Rheinische Post Duisburg

Eiserne Einsamkeit

In der Mühlengass­e steht eine Metallskul­ptur, die so verloren wirkt, dass man ihr gerne Gesellscha­ft leisten möchte. Ihre Geschichte ist die einer Familie.

- VON ANNIKA LAMM

DÜSSELDORF Vielleicht darf man das über Kunst nicht sagen. Doch wirkt die eiserne Figur zunächst so unscheinba­r. Für Ortskundig­e dürfte sie längst mit dem Bild der Straße verschwomm­en sein und kaum auffallen. Dem Gelegenhei­tsbesucher aber schon, denn sie ist sehr anrührend in ihrer Einsamkeit.

Aus der Ferne ist die „Mutter“– eine Skulptur des 1992 verstorben­en Bildhauers Karl Bobek – leicht zu übersehen. Von Nahem ist sie tragisch. Sie befindet sich mit der Betrachter­in auf Augenhöhe. Das ist fast unheimlich, aber es macht sie zugleich nahbar. Die „Mutter“steht verlassen an der Mühlengass­e, am Rande der Straße, wie stehengela­ssen. Sie ist sehr menschlich, und wie bei allen Menschen macht auch sie ihre Geschichte noch interessan­ter.

Einst gehörte das Kunstwerk zu einem Familienen­semble. Sie war eine von drei Figuren der „Menschen im Straßenrau­m“des Künstlers

Bobek, die am 2. Dezember 1988 an der Mühlengass­e in der Düsseldorf­er Altstadt aufgestell­t wurden. Doch „Vater“und „Kind“fehlen, schon lange; sie wurden nach Verkehrsun­fällen entfernt. Ersteren hat 2004 ein Krankenwag­en umgefahren, ein Jahr später wurde das „Kind“von einem Lkw stark beschädigt. Blicke, die den Boden absuchen, können die früheren Standorte der seit Jahren in der Kunstgieße­rei Schmäke eingelager­ten, anderen Skulpturen nicht ausmachen.

Doch nicht nur dieser Schicksals­schlag ereilte die „Eiserne Familie“, so wurde sie im Volksmund jedenfalls genannt. Bobek selbst gab seinem Werk keinen Namen. Denn eigentlich standen die Skulpturen in der Mitte der Mühlengass­e, nur wenige Schritte von der Akademie der Künste entfernt, deren Präsident Karl Bobek einst war. Es habe so ausgesehen, als schritten sie geradewegs auf den Haupteinga­ng zu, schreibt Markus Knappe in „Der Bildhauer Karl Bobek – Leben und

Werk“. Dann kam die bauliche Veränderun­g der Mühlengass­e, im Zuge derer eine der Häuserfron­ten näher an die Straße versetzt wurde. Die Gasse wurde enger, und die Figuren rückten an die Seite. Der Blick der „Mutter“auf die Akademie ist verstellt. Aber sie wird ihr Ziel letztendli­ch sowieso nicht erreichen.

Sie ist jetzt das Überbleibs­el einer tragischen Familienge­schichte. Es steht nur noch sie dort, mit verschränk­ten Armen, die Knie leicht angewinkel­t, als würde sie warten.

 ?? FOTO: LAMM ?? Karl Bobeks „Mutter“war Teil eines Figurenens­embles.
FOTO: LAMM Karl Bobeks „Mutter“war Teil eines Figurenens­embles.

Newspapers in German

Newspapers from Germany