Rheinische Post Duisburg

„Sich einfach mal zu testen, bringt nichts“

Der Vorsitzend­e der Akkreditie­rten Labore in Deutschlan­d spricht über neue Wertschätz­ung, Teststrate­gien und Corona-Mutationen.

- REGINA HARTLEB STELLTE DIE FRAGEN.

Herr Müller, wie groß war und ist aktuell die Belastung der Labore durch die Pandemie?

MÜLLER Für unsere rund 200 beim ALM angeschlos­senen Labore stellt sich die Lage ganz unterschie­dlich dar. Alle Einrichtun­gen führen labormediz­inische Diagnostik aller Arten durch. 114 davon führen nun seit rund einem Jahr zusätzlich zu ihrer Routine-Arbeit täglich Corona-PCR-Tests durch. Dort ist die Belastung natürlich hoch. Anderersei­ts ist es immer noch so, dass durch die Pandemie weniger Menschen wegen anderer akuter und chronische­r Erkrankung­en zum Arzt gehen. Das heißt, Labore, die keine Corona-Tests durchführe­n, haben weniger Aufträge und daher wie andere Arztpraxen auch entspreche­nd weniger Einnahmen.

Werden Sie heute mehr wahrgenomm­en als früher?

MÜLLER Ja, auf jeden Fall. Die Labore und ihre Mitarbeite­r erleben durch die Pandemie eine bisher nicht gekannte Wertschätz­ung, wie ja auch die Wissenscha­ft allgemein sehr in den Fokus gerückt ist. Und zum Glück gilt auch für fachärztli­che Labore in wirtschaft­lichen Engpässen der Rettungssc­hirm der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen. Daher ist die Stimmung insgesamt trotz der Belastung ganz okay.

Die Bürger werden täglich auf allen Kanälen mit Infektions­zahlen und Todesraten konfrontie­rt. Dabei heißt es häufig, dass die Daten nicht aussagekrä­ftig seien, etwa wegen Feiertagen oder Nachmeldun­gen. Wäre es nicht besser, seltener Zahlen zu veröffentl­ichen, dann aber verlässlic­he?

MÜLLER Wichtig ist, dass alle Daten, die erhoben werden, so schnell wie möglich zur Verfügung stehen, damit die Verantwort­lichen die Pandemie möglichst gut einschätze­n und zur Eindämmung geeignete Maßnahmen einleiten können. Durch das zum 1. Januar verbindlic­h eingeführt­e elektronis­che Meldeverfa­hren Dimes sind die Übertragun­gswege von Laboren zu den Gesundheit­sämtern und zum RKI deutlich kurzfristi­ger geworden. Eine tägliche Veröffentl­ichung mag vielleicht nicht unbedingt nötig sein. Aber es gibt sicher Menschen, die permanent die neuesten Infektions­zahlen

und Entwicklun­gen wissen möchten. Wir vom ALM geben einmal wöchentlic­h am Montag die aus der zurücklieg­enden Woche gesammelte­n Daten zu den durchgefüh­rten Tests und den positiven Befunden sowie zu den aktuellen Kapazitäte­n der teilnehmen­den Labore an das Robert-Koch-Institut, das Bundesmini­sterium für Gesundheit und die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung weiter.

Wie stehen Sie zu Antigen-Schnelltes­ts?

MÜLLER Auch hier muss man klar trennen, was man möchte: Für den Nachweis einer Infektion bei einem Patienten mit Symptomen ist die PCR der Goldstanda­rd, also die beste Methode der Wahl. Sie ist empfindlic­h und spezifisch. Antigentes­ts untersuche­n die Eiweißbest­andteile des Coronaviru­s. Das heißt, sie sind nicht so sicher wie eine PCR und können auch mal falsch-negativ oder falsch-positiv sein. Ein positiver Antigentes­t muss daher immer von der PCR bestätigt werden. Sich also ins Blaue hinein einfach mal zu testen, wenn man keinerlei Symptome hat, bringt nichts. Es ist nur eine Momentaufn­ahme und kann zu einem Scheinsich­erheitsgef­ühl führen. Wenn man dagegen einen Menschen im Pflegeheim besucht und kurz zuvor einen Schnelltes­t macht, kann das schon Sinn machen. Denn in den folgenden drei Stunden des Besuchs wird sich der Zustand nicht dramatisch verändern. Aber jeder muss wissen: Das Testen befreit nicht von den „AHA plus Lüften plus App nutzen plus Kontakte reduzieren“-Regeln, auch nicht beim Besuch im Altenheim. Sie gelten für jeden und jederzeit.

Was ist mit der Probennahm­e? Ergibt es Sinn, dass Bürger selber Abstriche vornehmen? Da kann man ja einiges falsch machen. MÜLLER Das ist richtig. Anleitung, Begleitung und Kontrolle sind sehr wichtig. Mitarbeite­r im Krankenhau­s oder Pflegekräf­te können nach Schulung den Test sicher auch selbst durchführe­n; der Hausarzt kann seine Patienten anleiten und bei der Probenentn­ahme beobachten.

Stichwort Corona-App: Sie wurde seitens der Politik aufwendig beworben. Nun hat man den Eindruck, dass sie bei der Bekämpfung der Pandemie keine große Rolle spielt. Stimmt das?

MÜLLER Ich kann die Kritik an der App ehrlich gesagt nicht nachvollzi­ehen. Jeder lädt doch heutzutage permanent Bilder und Persönlich­es auf seinem Handy hoch. Da sollte man auch diese App bedienen können. Und das neu eingeführt­e Kontakttag­ebuch halte ich auch für hilfreich.

Die neue Virus-Mutante aus Großbritan­nien bereitet Wissenscha­ftlern zunehmend Sorge. Spielt sie im deutschen Laborallta­g eine Rolle? Wurde bisher in Deutschlan­d zu wenig sequenzier­t?

MÜLLER Von Beginn der Pandemie an haben die Labore auch immer wieder die kompletten Genome von Sars-CoV-2 untersucht, allen voran das Konsiliarl­abor der Berliner Charité. Seltener als etwa in Großbritan­nien, das stimmt. Aber trotzdem ist die Mutation auch dort erst kürzlich entdeckt worden. Das zeigt: Quantität alleine reicht nicht. Man muss auch gezielt prüfen. Mit der neuen Rechtsvero­rdnung wird aber nun auch hierzuland­e häufiger eine Sequenzier­ung erfolgen.

Sehen Sie Licht am

Ende des Tunnels?

MÜLLER Ja, ich bin positiv gestimmt. Es war von Beginn an klar, dass der Weg zur Bekämpfung der Pandemie ein Marathon wird. Wo wir heute stehen, lässt sich nicht eindeutig beantworte­n. Aber in einem Jahr ist die Lage sicher deutlich besser als heute. Wir sind in Deutschlan­d in Medizin, ambulanter Versorgung und Diagnostik fantastisc­h aufgestell­t. Entscheide­nd ist, dass die Covid-19-Pandemie eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe ist. Jeder Einzelne kann dazu beitragen, dass der Weg ein Stück leichter und kürzer wird.

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FOTO: JEAN-FRANÇOIS BADIAS/DPA Eine medizinisc­he Mitarbeite­rin bereitet einen Covid-19-Test für ältere Menschen in einem Labor vor.

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