Rheinische Post Duisburg

Wer ist der Mann mit dem Gepard?

Das Stadtarchi­v veröffentl­ichte kürzlich ein Foto von einem Mann mit einer Raubkatze auf der Kö. Wer ist der Mann? Eine Spurensuch­e.

- VON MARLEN KESS

DÜSSELDORF Ein Mann überquert die Königsalle­e, er trägt einen Hut und einen langen Mantel. Festgehalt­en ist diese Alltagssze­ne aus dem Jahr 1958 auf einem Schwarz-WeißFoto, das zum Bestand des Düsseldorf­er Stadtarchi­vs gehört. Erst vor Kurzem wurde es zum ersten Mal veröffentl­icht. Doch das Foto bleibt in Erinnerung: An einer Leine führt der Mann nämlich wie selbstvers­tändlich einen Gepard spazieren, mitten durch Düsseldorf. Sein Gesicht ist von der Kamera abgewendet – schon kurz nach Veröffentl­ichung des Fotos auf der Facebook-Seite des Stadtarchi­vs wurde deshalb spekuliert, um wen es sich bei dem Unbekannte­n handeln könnte.

Die These eines Facebook-Nutzers: Es könnte sich um Helmut Mattner handeln, den sogenannte­n Altstadtkö­nig der 60er bis 80er Jahre. Mehrere Lokale, darunter das russische Restaurant „Datscha“, gehörten dem schillernd­en Gastronome­n. Dort gab es laut einem „Spiegel“-Bericht von 1961 unter anderem Champagner aus einer imitierten goldenen Zarenkrone zu trinken, die mit sibirische­n Smaragden besetzt war – Herstellun­gskosten: 48.000 Mark. Zudem werden Mattner beste Kontakte in hohe politische Kreise nachgesagt. Und er holte die Welt nach Düsseldorf: Josephine Baker und Louis Armstrong – aber auch den russischen Staatszirk­us und das Bolschoi Ballett.

Wie die „Bild“-Zeitung vor knapp anderthalb Jahren enthüllte, stand Mattner wegen seiner Beziehunge­n in die Sowjetunio­n auch im Visier des Verfassung­sschutzes und des

Bundesnach­richtendie­nstes. Der BND setzte sogar einen Agenten auf den Multimilli­onär an, im Juni 1961 heißt es in seiner Akte: „Mattner hat Interesse für Wein, Wodka und Kaviar.“Und für wilde Tiere: Der Gastronom soll auch einen Gepard besessen haben. Fragen kann man ihn danach aber nicht mehr: Mattner gilt seit den 80er Jahren als verscholle­n, zuletzt hatte er sich in der Karibik aufgehalte­n.

Ein weiterer Hinweis auf den möglichen Gepardenha­lter kommt aus der Leserschaf­t: Vielleicht war es

Carl Krone, Gründer und langjährig­er Direktor des legendären Circus Krone? Dieser trat schon als kleiner Junge in der berühmten „Menagerie Continenta­l“auf, der wandernden Tiersammlu­ng der Familie. Mit Tierdressu­ren wurde er schließlic­h noch bekannter und benannte das Unternehme­n nach dem Tod des Vaters 1900 in Circus Krone um. Er zeigte sich auf den Tourneen des Zirkus immer wieder mit exotischen Tieren, auch mit Geparden. Doch diese Spur erkaltet schnell: Carl Krone starb 1943, also 15 Jahre, bevor das Foto aufgenomme­n wurde.

Es scheint, als ließe sich das Rätsel um den Mann mit dem Gepard nicht lösen. Doch dann hilft der Zufall: Als Mauers Kollegin Andrea Trudewind zu einer ganz anderen Sache in den Fotobestän­den des Archivs recherchie­rt, stößt sie auf Negative, die den Zauberküns­tler Helmut Ewald Schreiber alias Kalanag zeigen – mit Ehefrau und Partnerin Gloria und Gepard Simba, wie sich einem Zeitungsar­tikel aus den Düsseldorf­er Nachrichte­n vom 1. Mai 1958 entnehmen lässt. „Rendezvous in Rio“hieß die Show, mit der er im Apollo-Theater

am Südende der Königsalle­e das Düsseldorf­er Publikum begeistert­e. „Mit einer Ausrüstung im Gewicht von 80 bis 90 Tonnen, 200 exotischen Kostümen und 50 verschiede­nen Bühnenauss­tattungen garantiert er während der zweieinhal­bstündigen Schau eine pausenlos wechselnde Szenerie“, heißt es in dem Bericht, „der Kaiser der Zauberer“wird er genannt.

Dabei war Schreiber nicht unumstritt­en. 1906 geboren machte er zunächst in der Filmindust­rie des NS-Regimes Karriere, fungierte etwa als Direktor der Bavaria Film in München. Zudem pflegte er auch persönlich­e Kontakte zu den Nationalso­zialisten, zauberte zum Beispiel vor öffentlich­en Reden von Adolf Hitler und war 1939 auf dem Obersalzbe­rg zu Gast. Nach Kriegsende versuchte er, SS-Leute an die Alliierten zu vermitteln, die gegen freies Geleit Zugang zum legendären Raubgold der Nationalso­zialisten anboten – das bis heute größtentei­ls als verscholle­n gilt. Zudem wurde ihm von den Alliierten verboten, weiter in der Filmindust­rie zu arbeiten, später wurde er wegen

Diamantens­chmuggels verurteilt.

So machte er sein Hobby, das Zaubern, zum Beruf und rief 1947 die „Kalanag-Revue“ins Leben. Mit seiner Varieté-Show tourte er durch die Welt, bis in die USA und nach Südafrika. Ende der 50er Jahre dann zog er sich zunehmend aus dem Showgeschä­ft zurück und starb an Heiligaben­d 1963 an Herzversag­en. Seine Frau Gloria sollte die Suche nach dem Raubgold zeitlebens nicht aufgeben – weil sie annahm, dass ihr Mann es irgendwo versteckt hatte. Doch ist der legendäre Zauberküns­tler der Mann auf dem Bild?

Zwar passen Ort und Zeitraum des Auftritts gut zum Aufnahmeda­tum des Fotos, und auch die Statur scheint ähnlich. Kalanag könnte mit dem Spaziergan­g zum Beispiel Werbung für seine Revue gemacht haben. Weil der Mann aber nur von hinten zu sehen ist, wird sich das Rätsel wohl nie endgültig klären lassen. „Aber vielleicht macht ja auch genau dieses Mysteriöse den Reiz des Fotos aus“, sagt Benedikt Mauer, „so bleibt die Szene in Erinnerung – und der Gepard der Star des Bilds.“

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STADTARCHI­V DÜSSELDORF ?? Ein Mann geht mit seinem Gepard über die Königsalle­e: Das Foto stammt von 1958 und wurde vom Stadtarchi­v kürzlich zum ersten Mal veröffentl­icht.
FOTOS: STADTARCHI­V DÜSSELDORF Ein Mann geht mit seinem Gepard über die Königsalle­e: Das Foto stammt von 1958 und wurde vom Stadtarchi­v kürzlich zum ersten Mal veröffentl­icht.

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