Der schwere Kampf gegen Kinderarbeit
2021 ist das Internationale Jahr zur Beseitigung der Kinderarbeit. Wie die Kindernothilfe gerade in Zeiten von Corona darum kämpft.
SÜDEN Die Kindernothilfe mit Sitz am Sittardsberg in Duisburg ist weltweit für Kinder im Einsatz und hat vor allem wegen der Corona-Pandemie aktuell mehr zu tun denn je. 2021 ist das Internationale Jahr zur Beseitigung der Kinderarbeit. Dabei arbeitet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) mit dem globalen Netzwerk Alliance 8.7 zusammen. Wir haben bei Lea Kulakow, der Kinderrechtsexpertin der Duisburger Kindernothilfe, nachgefragt.
Was ist die Alliance 8.7 und inwieweit ist die Kindernothilfe hierin eingebunden?
LEA KULAKOW Die Alliance 8.7 ist ein internationales Bündnis aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Partnern, die gemeinsam zur Erreichung des Ziels 8.7, der Nachhaltigkeitszeile der Vereinten Nationen, beitragen. Das Ziel 8.7 bezieht sich auf die Beseitigung von Zwangsarbeit, moderner Sklaverei, Menschenhandel und der schlimmsten Formen von Kinderarbeit bis 2025. Das Bündnis dient dafür als Austauschplattform, auf der über effektive Maßnahmen, aktuelle Zahlen und Forschungsergebnisse diskutiert wird. Die Kindernothilfe ist einer der zivilgesellschaftlichen Partner und trägt mit ihrer langjährigen Erfahrung in der weltweiten Programm- und Advocacyarbeit bei.
Wie genau lautet die Strategie der ILO und der Alliance 8.7., die Kinderarbeit weltweit dauerhaft zu minimieren?
KULAKOW Die ILO setzt mit ihrer Strategie vor allem auf die Zusammenarbeit mit nationalen und staatlichen Akteuren. Diese werden aufgefordert und dabei unterstützt, wirksame Gesetze zur Beseitigung von Kinderarbeit zu schaffen und umzusetzen. Eine große Rolle spielt dabei die Datenerhebung, denn nur, wenn man das Problem und die Ursachen gut kennt, können wirksame Lösungen geschaffen werden. Außerdem schafft die ILO internationale Standards für Kinderarbeit, zum Beispiel die Konvention 138 zum Mindestalter von Kinderarbeit oder die Konvention 182 über das Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Mit dem internationalen Jahr zur Beseitigung von ausbeuterischer Kinderarbeit schafft die ILO natürlich eine große Aufmerksamkeit für dieses Thema, und Staaten sind gezwungen, zu handeln. Das ist sehr wichtig im Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit, und wir unterstützen dies. Als Kindernothilfe vermissen wir allerdings neue und innovative Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarbeit für dieses besondere Jahr und für das ehrgeizige Ziel, bis 2025 wirklich alle Formen von ausbeuterischer Kinderarbeit zu beenden. Aus unserer Sicht ist es deshalb umso wichtiger, dass die ILO und nationale Akteure die betroffenen Kinder und Jugendlichen mit in die Diskussion einladen und ihre individuellen Lebenssituationen und auch Ideen hören. Nur so können möglichst flexible und nachhaltige Lösungen und Maßnahmen gefunden werden. Außerdem stellen wir immer wieder fest, wie positiv sich die Partizipation von Kindern und Jugendlichen auf ihre persönliche Entwicklung und ihr Selbstbewusstsein auswirkt. Dadurch werden Kinder schon früh gestärkt und ermutigt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Welche Umstände erschweren in der Corona-Krise diese Maßnahmen?
KULAKOW Corona hat die Situation für arbeitende Kinder und Jugendliche deutlich verschlechtert, und es droht uns, dass wir im Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit weit zurückgeworfen werden. Bei einer Befragung von arbeitenden Kindern hat die Kindernothilfe festgestellt, dass der Hauptgrund für Kinderarbeit nach wie vor die Armut
der Familien ist. Kinder und Jugendliche arbeiten also, um die Familien finanziell zu unterstützen, für Lebensmittel, Miete oder die eigene Schuldbildung. Durch die Corona-Krise haben viele Menschen ihre Jobs verloren. Die meisten davon im informellen Sektor, was bedeutet, dass es keinerlei soziale Absicherung oder Ausgleichszahlungen gibt. Das bringt die Familien in eine noch größere finanzielle Not und die Kinder müssen mehr, teilweise auch gefährlicheren Arbeiten nachgehen. Die Schulen sind geschlossen und digitaler Unterricht ist in unseren Partnerländern noch kaum vorhanden. Viele Familien besitzen gar keine technischen Geräte, oder aber es fehlt das Geld für Internet. Das bedeutet, 1,5 Milliarden
Kinder hatten seit März 2020 zwischenzeitlich keinen Zugang zu Bildung, und wir wissen nicht, ob und wann sie zurückkehren werden. Bildung ist aber ein wichtiger Schlüsselfaktor, um den Kreislauf der Armut zu unterbrechen und deshalb befürchten wir leider einen Anstieg der Zahl der arbeitenden Kinder.
In welchen Projektländern ist die Kinderarbeit besonders hoch? KULAKOW Wir erleben Kinderarbeit leider immer noch in den meisten unserer Projektländer. Es ist allerdings schwierig, offizielle Zahlen dazu zu finden – und diesen dann auch vertrauen zu können. Kinderarbeit findet sehr oft im informellen Bereich statt und wird außerdem verdeckt gehalten. Viele Kinder sind nicht registriert, haben keine Geburtsurkunden und somit keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung. Im afrikanischen Kontext sehen wir vor allem in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, eine weite Verbreitung von Kinderarbeit. Dazu trifft der Klimawandel das Land bereits heute sehr stark, was Einkommensverluste durch verloren gegangene Ernten und lebensbedrohliche Nahrungsknappheiten zur Folge hat. Aber auch in Indien, Pakistan, Guatemala – überall, wo Erwachsene nicht ausreichend Geld verdienen, um ihre Familien versorgen zu können, müssen Kinder zum Einkommen beitragen. Die Kindernothilfe unterstützt deshalb auch viele einkommensschaffende Maßnahmen für Frauen durch Selbsthilfegruppen und schafft mit Aufklärungsarbeit ein Bewusstsein für die Bedeutung von Bildung für eine bessere Zukunft.
Welche Organisationen haben Sie vor Ort? Und wie finanzieren Sie die Arbeit?
KULAKOW Weltweit arbeiten wir mit rund 300 lokalen Partnerorganisationen zusammen. Es ist uns wichtig, keine Parallelstrukturen aufzubauen, sondern auf die Expertise und Erfahrung der lokalen Organisationen zu setzen. Sie kennen die Menschen, den Kontext und die Herausforderungen am besten und können nachhaltige Maßnahmen entwickeln. Jede Partnerorganisation unterläuft einer Trägerprüfung, dadurch wird eine Bewertung für die kinderrechtsbasierte Arbeit möglich. Gemeinsam entwickeln wir dann Projekte zu verschiedenen Schwerpunkten, beispielsweise Bildung, Gewaltprävention oder Armutsbekämpfung – oder eben Maßnahmen gegen Kinderarbeit. Die Kindernothilfe finanziert sich zu knapp 80 Prozent aus Spenden. Zuwendungen, Zuschüsse und andere Erträge machen die Gesamteinnahmen der Kindernothilfe aus. Alle wichtigen Finanzdaten können im Jahresbericht 2019 nachgelesen werden. Für die Transparenz im Umgang mit Spenden und den sparsamen Umgang mit Personalund Projektkosten erhält die Kindernothilfe jedes Jahr das Siegel des Deutschen Zentralinstitutes für soziale Fragen.