Hohe See im Zehn-Minuten-Takt
Die Rheinfähre bringt die Menschen an 365 Tagen im Jahr von Walsum nach Orsoy und zurück. Außer das Hochwasser stoppt sie.
In Walsum herrscht zur Mittagszeit Hochbetrieb. Auf dem Deich am Rheinufer und auf der Straße direkt unten am Wasser sind ein paar Dutzend Menschen zu sehen. Sie spazieren, sehen sich das Hochwasser an. Nur ein kleiner Teil von ihnen wartet auf das weißblaue Schiff, das auf sie zusteuert.
„Touristen“, sagt Dirk Nowakowski. „Wäre schön, wenn die auch alle mitfahren würden.“Er betreibt die Rheinfähre, die täglich zwischen Walsum und Rheinberg-Orsoy pendelt. Der 50-Jährige hat eigentlich gerade keine Schicht, ist für Reparaturarbeiten aber trotzdem auf seinem Schiff. „Das ist wie bei einer Frau, die muss man pflegen“, sagt er und lacht.
Leer ist die Fähre bei ihren Fahrten am Donnerstag nicht. Aber das ein oder andere Auto und vor allem sehr viel mehr Fußgänger und Fahrradfahrer würden noch auf die Ladefläche der „Glück Auf“passen. Seit 1958 ist das Schiff auf dieser Strecke unterwegs. Am Freitag bleibt es im Hafen, der Wasserstand ist zu hoch. Das verkündet Nowakowski um zwanzig vor drei per Whatsapp. Für seine „Stammgäste“hat er dort eine Gruppe eingerichtet.
„Der Anleger in Walsum ist bei Hochwasser das Problem“, sagt Nowakowski. „Da rutscht man dann drüber.“Schon am Donnerstag muss Fährmann Andreas Rokita einen Umweg fahren. Die übliche Anlegestelle in Walsum ist bereits weit überflutet. „Bei Hochwasser ist es deutlich schwerer“, sagt er. Die Strömung sei stärker, der Weg zum Ufer schwieriger.
Rokita ist einer von acht Mitarbeitern, die bei Nowakowski angestellt sind. Einer von vier Hauptamtlichen. „Der Dienstälteste“, wie er sagt. Vor 30 Jahren kam Rokita aus Polen nach Deutschland und heuerte gleich bei der Fähre an. „Ich musste auf dem Wasser arbeiten“, sagt er. Eine andere Arbeitserlaubnis hatte er nicht. Rokita sieht seinen Job nüchtern. Wer ihn danach fragt, wie ihm seine Aufgabe gefällt, erhält ein „Man gewöhnt sich dran“als Antwort. Langweilig werde ihm aber nicht, betont Rokita. „Jede Fahrt ist anders.“
„Es ist schwer, Personal zu finden“, sagt Nowakowski. Arbeitslose Fährführer, wie der Beruf heute heißt, gebe es so gut wie nicht. Und diejenigen, die einen Job brauchen, reißen sich nicht darum im Zehn-Minuten-Takt zwischen Orsoy und Walsum hin- und herzufahren. „Ich bin gerne auf dem Wasser“, sagt Nowakowski über seine eigene
Motivation. Sein Stiefvater hat früher die Fähre betrieben, dessen leibliche Söhne wollten nicht nachfolgen. Also machte Nowakowski den Fährführerschein und übernahm das Unternehmen. Er hat einen Kollegen im Blick, der ihm wiederum nachfolgen könnte.
Wenn es die Fähre solange gibt. 2020 ist Nowakowski noch ganz gut durchgekommen. 15 Prozent Einbußen habe er im Vergleich zum Vorjahr gehabt. Aber immerhin der Sommer, die wichtigste Jahreszeit für ihn, sei gut gewesen. Nowakowski lebt zwar auch von Pendlern, vor allem aber von den Fahrradfahrern, die an Sonn- und Feiertagen übersetzen. Vieles komme aufs Wetter an. „Wie im Biergarten“, sagt er. Eins sei für ihn allerdings klar: „Wenn ich
wegen Corona den Fährbetrieb einstellen muss, höre ich auf.“
Drei Euro kostet das Fährticket für einen Autofahrer, zwei für einen Radfahrer. Außerdem gibt es Zehner-, Wochen- und Jahreskarten. Mit den Einnahmen kommt Nowakowski gerade so über die Runden. „Eigentlich müssten wir teurer werden“, sagt er. Aber dann, so fürchtet er, würden noch mehr Menschen auf die Rheinbrücken in Duisburg und Wesel ausweichen. Auf der Internetseite seiner Fähre hat er eine Rechnung veröffentlicht, um die Vorzüge zur Straße aufzuzeigen. „Bei der Fahrt mit unserer Fähre können Sie bis zu 70% sparen – und zwar: Geld, Zeit und Nerven“, heißt es dort.
Wirklich schlimme Unfälle sind zwischen Walsum und Orsoy in den vergangenen Jahrzehnten ausgeblieben. Nowakowski erinnert sich an eine Havarie. Die Fähre war mit einem anderen Schiff zusammengestoßen, außer Blechschaden jedoch nichts passiert. Auch bei Rokita ist nicht immer alles gutgegangen.
„Einmal hat es gekracht“, sagt er. Rund 10.000 Euro Schaden sei dabei entstanden. „Auf dem Schiff ist es deutlich schwerer, Kollisionen zu berechnen.“Einfach mal noch schnell vorbeifahren, sei nicht drin. Wenn er von weitem ein Schiff auf dem Rhein queren sieht, muss Rokita schon berechnen, ob er rechtzeitig vorbeifahren kann. „So schnell komme ich da nicht weg.“Und noch eine weitere Rechnung hat Rokita fest im Kopf. Die zu seiner Rente. „29 Monate muss ich noch arbeiten“, sagt er. Dann geht es mit seiner Frau wohl zurück nach Polen.