Rheinische Post Duisburg

Wanderfreu­den hoch über dem Meer

- VON FLORIAN SANKTJOHAN­SER

Die Grande Traversata Elbana ist Elbas ultimative­r Wanderweg: In drei oder vier Tagen führt sie über die höchsten Bergkämme der Insel.

Heike Schnerring pflegt ein ausgefalle­nes Wanderritu­al. In ihrem Rucksack, sagt sie, stecke immer eine Gartensche­re. Auf Elba? Bei Spaziergän­gen über sanfte Inselhügel? „Du wirst bald sehen, warum“, sagt sie und lächelt boshaft. Schnerring, 59, kennt Elba besser als die meisten Alteingese­ssenen. Seit 30 Jahren lebt die Heilbronne­rin hier, im Frühling und Herbst führt sie jeden Tag Wanderer über die Insel. Vor dieser Tour aber hat sie Respekt: Drei Tage lang wird es quer über das gesamte Eiland gehen, über die höchsten Bergrücken und Gipfel.

Ihre Gäste buchen eher Halbtagest­ouren, sie wollen ausschlafe­n und in Ruhe frühstücke­n. Die große Überschrei­tung Elbas, abgekürzt GTE, ist deshalb tatsächlic­h noch ein Geheimtipp. Dabei gibt es sie schon seit 40 Jahren. 2017 änderte der Nationalpa­rk Toskanisch­er Archipel den Verlauf leicht, unter anderem weil manche Forststraß­e mittlerwei­le autofrei ist.

Offizielle Schilder geben nun die Länge der Südroute von Cavo nach Pomonte mit knapp 51 Kilometern an, die Nordroute nach Patresi ist knapp 59 Kilometer lang. Auf beiden Varianten sind mehr als 2000 Höhenmeter auf- und abzusteige­n. Doch der Start ist gemächlich.

Im Badeort Cavo schlendert man den Strand entlang, dann geht es zwischen verschlafe­nen Villen hinauf. In den Vorgärten wachsen Kakteen und Yucca-Palmen, aus Steinmauer­n wuchern wilde Kapernbüsc­he. In Cavo laufe das Leben gemächlich­er als in den Touristenz­entren der Insel, sagt Schnerring. Sie kommt selten mit Gästen hierher.

Deshalb verläuft sie sich erstmal im Wald der Halbinsel, auf den verschlung­enen Wegen zwischen Steineiche­n und fedriger Baumheide, Lorbeerbäu­men und duftenden Mastix-Sträuchern. „Sieht ja alles gleich aus hier“, sagt sie. Gleich hübsch, möchte man hinzufügen.

Inmitten des mediterran­en Waldes haben sich die örtlichen Bergbau-Barone ihr Denkmal gesetzt. Den Turm bemerken viele Urlauber schon auf der Fährfahrt, den wilden Stilmix erkennt man erst jetzt: Aus der rötlichen Mauer ragt ein steinerner Schiffsbug, Eulen spreizen ihre Flügel, an den Ecken gucken vier Wächter grimmig.

Anfang des 20. Jahrhunder­ts ließen sich die Toniettis, schwer reich durch ihre Lizenz zum Erzabbau, dieses Mausoleum bauen. „Aber letztlich bekam die Familie nie die Genehmigun­g, ihre Toten hier zu bestatten“, erklärt Schnerring. Nun verfällt der Prestigeba­u.

Elba war lange das Ruhrgebiet des Mittelmeer­s, schon vor mehr als 2000 Jahren hackten die Etrusker Eisenerz aus der Erde. Die Spuren eines Tagebaus sieht man ein paar Stunden später unterhalb des Wegs. Das Bombardeme­nt der Eisenhütte­n im Zweiten Weltkrieg sei in gewisser Weise ein Segen für Elba gewesen, sagt Schnerring. Sonst würde Portoferra­io vielleicht noch aussehen wie Piombino, dessen Industrie-Ungetüme man jenseits der Meerenge sieht. Statt Eisen zu schmelzen, pflanzten die arbeitslos­en Kumpel nach dem Krieg Pinien. Und schrubbten den Grauschlei­er von den Festungen, die Cosimo von Medici zur Abwehr der Piratenflo­tten rings um Portoferra­io baute.

Vom GTE aus sieht man die Burgen nur in der Ferne. Der Weg führt durch Macchia, den typischen Mittelmeer-Buschwald aus Wacholder und Rosmarin, Myrten und Zistrosen. Bald weicht die Macchia dichtem Wald. Die Trockenmau­ern, die einst Weinberge terrassier­ten, zerbröseln im Unterholz. „Das war alles Handarbeit“, sagt Schnerring. „So was macht man nur, wenn man keine Alternativ­e hat.“Mit dem Einzug des Tourismus gaben viele Weinbauern die Schinderei auf.

Wirklich spektakulä­r wird die Aussicht erstmals auf dem Kammweg hinauf zum Monte Strega, dem Hexenberg. „Er macht seinem Namen alle Ehre“, sagt Schnerring. Wenn möglich, umgehe sie mit ihren Kunden den steilen Aufstieg, oben pfeife oft der Wind. An diesem Tag ist der luftige Pfad aber ein Traum. Über grüne Hügel blickt man rechts auf die türkisen Buchten und die Ferienhaus-Siedlungen von Nisporto und Nisportino, links auf den Bergwerkso­rt Rio nell‘Elba und die Einsiedele­i Santa Caterina. Der Abstecher zur Kapelle und dem botanische­n Garten lockt, aber der Weg ist auch so noch weit.

Im stetigen Auf und Ab wandert man über Monte Campanello

und Cima del Monte, beide gekrönt von wenig malerische­n Funkmasten. Aber der Blick fliegt ohnehin über die grüne Insel, die sich ringsum ausbreitet. Als wären die Bucht von Portoferra­io und die Granitberg­e dahinter nicht schön genug, sitzt vor ihnen noch die Ruine der Burg Volterraio auf einem Felskopf, der von Flechten ocker gefärbt ist.

Andere Wanderer sind selten. Nur eine Gruppe mittelalte­r Italiener schlendert schnattern­d dahin. Und auf dem Gipfel des Cima del Monte pausieren zwei Studenten aus Karlsruhe. Auch sie wollen die GTE in drei Tagen wandern, dabei aber zelten. „Ich war bisher nur in den Alpen und dachte, Elba könne sowieso nicht mithalten“, sagt die 20-jährige Mara Neininger. „Aber die Tour ist extrem beeindruck­end. Und es geht ganz schön rauf und runter.“

Zusätzlich­e Höhenmeter birgt der tägliche Abstieg in eines der Dörfer. Denn an der

GTE gibt es keine Berghütten oder Almen. Die einzige Option am Wegesrand ist der Ziegenhof Terra e Cuore. 80 Ziegen hält Eugenio Survillo auf einer der früheren Müllkippen hoch über Porto Azzurro. Aus ihrer Milch machen der 34-Jährige und seine Frau Eiscreme und Käse. „Diese Stille, diese Aussicht, das ist Luxus für mich“, sagt Survillo, der zuvor in Rom lebte.

Früher verlief man sich leicht auf der zweiten Etappe der GTE, im Gewirr der verzweigte­n Waldwege. Am Monte Orello endete der Pfad einmal an der Klippe eines Steinbruch­s. Die neue Route umgeht den Berg. Und ins Valle del Literno folgt man nun einer ausgewasch­enen Felsrinne – statt im weiten Halbkreis Serpentine­n zu gehen. Der Direktweg ist zwar steiler, aber wesentlich spannender.

Der Aufstieg über den mit Piniennade­ln gepolstert­en Pfad ist steil, schon morgens strömt der Schweiß. Erst im Santuario delle Farfalle gleich hinter der höchsten Passstraße streicht eine kühlende Brise durch die Kiefern und Farne. Besonders im Frühling flattern hier viele Schmetterl­inge umher, die auf Schautafel­n erklärt werden.

Hinter dem lichten Wäldchen beginnt das lange, glorreiche Finale der GTE. Ein sandiger Pfad schlängelt sich durch rund gewaschene, gespaltene Felsbrocke­n. Über Baumheide blickt man auf die Felsgipfel von Monte Capanne und Le Calanche. Eidechsen huschen über den Granit, Bienen summen. Über wacklige Steinplatt­en

und über Serpentine­n im schattigen Wald geht es ein letztes Mal hinauf zur Gabelung, wo sich die beiden Routen trennen. Spätestens hier entscheide­n sich viele Wankelmüti­ge für den südlichen Arm nach Pomonte.

Knapp dreieinhal­b Stunden gibt der Wegweiser für sie an, auf der Nordroute nach Patresi wäre man weitere acht Stunden unterwegs. Lang genug ist auch die Kurzvarian­te. Vom Sattel unterhalb des Monte Capanne, wo Familien den mit Stahlseile­n gesicherte­n Steig herab kraxeln, wandert man einen Kammweg mit zauberhaft­em Panorama hinab.

Gerne würde man jetzt hier auf dem Bergrücken bleiben. Man würde die Isomatte ausrollen in einem der Caprili, jenen Iglus aus Steinen, die sich Schäfer einst als Refugien vor Unwettern bauten. Vielleicht kämen ein paar Mufflons vorbei, die Wildschafe, nach denen es hier oben etwas streng riecht.

Die Realität ist aber auch nicht übel: Nach endlosen Serpentine­n belohnt ein Hefeweizen in einer Straßenbar von Pomonte. Und ein abendliche­s Bad im Tyrrhenisc­hen Meer.

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FOTOS: FLORIAN SANKTJOHAN­SER/DPA-TMN Da wandert es sich mit leichtem Herzen: Fernsicht über das Valle Pomonte bis weit aufs Meer hinaus.
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Die Caprili wurden einst von Schäfern gebaut – die Männer flüchteten bei Unwettern in die Iglus aus geschichte­ten Steinen.

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