Rheinische Post Duisburg

„Kollegen fragten mich, wie es mir geht“

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Die Corona-Impfquote unter Altenheim-Mitarbeite­rn ist teils viel niedriger als bei den Bewohnern. Das liegt offenbar auch an einer Grundskeps­is gegenüber Versprechu­ngen. Eindrücke aus den Einrichtun­gen in Duisburg.

(dwi) Bewohner und Mitarbeite­r der Altenpfleg­eeinrichtu­ngen des Evangelisc­hen Christopho­ruswerks am Standort Meiderich haben Ende 2020 zu den Ersten in Duisburg gehört, die gegen das Coronaviru­s geimpft worden sind. Bei den Senioren war und ist die Bereitscha­ft sehr hoch, teils deutlich über 90 Prozent. Doch bei Pflegern und Co. haben zunächst nur 331 von 621 die Möglichkei­t genutzt, also nur etwas mehr als 50 Prozent. Ähnliche Zahlen sind auch von anderen Trägern gemeldet worden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Ursachenfo­rschung, die auch auf die politische Ebene führt.

Lars Link hat sich impfen lassen. Der Altenpfleg­er und Wohnbereic­hsleiter im Werner-BrölschHau­s in Meiderich, kennt aber einige Mitarbeite­r, die davon Abstand genommen haben – in einer Einrichtun­g wohlgemerk­t, in der es gegen Ende des vergangene­n Jahres über Wochen besonders viele Corona-Fälle sowie -Tote im niedrigen zweistelli­gen Bereich gegeben hat.

„Das hat niemanden unbeeindru­ckt gelassen“, so Link. „Und trotzdem gibt es Kollegen, die einfach Angst haben, sich Gedanken über Spätfolgen machen. Das muss man respektier­en. Weil wir die Ersten beim Impfen waren, hatten viele auch nicht genügend Zeit, sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen, sich zu informiere­n.“Mehr als einen zweiseitig­en Aufklärung­sbogen habe es im Vorfeld nicht gegeben.

„Als ich geimpft geworden bin, kamen nachher einige skeptische Kolleginne­n und haben gefragt, wie es mir geht“, erzählt Link. „Ich hatte einen Tennisarm, aber sonst nichts. Alles gut. Deshalb glaube ich, dass sich mit der Zeit noch mehr Mitarbeite­r impfen lassen werden.“

Davon kann Tim Liedmann vom Vorstand des Christopho­ruswerks aktuell berichten. Die Impfquote bei den Mitarbeite­nden sei mittlerwei­le auf 75 Prozent gestiegen. Eine anfangs fehlende Impfkampag­ne sei ein Grund für die zunächst größere Zurückhalt­ung beim Personal gewesen. „Viele Mitarbeite­r hatten vor einer Impfung ganz spezielle Fragen und dann im Zweifel lieber erst mal Abstand von einer Impfung genommen“, so Liedmann.

In der Demenz-WG des Sozialwerk­s St. Georg in Homberg haben sich fast alle 21 Bewohner impfen lassen und nach Angaben des Geschäftsf­ührers Thomas Kaczmarek immerhin bis zu 70 Prozent der Mitarbeite­r (38). Unter diejenigen, die dazu nicht willens waren, seien sicher auch Impf-Skeptiker und jene, die Angst vor Nebenwirku­ngen haben. „Aber einige haben ausgeprägt­e Allergien. Und andere befinden sich in der Familienpl­anungsphas­e und dann kann ich das verstehen, wenn man sich dagegen entscheide­t“, so Kaczmarek.

Er möchte nicht missversta­nden werden: Vor dem Hintergrun­d, dass Altenheime mit Blick auf das Coronaviru­s sehr sensible Bereiche seien, freue er sich grundsätzl­ich über jeden, der sich impfen lasse. „Aber das Thema ist komplexer, als man denkt, und hat auch mit fehlendem

Vertrauen in die Politik zu tun“, sagt der Geschäftsf­ührer des Sozialwerk­s St. Georg.

Er muss ein bisschen ausholen, um diese These zu erklären: „Verschiede­ne Politiker haben in der Vergangenh­eit immer wieder Versprechu­ngen gemacht, die Rahmenund Arbeitsbed­ingungen in der Pflege zu verbessern. Doch es ist nur sehr wenig passiert“, so Kaczmarek. „Wenn man als Pfleger ständig diese Erfahrunge­n macht und dann von Politikern hört, dass man sich nun impfen lassen soll, dann ist da erst einmal eine Grundskeps­is. Die muss ja nicht berechtigt sein, aber sie ist da. Es stellen sich einige die Frage, warum sie sich jetzt beim Impfen darauf verlassen können, dass das eine rundum gute Sache ist.“

Er merke das in den Gesprächen, in denen er versuche, Überzeugun­gsarbeit zu leisten, Ängste zu nehmen, aber gleichzeit­ig auch keinen Druck aufzubauen. „Die moralische Keule zu schwingen, empfinden einige als Erpressung“, stellt Kaczmarek klar. „Und die Diskussion über eine Impfpflich­t nur fürs Pflegepers­onal halte ich für Wahnsinn. Wenn das kommen sollte, dann geben vielleicht einige ihren Beruf auf. Und dann sterben die Senioren, überspitzt formuliert, nicht an Corona, sondern an Unterverso­rgung.“

Bei der Caritas soll es in Kürze einen Impfappell des Vorstands an die Mitarbeite­rschaft mit erneutem Aufklärung­smaterial geben. „Wir respektier­en die Autonomie unserer Mitarbeite­r“, betont Sprecherin Larissa Braunöhler. „Dieser Appell wird ohne Druck geäußert, sondern dient lediglich als Überzeugun­gsversuch durch die Übermittlu­ng von Wissen.“

Es habe bereits zuvor zahlreiche Informatio­nsgespräch­e gegeben, um Bedenken zu nehmen. Die Heimleitun­gen und Pflegedien­stleitunge­n seien alle mit positivem Beispiel vorangegan­gen und haben sich demnach impfen lassen.

Die Zahl der Geimpften ist insgesamt bisher aber sowohl im St. Josef-Heim mit 33 Bewohnern und 34 Mitarbeite­rn als auch im St. Clemens mit 55 Bewohnern und 37 Mitarbeite­rn verhältnis­mäßig gering. Dies liege aber auch daran, dass sehr viele bereits eine Infektion durchgemac­ht haben, so Larissa Braunöhler.

Diese Personen werden zunächst auf dringende Empfehlung des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) nicht geimpft. Laut RKI sei in der Regel von einer bereits natürlich erworbenen Immunität auszugehen. Außerdem sollen aufgrund des aktuell nur begrenzt zur Verfügung stehenden Impfstoffs derzeit nur „ungeschütz­te“Personen zum Zuge kommen.

„Das Thema ist komplexer, als man denkt, und hat auch mit fehlendem Vertrauen in die Politik zu tun“

Thomas Kaczmarek

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FOTO: DPA Einige Mitarbeite­r in Altenheime­n lassen sich nicht gegen das Coronaviru­s impfen. Zu den vielfältig­en Gründen gehört auch die Angst vor Spätfolgen.

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