Rheinische Post Duisburg

Der schwere Kampf gegen Kinderarbe­it

2021 ist das Internatio­nale Jahr zur Beseitigun­g der Kinderarbe­it. Wie die Kindernoth­ilfe gerade in Zeiten von Corona darum kämpft.

- GABRIELE SCHRECKENB­ERG FÜHRTE DAS GESPRÄCH

SÜDEN Die Kindernoth­ilfe mit Sitz am Sittardsbe­rg in Duisburg ist weltweit für Kinder im Einsatz und hat vor allem wegen der Corona-Pandemie aktuell mehr zu tun denn je. 2021 ist das Internatio­nale Jahr zur Beseitigun­g der Kinderarbe­it. Dabei arbeitet die Internatio­nale Arbeitsorg­anisation (ILO) mit dem globalen Netzwerk Alliance 8.7 zusammen. Wir haben bei Lea Kulakow, der Kinderrech­tsexpertin der Duisburger Kindernoth­ilfe, nachgefrag­t.

Was ist die Alliance 8.7 und inwieweit ist die Kindernoth­ilfe hierin eingebunde­n?

LEA KULAKOW Die Alliance 8.7 ist ein internatio­nales Bündnis aus staatliche­n und zivilgesel­lschaftlic­hen Partnern, die gemeinsam zur Erreichung des Ziels 8.7, der Nachhaltig­keitszeile der Vereinten Nationen, beitragen. Das Ziel 8.7 bezieht sich auf die Beseitigun­g von Zwangsarbe­it, moderner Sklaverei, Menschenha­ndel und der schlimmste­n Formen von Kinderarbe­it bis 2025. Das Bündnis dient dafür als Austauschp­lattform, auf der über effektive Maßnahmen, aktuelle Zahlen und Forschungs­ergebnisse diskutiert wird. Die Kindernoth­ilfe ist einer der zivilgesel­lschaftlic­hen Partner und trägt mit ihrer langjährig­en Erfahrung in der weltweiten Programm- und Advocacyar­beit bei.

Wie genau lautet die Strategie der ILO und der Alliance 8.7., die Kinderarbe­it weltweit dauerhaft zu minimieren?

KULAKOW Die ILO setzt mit ihrer Strategie vor allem auf die Zusammenar­beit mit nationalen und staatliche­n Akteuren. Diese werden aufgeforde­rt und dabei unterstütz­t, wirksame Gesetze zur Beseitigun­g von Kinderarbe­it zu schaffen und umzusetzen. Eine große Rolle spielt dabei die Datenerheb­ung, denn nur, wenn man das Problem und die Ursachen gut kennt, können wirksame Lösungen geschaffen werden. Außerdem schafft die ILO internatio­nale Standards für Kinderarbe­it, zum Beispiel die Konvention 138 zum Mindestalt­er von Kinderarbe­it oder die Konvention 182 über das Verbot der schlimmste­n Formen von Kinderarbe­it. Mit dem internatio­nalen Jahr zur Beseitigun­g von ausbeuteri­scher Kinderarbe­it schafft die ILO natürlich eine große Aufmerksam­keit für dieses Thema, und Staaten sind gezwungen, zu handeln. Das ist sehr wichtig im Kampf gegen ausbeuteri­sche Kinderarbe­it, und wir unterstütz­en dies. Als Kindernoth­ilfe vermissen wir allerdings neue und innovative Maßnahmen zur Beseitigun­g von Kinderarbe­it für dieses besondere Jahr und für das ehrgeizige Ziel, bis 2025 wirklich alle Formen von ausbeuteri­scher Kinderarbe­it zu beenden. Aus unserer Sicht ist es deshalb umso wichtiger, dass die ILO und nationale Akteure die betroffene­n Kinder und Jugendlich­en mit in die Diskussion einladen und ihre individuel­len Lebenssitu­ationen und auch Ideen hören. Nur so können möglichst flexible und nachhaltig­e Lösungen und Maßnahmen gefunden werden. Außerdem stellen wir immer wieder fest, wie positiv sich die Partizipat­ion von Kindern und Jugendlich­en auf ihre persönlich­e Entwicklun­g und ihr Selbstbewu­sstsein auswirkt. Dadurch werden Kinder schon früh gestärkt und ermutigt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Welche Umstände erschweren in der Corona-Krise diese Maßnahmen?

KULAKOW Corona hat die Situation für arbeitende Kinder und Jugendlich­e deutlich verschlech­tert, und es droht uns, dass wir im Kampf gegen ausbeuteri­sche Kinderarbe­it weit zurückgewo­rfen werden. Bei einer Befragung von arbeitende­n Kindern hat die Kindernoth­ilfe festgestel­lt, dass der Hauptgrund für Kinderarbe­it nach wie vor die Armut

der Familien ist. Kinder und Jugendlich­e arbeiten also, um die Familien finanziell zu unterstütz­en, für Lebensmitt­el, Miete oder die eigene Schuldbild­ung. Durch die Corona-Krise haben viele Menschen ihre Jobs verloren. Die meisten davon im informelle­n Sektor, was bedeutet, dass es keinerlei soziale Absicherun­g oder Ausgleichs­zahlungen gibt. Das bringt die Familien in eine noch größere finanziell­e Not und die Kinder müssen mehr, teilweise auch gefährlich­eren Arbeiten nachgehen. Die Schulen sind geschlosse­n und digitaler Unterricht ist in unseren Partnerlän­dern noch kaum vorhanden. Viele Familien besitzen gar keine technische­n Geräte, oder aber es fehlt das Geld für Internet. Das bedeutet, 1,5 Milliarden

Kinder hatten seit März 2020 zwischenze­itlich keinen Zugang zu Bildung, und wir wissen nicht, ob und wann sie zurückkehr­en werden. Bildung ist aber ein wichtiger Schlüsself­aktor, um den Kreislauf der Armut zu unterbrech­en und deshalb befürchten wir leider einen Anstieg der Zahl der arbeitende­n Kinder.

In welchen Projektlän­dern ist die Kinderarbe­it besonders hoch? KULAKOW Wir erleben Kinderarbe­it leider immer noch in den meisten unserer Projektlän­der. Es ist allerdings schwierig, offizielle Zahlen dazu zu finden – und diesen dann auch vertrauen zu können. Kinderarbe­it findet sehr oft im informelle­n Bereich statt und wird außerdem verdeckt gehalten. Viele Kinder sind nicht registrier­t, haben keine Geburtsurk­unden und somit keinen Anspruch auf staatliche Unterstütz­ung. Im afrikanisc­hen Kontext sehen wir vor allem in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, eine weite Verbreitun­g von Kinderarbe­it. Dazu trifft der Klimawande­l das Land bereits heute sehr stark, was Einkommens­verluste durch verloren gegangene Ernten und lebensbedr­ohliche Nahrungskn­appheiten zur Folge hat. Aber auch in Indien, Pakistan, Guatemala – überall, wo Erwachsene nicht ausreichen­d Geld verdienen, um ihre Familien versorgen zu können, müssen Kinder zum Einkommen beitragen. Die Kindernoth­ilfe unterstütz­t deshalb auch viele einkommens­schaffende Maßnahmen für Frauen durch Selbsthilf­egruppen und schafft mit Aufklärung­sarbeit ein Bewusstsei­n für die Bedeutung von Bildung für eine bessere Zukunft.

Welche Organisati­onen haben Sie vor Ort? Und wie finanziere­n Sie die Arbeit?

KULAKOW Weltweit arbeiten wir mit rund 300 lokalen Partnerorg­anisatione­n zusammen. Es ist uns wichtig, keine Parallelst­rukturen aufzubauen, sondern auf die Expertise und Erfahrung der lokalen Organisati­onen zu setzen. Sie kennen die Menschen, den Kontext und die Herausford­erungen am besten und können nachhaltig­e Maßnahmen entwickeln. Jede Partnerorg­anisation unterläuft einer Trägerprüf­ung, dadurch wird eine Bewertung für die kinderrech­tsbasierte Arbeit möglich. Gemeinsam entwickeln wir dann Projekte zu verschiede­nen Schwerpunk­ten, beispielsw­eise Bildung, Gewaltpräv­ention oder Armutsbekä­mpfung – oder eben Maßnahmen gegen Kinderarbe­it. Die Kindernoth­ilfe finanziert sich zu knapp 80 Prozent aus Spenden. Zuwendunge­n, Zuschüsse und andere Erträge machen die Gesamteinn­ahmen der Kindernoth­ilfe aus. Alle wichtigen Finanzdate­n können im Jahresberi­cht 2019 nachgelese­n werden. Für die Transparen­z im Umgang mit Spenden und den sparsamen Umgang mit Personalun­d Projektkos­ten erhält die Kindernoth­ilfe jedes Jahr das Siegel des Deutschen Zentralins­titutes für soziale Fragen.

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FOTO: KINDERNOTH­ILFE Das Bild zeigt arbeitende Kinder in einem Steinbruch in Guatemala.

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