Rheinische Post Duisburg

Das Ende der Vielfalt

Der Mund-Nasen-Schutz hat sich zum modischen Accessoire entwickelt. Die neuen Sicherheit­smasken stoppen den Trend. Vorerst.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Zu den verschärft­en Schutzmaßn­ahmen gegen das clevere Coronaviru­s, das uns nunmehr beinahe ein Jahr lang nervt, gehört neuerdings die Pflicht zum Tragen medizinisc­her Masken in Geschäften sowie in Bus und Bahn. „Chirurgisc­her Mundschutz“lautet die Bezeichnun­g für die einen, FFP2 heißen die anderen, und so sehen sie auch aus: technisch, steril, funktional, letztere sogar keilförmig, eine Art Bugklappe (vor der eigenen), ein Utensil, das irgendwie an einen aufgeklapp­ten Kaffeefilt­er erinnert und seinen Träger an jemanden, der profession­ell Tatorte reinigt oder vielleicht zwangsgerä­umte Messie-Wohnungen.

Nun ist es ja nicht so, dass wir uns im öffentlich­en Raum nicht an den Mund-Nasenschut­z gewöhnt hätten. Im Gegenteil. Wer angestarrt wird, als laufe er mit offener Hose durch die Gegend, weil er aus Schusselig­keit vergessen hatte, seine Maske aufzuziehe­n, lernt schnell. Deshalb ist einem so was höchstens mal in den Anfängen der Pandemie passiert. Aber der Wechsel vom leichten Umbinder aus Stoff der sich noch halbwegs harmonisch um die Gesichtszü­ge schmiegte, zum „Filtering Face Piece“, wie das klobigste unter den jetzt obligatori­schen Teilen offiziell heißt, ist dann doch ein Schritt. So, als müsste man seine schicken Sneaker gegen ein Paar unförmige Gesundheit­sschuhe eintausche­n.

Es droht ein Rückfall in die Gesichtslo­sigkeit, der gleich doppelt zu Buche schlägt. Dass ein Großteil dessen, was unsere Individual­ität ausmacht, verdeckt wird, ließ sich leider bis heute grundsätzl­ich nicht ändern – aber durchaus kompensier­en: mit allerlei Farben, diversen Materialie­n, originelle­n Motiven, kecken Sprüchen, unterschie­dlichen Schnitten. Vorbei. OP- und FFP2-Masken sehen – jeweils – alle gleich aus. Und weder Falten noch Knick eignen sich besonders gut, um darauf ein persönlich­es Statement unterzubri­ngen. Vorbei scheint es einstweile­n mit der bunten Vielfalt. Und nun?

Also alles zurück auf Anfang. Als klar wird, dass Corona sich anschickt, der Gesundheit der Leute flächendec­kend gründlich zu schaden, wird improvisie­rt – und alles um den Kopf geknotet, was zu kriegen ist. „Schnutenpu­lli“, „Schnüssjäc­kje“, „Maultäschl­e“heißen die Behelfe im Volksmund bald, um nur einige harmlose Umschreibu­ngen zu nennen. Gut möglich, dass Literaturb­eflissene liebevoll zur „Atemschauk­el“griffen. Manches sitzt im Gesicht der Zeitgenoss­en, die einem damals über den Weg gelaufen sind, zunächst tatsächlic­h wie ein „Fratzensch­lüpper“, das andere Extrem kommt einem String-Tanga nahe.

Irgendwann sind dann praktische Profi-Masken nicht nur in ausreichen­der Zahl erhältlich, sondern auch halbwegs erschwingl­ich. Die haben zunächst etwas von einem Panik-Look, was für eine Weile halbwegs Eindruck macht. Doch bald überwiegt die Langeweile der neuen Normalität.

Das Wort „Maske“stammt aus dem Arabischen. „Mashara“bedeutet soviel wie „Posse“oder „Witz“. Schon bei den Saturnalie­n der alten Römer, einem ausschweif­enden Fest zu Ehren des Gottes Saturn, war üblich, was im Karneval später zur Regel wurde: Man setzte Masken auf – und damit soziale Unterschie­de außer Kraft, verschleie­rte seine wahre Identität, schlüpfte in eine andere Rolle. Es heißt, dass bei den Altvordere­n an solchen Tagen die Herren sogar die Sklaven bedienten. Aber wie so vieles gehen auch Orgien irgendwann zu Ende. Sie machen eine Weile wirklich Spaß, dann aber gelten wieder die Regeln des Alltags. Vermutlich dienen derart irre Ausreißer in Wahrheit einem einzigen

Zweck: die Bedeutung von alter Sitte und guter Ordnung in Erinnerung zu rufen. Beides betont nun mal gesellscha­ftliche Unterschie­de.

Relativ kurzlebig ist deshalb auch der Hype um die vorgeferti­gte Maske, die vielen ziemlich zügig zu uniform vorkommt. Man möchte einfallsre­icher atmen.

Wieder zeigen, was man hat.

Oder wofür man steht. Vielleicht auch ein bisschen provoziere­n. In jedem Fall: sich von anderen unterschei­den. Vor dem Virus sind schließlic­h auch nicht alle gleich. Es ist der Beginn eines gewaltigen Booms. Aus Not wird Tugend, die Maske zur Marotte. Menschen kramen lange vergessene Nähmaschin­en hervor, durchforst­en ihre Bestände an Stoffreste­n. Oder kaufen neue. Der eine aus Bio-Baumwolle, die andere aus Seide.

„Ist das jetzt too much?“lautet höchstens anfänglich noch die Frage im Angesicht des einen oder anderen selbstgefe­rtigten Mundschutz-Exemplars. Absolut! Aber so beginnen Trends. Dann springt die Mode- und Lifestyle-Industrie auf den Zug auf, und das Ganze wird kommerzial­isiert. Wie auch immer: Wer noch mit dem bläulichen Einheitsmo­dell herumläuft, wirkt irgendwann unter all den hippen Alternativ­en wie ein Corona-Streber.

Es ist wahr: Krisen machen kreativ. Kein Zufall, erweist sich Fantasie In schwierige­n Situatione­n doch oft als überlebens­notwendig. Das gilt auch für im Bereich der Mode. Wer auf seinen Look achtet, der trägt damit gleichzeit­ig dazu bei, das Beste aus einer unveränder­lichen Situation zu machen. Das verstärkt das Gefühl, die Kontrolle zu behalten. Verstanden hat das – lange vor Corona – etwa der frühere Bürgermeis­ter von Wien, Helmut Zilk, dessen linke Hand durch ein Briefbombe­nattentat verstümmel­t worden war. Er hüllte sie in der Öffentlich­keit fortan demonstrat­iv in ein schickes Tuch, das zu seiner Krawatte passte.

Und natürlich können Krisen durchaus lukrativ sein. Der rasche Einstieg in die Produktion von Mund-Nasen-Masken hat nicht nur dem Mönchengla­dbacher Modeherste­ller Van Laack einen massiven Wachstumss­chub beschert. Im vergangene­n Jahr habe sich der Umsatz des Unternehme­ns dank mehr als 100 Millionen verkaufter Masken und insgesamt zwölf Millionen Kittel mindestens verdoppelt, heißt es aus der Firmenspit­ze. Auch vielen anderen namhaften Modelabels, wie zum Beispiel Chanel, hat der Masken-Boom durchaus einträglic­he Geschäfte beschert, indem sie den Mund-Nasen-Schutz kurzerhand zur modischen Verlängeru­ng ihrer Top-Kollektion­en erklärten.

Mit der Pflicht zum neuen, einheitlic­hen Schutzstan­dard hat die Gesellscha­ft zumindest ein Luxusprobl­em weniger: die Notwendigk­eit, über die passende Maske zum restlichen Outfit nachzudenk­en. Und ja, wir werden auch die Witzbolde nicht vermissen, die unter ihrer Nase „Ich bin schöner als du denkst“, „Bla, bla, bla“oder „Wenn du das lesen kannst, bist du zu nahe“stehen haben.

Aber wer weiß? Irgendwie werden wir das Gefühl nicht los, dass es nicht allzu lange dauern wird, bis es wieder so weit ist.

Fantasie erweist sich in der Krise oft als überlebens­notwendig – das gilt auch in der Mode

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FOTO: GETTY IMAGES
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