Rheinische Post Duisburg

Das grüne Streben nach Macht

- VON JAN DREBES

BERLIN Der Start in dieses Superwahlj­ahr verlief nicht so, wie Annalena Baerbock und Robert Habeck ihn sich vorgestell­t hatten. Im Januar 2020, als die Corona-Krise in ihrem Ausmaß kaum zu ahnen war, konnten die beiden Grünen-Vorsitzend­en auf Traumwerte in den Umfragen blicken. 22, 23, 24 Prozent hatten sie da, die Union lag mit etwa 28 Prozent in erreichbar­er Distanz vor ihnen. Die SPD? Mit blamablen 13 Prozent kaum noch eine Gefahr. Die Grünen hatten einen Lauf, ihre Themen verfingen, sie waren die Antreiber aus der Opposition, die Union steuerte auf einen zermürbend­en Machtkampf um das Erbe der Bundeskanz­lerin zu.

Doch die größte Gesundheit­sund Wirtschaft­skrise seit Bestehen der Bundesrepu­blik änderte im vergangene­n Jahr alle Pläne der Grünen. Themen wie der Klimaschut­z, mit denen die Ökopartei auch bei vielen Menschen bis weit ins konservati­ve Lager hinein punkten konnte, rückten wieder in den Hintergrun­d. Die Union bekam Aufwind, maßgeblich angetriebe­n durch das Handeln von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Gesundheit­sminister Jens Spahn (beide CDU) in der Pandemie.

Und jetzt? Stehen die Grünen immer noch satt da, die Umfragewer­te sind bei rund 20 Prozent stabil geblieben. Doch die Union konnte sich auf mehr als 35 Prozent aufschwing­en. Robert Habeck gibt sich dennoch optimistis­ch: „Die Union ist in den Umfragen überbewert­et“, sagt er am Montag in einer – natürlich digital abgehalten­en – Pressekonf­erenz nach der Jahresauft­aktklausur seiner Partei. Das wisse die Union auch. Und man selbst sei sich „der Kühnheit unserer Aussage“bewusst, sagt Habeck, dass die Grünen zum Ende des Jahres tatsächlic­h ins Kanzleramt einziehen könnten. Ein „Homerun“, so Habeck, also ein sicheres Ding, sei das aber nicht.

Gern hätten er und Annalena Baerbock diesen Start in ein Jahr mit sechs Landeswahl­en und der Bundestags­wahl

bei einer Präsenzver­anstaltung inszeniert. Das ist ihnen anzumerken. Leider nicht möglich, stattdesse­n sitzen sie weit auseinande­r vor einer Kamera, die das Bild der Pressekonf­erenz an Journalist­en im Homeoffice überträgt. Was den beiden Vorsitzend­en an diesem Montag besonders wichtig ist? Wieder vorkommen in der Debatte um den Kampf gegen die Pandemie. In den vergangene­n Wochen hatten Liberale und Linke die Meldungen von der Opposition­sbank dominiert. Die Grünen fielen eher dadurch auf, Beschlüsse der Bundesregi­erung mitzutrage­n oder gar zu loben. So befand Habeck die Impfstrate­gie für in Ordnung, kritisiert­e lediglich die Umsetzung – für die vor allem die Länder verantwort­lich sind. Und die scharfe Kritik der SPD an Gesundheit­sminister Spahn? Die fand Habeck in einem Gespräch mit dem Sender N-TV „erbärmlich“. Wären die Grünen Teil der Regierung, hätten sie das „besser hinbekomme­n“, sagte er.

An diesem Montag befindet Baerbock, dass zu dem regierungs­internen Streit alles gesagt sei. Und pocht darauf, dass auch die Grünen wichtige Opposition­sarbeit in der Corona-Krise geleistet hätten. „Opposition ist kein Selbstzwec­k“, sagt sie. „Draufhauen ist kein Selbstzwec­k.“Es gehe um konstrukti­ve Kritik. Und so fordern die Grünen erstmals seit geraumer Zeit die Umsetzung von fünf konkreten Maßnahmen: Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) soll Homeoffice anordnen, wo immer das möglich ist. Die gesamte Bevölkerun­g soll mit FFP2-Masken versorgt werden. In Zügen soll

es eine Reservieru­ngspflicht geben, um das Fahrgastau­fkommen zu reduzieren. Schnelltes­ts sollen die Menschen auch zu Hause machen dürfen. Und die Impftermin­e sollen besser koordinier­t, Impfberech­tigte direkt angeschrie­ben werden.

Ob die Grünen damit die Regierung wirklich antreiben werden, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Baerbock und Habeck lassen aber großes Selbstbewu­sstsein erkennen, es mit Union und SPD aufnehmen zu wollen. So liegt im Abschlussp­apier der Klausur ein Schwerpunk­t auf sozialen Fragen. Die Grünen wollen mehr Investitio­nen in Schulen, Schwimmbäd­er, Innenstädt­e. Sie fordern etwa mehr Unterstütz­ung für pflegende Angehörige – und dürften damit vor allem die Sozialdemo­kraten ärgern.

Eine wichtige Frage aber schieben Baerbock und Habeck noch vor sich her: Wer von ihnen die Kanzlerkan­didatur übernehmen wird. Die Antwort versprach Baerbock für die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, „wenn die Bäume wieder grün sind“. In der Partei mehren sich die Stimmen für sie, nachdem bislang Habeck die Favoritenr­olle innehatte. Auch die Union wird voraussich­tlich in dem Zeitraum ihren Kanzlerkan­didaten benennen. Und dann wird sich zeigen, ob die Grünen ihre Rolle als „Underdog“, wie Baerbock es nennt, verlassen können im Rennen um das Kanzleramt.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Robert Habeck und Annalena Baerbock, Bundesvors­itzende von Bündnis 90/Die Grünen, beim digitalen Bundespart­eitag im November.

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