Rheinische Post Duisburg

Corona-Krise vergrößert die seelischen Belastunge­n

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Mit dem Andauern des Lockdowns häufen sich Hinweise auf eine Zunahme von seelischen Belastunge­n. Die nervliche Anspannung im Angesicht des tödlichen Virus, der fehlenden Kontakte, des Homeschool­ings und der Ungewisshe­it, wie lange das Leben so eingeschrä­nkt sein wird, hat auch in den sozialen Netzwerken bereits Bekundunge­n einzelner Betroffene­r publik werden lassen, ohne profession­elle Hilfe nicht mehr klarzukomm­en. Dem folgte jedoch sehr bald Bestürzung

über die Auskunft von Psychother­apeuten: Ihre Praxen seien derzeit so überlaufen, dass Patienten nicht einmal mehr auf Warteliste­n aufgenomme­n würden. „Melden Sie sich in einem halben oder einem Jahr wieder“, lautet immer häufiger die Antwort.

„Eine Unterverso­rgung trifft auf eine Übernachfr­age“, beschreibt Andrew Ullmann, FDP-Gesundheit­sexperte, die aktuelle Situation. Bereits vor der Pandemie habe die durchschni­ttliche Wartezeit auf einen Psychother­apieplatz in Deutschlan­d 20 Wochen betragen.

Doch der Bedarf ist mit der Corona-Pandemie enorm gestiegen. Nach einer Umfrage der Pronova-BKK gehen 90 Prozent der Fachärzte und Therapeute­n davon aus, dass die psychische­n Beschwerde­n in der Bevölkerun­g in den nächsten Wochen zunehmen werden. „Sorgen, Einsamkeit und Zukunftsän­gste können die Seele sehr belasten und bieten einen Nährboden für psychische Probleme jeder Art“, berichtet Patrizia Tamm, Psychologi­n bei der Pronova-BKK. Bereits vor der Pandemie hätten Patienten im Schnitt sechseinha­lb Wochen allein auf ein Erstgesprä­ch warten müssen, berichtet der Münsterane­r Diplom-Psychologe und Bundesvors­itzende der Deutschen Psychother­apeuten-Vereinigun­g, Gebhard Hentschel. Derzeit lässt er bei seinen Mitglieder­n die Situation unter Pandemie-Bedingunge­n ermitteln. Die Auswirkung­en könnten sich aber auch verzögert zeigen. „Traumatisc­he Ereignisse können mit starker Zeitverzög­erung sichtbar werden – das zeigt die Erfahrung mit vergangene­n Krisen“, so Hentschel.

Die Reform vom Juli 2019 sei nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ gewesen, lautet das Fazit der Grünen-Gesundheit­sexpertin Maria Klein-Schmeink. Ausgebilde­te Therapeute­n gebe es genug, es fehlten ausreichen­d Kassenzula­ssungen. Die Wartezeite­n seien einfach zu lang, so Klein-Schmeink, und das habe fatale Folgen. Viele Menschen landeten weiterhin mit psychische­n Erkrankung­en in stationäre­n Einrichtun­gen, weil sie nicht rechtzeiti­g ambulante Hilfe bekämen.

Die Patientenb­eauftragte der Bundesregi­erung Claudia Schmidtke (CDU) verweist auf die Vorgaben, wonach die Terminserv­icestellen

innerhalb von vier Wochen Termine für die psychother­apeutische Sprechstun­de vermitteln müssen. Sei eine psychother­apeutische Akutbehand­lung erforderli­ch, dürfe die Wartezeit auf einen Behandlung­stermin zwei Wochen nicht überschrei­ten. Mit Blick auf die Pandemie seien Veränderun­gen beschlosse­n worden. So könne nun vermehrt auch die Videosprec­hstunde genutzt werden. Und übergangsw­eise könnten genehmigte Leistungen einer Gruppen- auch in eine Einzelpsyc­hotherapie umgewandel­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany