk.
Lothar Schröder
Lourdes – Mystik und Massen
Der Orgelkomponist Matthias Weckmann
neuen CD des Labels Aeolus Music nachhören. León Berben hat jetzt sämtliche Werke Weckmanns auf zwei CDs eingespielt und zwei prächtige Orgeln aus Weckmanns Einflussbereich genutzt: die 1637 gebaute Stellwagen-Orgel in der Lübecker Jakobikirche sowie die Scherer-Orgel der Stephanuskirche von Tangermünde.
Diese Instrumente machen es uns leicht, die Farbigkeit, kontrapunktische Kreativität und formale Strenge Weckmanns zu bewundern, etwa in den Variationswerken über die Choräle „Nun freut Euch, lieben Christen g’mein“oder „Gelobet seystu Jesu Christ“. Übrigens sind die Orgeln ausgezeichnet mikrofoniert, man erlebt kostbare Details und zugleich das Atmen des Kirchenraums.
Wolfram Goertz