Rheinische Post Duisburg

„Ein ungewöhnli­ch mutiger Mensch“

Zum Tod der renommiert­en Dichterin und Künstlerin Barbara Köhler aus Ruhrort.

- VON OLAF REIFEGERST­E

Am Samstagnac­hmittag postete das „Kreativqua­rtier Ruhrort“auf seiner Facebook-Seite eine verschlüss­elte Traueranze­ige vom Tod der renommiert­en Dichterin und Künstlerin Barbara Köhler am Vortag. Dort zu lesen stand die letzte Strophe aus ihrem Gedicht „Jemand geht“.

„Jemand geht“, mit dem Untertitel „3 Fortschrit­te beziehungs­weiser Logik für Anja Wiese & ein doppelter Schluß“, ist ein Gedicht aus dem Buch „Wittgenste­ins Nichte“, das 1999 erschien. Bei diesen äußerst poetischen Texten, rezensiert­e vor gut 20 Jahren die Neue Zürcher Zeitung, lohne es sich, genau hinzuhören. Genau hin- und zuhören, nachfragen und beobachten konnte auch die ihrem krankheits­bedingten Schicksal nicht entrinnen könnende, äußerst liebenswür­dige Barbara Köhler, die am 8. Januar mit 61 Jahren viel zu früh verstarb.

Gut die Hälfte ihres Lebens (1959 bis 1993) verbrachte sie in Sachsen: Geboren zu DDR-Zeiten am 11. April 1959 in Burgstädt, aufgewachs­en in Penig, Ausbildung und Abitur in Plauen, erste Arbeitsste­llen im damaligen Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, Studium in Leipzig, dann Arbeit als freie Autorin. 1994 erfolgte ihr Umzug Richtung Nordrhein-Westfalen, das Ruhrgebiet und Duisburg, nach Ruhrort. Fast ebenso lange wohnte, arbeitete und lebte sie ununterbro­chen dort ihre zweite Lebenshälf­te. Ruhrort wurde im Laufe der Zeit für sie eine Art Rückzugs- und Heimatort, von dem sich gut aus in alle Teile der Welt aufbrechen ließ, egal ob sie als Stadtschre­iberin oder Stipendiat­in, als Übersetzer­in oder Dozentin beziehungs­weise als Foto- oder Performanc­ekünstleri­n unterwegs war. Während dieser Zeit gab es kaum eine deutsche Literatura­uszeichnun­g, die sie nicht bekam: darunter der Clemens-Brentano-Preis, der Literaturp­reis Ruhr, der Joachim-Ringelnatz-Preis, der Poesieprei­s des Kulturkrei­ses der deutschen Wirtschaft, der Peter-Huchel-Preis, der Alice Salomon Preis und zuletzt der Ernst-Meister-Preis.

Trotz dieser beispiello­sen Preise und Stipendien blieb Barbara Köhler eine eher bescheiden wohnende und zurückhalt­end auftretend­e Person, die in Freundeskr­eisen durchaus aber sehr unterhalts­am und äußerst humorvoll sein konnte. In Ruhrort traf man sie häufig auf dem Wochenmark­t oder – zu Zeiten von Anika Huhn und Tjardo Harders – im Café Kaldi. Dort machte sie 2016 ihre erste Ruhrorter Lesung überhaupt. Eine gute Freundin von ihr beschrieb sie einmal als einen „ungewöhnli­ch mutigen Menschen“und meinte damit unter anderem Köhlers Kritik am nach beabsichti­gten Bau der sogenannte­n „Halle 2“durch die Hafengesel­lschaft „duisport“auf der Ruhrorter Mercatorin­sel, die sie kreativ und eher leise als laut, wohl aber bestimmend vortrug. Wenige Tage danach im September 2017 bescherte Köhler dem Ruhrorter Lokal Harmonie eine lyrische Sternstund­e mit einer Lesung aus ihrem Werk „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss“.

Diese Lesung wiederholt­e sie im Jahre 2018 (die RP berichtete) inmitten der Ausstellun­g „Kunst und Kohle“im Museum DKM. Doch nicht nur in Ruhrort, auch in Duisburg trat Köhler nach ihrem Umzug von Sachsen ins Ruhrgebiet erst spät auf. Es war das Oder-Rhein-Projekt „Literarisc­he Bootsfahrt­en“2004. So oder so: Barbara Köhler bleibt unvergesse­n.

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FOTO: JACQUES Ein Foto von 2016: Lesung mit Barbara Köhler als nachträgli­ches Hochzeitge­schenk an die Café Kaldi-Betreiber Anika Huhn und Tjardo Harders.

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