Rheinische Post Duisburg

Die Versäumnis­se von Astrazenec­a

- VON ANTJE HÖNING

Die Entwicklun­g eines Impfstoffs ist eine große Herausford­erung und dauert meist Jahre. Dass es allein in Europa schon drei Hersteller­n gelungen ist, binnen eines Jahres ein Vakzin gegen das Coronaviru­s zu entwickeln und zu produziere­n, ist ein großer Erfolg. Der Impfstoff ist das Ticket zurück zur Normalität, er kann die Pandemie stoppen. Dass es angesichts der weltweiten Nachfrage zu Engpässen kommt, kann nicht verwundern. Doch wie Astrazenec­a damit umgeht, ist zweifelhaf­t. Das britische Unternehme­n hatte die EU-Staaten unlängst mit der Nachricht überrascht, nun deutlich weniger zu liefern als geplant. Beim Konkurrent­en Biontech kann man die Verzögerun­gen nachvollzi­ehen, da er Kapazitäte­n aufstocken will. Doch der Stopp von Astrazenec­a wirft die Frage auf, ob die EU-Staaten zwar gerne Vorauszahl­ungen leisten dürfen, dann aber bei Problemen zugunsten anderer Länder zurücksteh­en sollen. Nach ehrbarem Kaufmann sieht das Ganze nicht aus.

Zudem ist Astrazenec­a bei seinen Zulassungs­studien schnell, aber nicht gründlich gewesen. An Älteren haben die Briten ihren Stoff kaum erprobt. Das ist problemati­sch, weil der Bund voll auf Astrazenec­a gesetzt hat – was Mengen und Einsatzort­e angeht. Anders als Biontechs Impfstoff soll der von Astrazenec­a auch in Praxen und bei Hausbesuch­en eingesetzt werden. Man kann nur hoffen, dass die Zulassungs­behörde nun unabhängig entscheide­n kann, ob sie den Impfstoff trotz der beschränkt­en Studien für alle zulässt. Wenn nicht, muss Gesundheit­sminister Jens Spahn die Reihenfolg­e auf den Prüfstand stellen – schnell und transparen­t. Womöglich kann die nächste Gruppe der Älteren erst geimpft werden, wenn Biontech oder Moderna mehr liefern. Umso wichtiger ist es, dass die EU hier auf die Erfüllung der Verträge dringt.

BERICHT SPAHN WILL IMPFREIHEN­FOLGE PRÜFEN, TITELSEITE

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