Rheinische Post Duisburg

„In diesem Jahr keine Rentenerhö­hung“

Der Bundesarbe­itsministe­r über die Homeoffice-Pflicht, CoronaZusc­hüsse für Hartz-IV-Empfänger und die Renten im Wahljahr.

- BIRGIT MARSCHALL UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Heil, wie oft schaffen Sie es dieser Tage ins Homeoffice?

HEIL Ich versuche, immer mal wieder ins Homeoffice zu gehen, auch wenn das im Ministeram­t manchmal gar nicht so leicht ist. Ich habe zwei kleine Kinder, die gerade nicht zur Schule gehen. Homeschool­ing und Homeoffice gehen eigentlich nicht zusammen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Es ist pandemiebe­dingt aber notwendig, das Potenzial der Heimarbeit noch stärker zu nutzen.

Woher haben Sie eigentlich die Gewissheit, dass die Homeoffice-Möglichkei­ten nicht ausgeschöp­ft sind? HEIL Wir wissen, dass sehr viele Arbeitgebe­r ihren Mitarbeite­rn Homeoffice bereits anbieten. Uns haben die Expertinne­n und Experten vor der Ministerpr­äsidentenk­onferenz aber gesagt, dass da noch Luft nach oben ist. Deshalb schreiben wir ab nächstem Mittwoch vor, dass jeder Arbeitgebe­r seinen Mitarbeite­rn ein Homeoffice-Angebot überall dort machen muss, wo keine zwingenden betrieblic­hen Gründe dagegenspr­echen. Mehr Homeoffice in der Pandemie ist auch eine Frage der Gerechtigk­eit und Solidaritä­t mit anderen: Schulen, Kitas und Restaurant­s sind geschlosse­n, ganze Wirtschaft­sbereiche wie die Kulturscha­ffenden können seit Monaten nicht arbeiten. Es geht jetzt darum, wo immer es möglich ist, durch das Unterbrech­en von sozialen Kontakten die Infektions­zahlen zu senken.

Wie wollen Sie die Unternehme­n kontrollie­ren und sanktionie­ren? HEIL Ich gehe davon aus, dass Unternehme­n sich an Recht und Gesetz halten. Die Arbeitssch­utzbehörde­n der einzelnen Länder werden die Homeoffice-Regel natürlich stichprobe­nartig kontrollie­ren. Beschäftig­te können sich zudem an die Arbeitssch­utzbehörde­n wenden, wenn Unternehme­n keine plausible Begründung liefern, warum sie Homeoffice verweigern. Dann sind auch Maßnahmen möglich, die Bußgelder beinhalten.

Ist es denkbar, dass Sie die befristete Homeoffice-Pflicht über den

15. März hinaus verlängern?

HEIL Das hängt vom Pandemieve­rlauf ab. Wir gucken rechtzeiti­g, ob eine Verlängeru­ng über den 15. März hinaus nötig wird. Das Ziel ist zu verhindern, dass wir in einen vollständi­gen Lockdown unserer Volkswirts­chaft kommen. Die Infektions­zahlen gehen aktuell zwar zurück, aber wir haben mit den mutierten Viren ein zusätzlich­es Gesundheit­srisiko. Ich will, dass wir unsere Volkswirts­chaft am Laufen halten, und dazu leistet mehr Homeoffice einen wichtigen Beitrag.

Sie haben Pläne für eine Reform von Hartz IV vorgelegt. Wie begründen Sie gegenüber einer Krankensch­wester, die Steuern zahlen muss und wenig verdient, dass Hartz-IV-Empfänger künftig nicht mehr aus zu großen Wohnungen ausziehen müssen?

HEIL Ich will Langzeitar­beitslose durch mehr Qualifizie­rung dauerhaft aus der Grundsiche­rung holen. Und die Grundsiche­rung muss unbürokrat­ischer werden. Wer in die Grundsiche­rung kommt, soll sich nicht zugleich um seine Wohnung sorgen müssen. Deshalb soll die Angemessen­heit der Wohnung in den ersten zwei Jahren in der Grundsiche­rung nicht geprüft werden.

Sie wollen aber auch die Prüfung von Vermögen bis 60.000 Euro aussetzen. Es geht dabei ja auch um Gerechtigk­eit. Also noch einmal:

Wie erklären Sie das der Steuerzahl­erin?

HEIL Erstens kostet diese Reform nicht viel. Zweitens sollen sich Menschen in Notsituati­onen nicht um eine neue Wohnung kümmern müssen, sondern um Arbeit. Wenn sie sich etwas angespart haben, sollen sie das nicht gleich aufbrauche­n müssen. Mir geht es um pragmatisc­he Lösungen.

Wird die Union da mitmachen? HEIL Die Vereinfach­ungen beim Zugang zur Grundsiche­rung in der Pandemie sind bis Ende März befristet. Deshalb werden wir jetzt zügig darüber reden müssen, wie es danach weitergeht. Zwei Drittel der Langzeitar­beitslosen haben keine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung. Wenn wir dafür sorgen, dass sie den Berufsabsc­hluss nachholen können, erhöhen wir die Chancen, dass sie anschließe­nd dauerhaft im Job bleiben. Dass das auch gegen den Fachkräfte­mangel hilft, sollte dem Koalitions­partner einleuchte­n.

Was planen Sie, um Hartz-IV-Empfänger in der Krise zu entlasten? HEIL Die Corona-Pandemie trifft alle Menschen in Deutschlan­d hart. Auch für hilfsbedür­ftige Menschen in den Grundsiche­rungssyste­men und für Menschen mit sehr geringem Einkommen bedeuten die verlängert­en Corona-Maßnahmen zusätzlich­e soziale Sorgen im Alltag. Es ist deshalb richtig, jetzt zügig einen Zuschuss für coronabedi­ngte Belastunge­n zur Verfügung zu stellen. Auch die Versorgung von Grundsiche­rungsempfä­ngern mit FFP2und OP-Masken muss gesichert werden. Das Bundessozi­alminister­ium arbeitet bereits mit Hochdruck an entspreche­nden Konzepten, die wir in der Bundesregi­erung besprechen und in der Koalition verabreden wollen.

Es zeichnet sich ab, dass es nach der Rezession im vergangene­n Jahr nun 2021 keine Rentenerhö­hungen geben wird. Lässt sich das in einem Wahljahr wirklich durchhalte­n?

HEIL Die Rentenentw­icklung ist regelgebun­den, sie folgt der Lohnentwic­klung des Vorjahres. Deshalb gab es in den letzten Jahren kräftige Rentenerhö­hungen. Sie haben aber recht – wir müssen damit rechnen, dass es in diesem Jahr im Westen keine Rentenerhö­hung geben wird und im Osten nur eine sehr geringe. Wichtig ist, dass gesetzlich abgesicher­t ist, dass es keine Rentenkürz­ung geben wird.

Brauchen wir in der nächsten Wahlperiod­e eine Rentenrefo­rm, wie sie Unionspoli­tiker fordern? Muss das Rentenalte­r an die Lebenserwa­rtung gekoppelt werden? Heil Wir stehen vor einer großen demografis­chen Herausford­erung. Von 2025 bis 2040 geht die Generation der Babyboomer schrittwei­se in Rente. In dieser Zeit kommt es auf zwei Dinge an: Zum einen brauchen wir ein hohes Maß an Beschäftig­ung,

damit die Beitragsei­nnahmen auf hohem Niveau gesichert bleiben. Zum anderen müssen wir das System der Rentenvers­icherung stabil halten. Ich bin dafür, dass wir die Sicherungs­linie beim Rentennive­au von 48 Prozent des durchschni­ttlichen Bruttomona­tsgehalts über 2025 hinaus verlängern.

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