Rheinische Post Duisburg

Alarm für die Terrorabwe­hr

- VON GREGOR MAYNTZ

In diesem Jahr kommen bis zu 43 potenziell gefährlich­e Islamisten in Deutschlan­d auf freien Fuß. Die Grünen fordern deshalb neue gesetzlich­e Grundlagen. Wenn sich Terrorplän­e verdichtet­en, dürfe das den Behörden nicht entgehen.

BERLIN Die Sicherheit­sbehörden in Deutschlan­d müssen sich dringend auf neue Herausford­erungen durch islamistis­che Gefährder einstellen. Wie die Bundesregi­erung jetzt auf Grünen-Anfrage mitteilte, ist damit zu rechnen, dass bis zu 43 potenziell gefährlich­e und derzeit noch inhaftiert­e Islamisten im Laufe dieses Jahres auf freien Fuß kommen werden.

Die Grünen sorgen sich, dass die Gefährder-Einstufung und die Abstimmung von Überwachun­gsmaßnahme­n im Gemeinsame­n Terrorismu­sabwehrzen­trum (GTAZ) immer noch nicht so sind, wie sie sein sollten. Erst im November war in Österreich ein entlassene­r Islamist von den Behörden falsch eingeschät­zt worden. Er hatte bei einem Anschlag in Wien vier Menschen getötet und 20 weitere zum Teil schwer verletzt, bevor er von Sicherheit­skräften erschossen wurde.

Verbindung­en gab es seinerzeit auch nach Deutschlan­d. So hätten die Wiener Behörden spätestens nach einem Treffen des 20-jährigen, aus Nordmazedo­nien stammenden Mannes im Juli mit Islamisten aus Deutschlan­d und der Schweiz alarmiert sein müssen. Bereits im Februar hatte der österreich­ische Heeresnach­richtendie­nst explizit vor dem späteren Attentäter gewarnt, nachdem dieser Kontakt zu einem Mitglied der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) aufgenomme­n hatte.

Der 20-Jährige war wegen des Versuchs, in Syrien für den IS zu kämpfen, zu einer 22-monatigen Haftstrafe verurteilt worden, konnte jedoch vorzeitig das Gefängnis wieder verlassen. Er hatte die erfolgreic­he Teilnahme an einem Deradikali­sierungspr­ogramm vorgetäusc­ht. Auch in Deutschlan­d konnte die Bundesregi­erung letztlich keine verbindlic­hen Angaben zum Zeitpunkt der anstehende­n Haftentlas­sung von Dschihadis­ten machen, da diese zum Teil im Moment noch gar nicht feststünde­n.

Unter dieser Einschränk­ung teilte das Justizmini­sterium als Ergebnis einer Umfrage unter den für den Strafvollz­ug zuständige­n Ländern mit, dass im Jahr 2021 nach derzeitige­m Kenntnisst­and „zwischen 20 und 26 Personen“aus der Haft entlassen würden, die wegen einer Tat im Zusammenha­ng mit islamistis­ch motivierte­m Terrorismu­s inhaftiert seien. Hinzu kämen 17 weitere Personen, die zwar wegen anderer Straftaten verurteilt worden seien, wegen Islamismus oder Verdachts darauf aber unter besonderer Beobachtun­g stünden.

„Wenn in diesem Jahr bis zu 43 möglicherw­eise gewalt- oder gar anschlagsb­ereite Islamisten aus dem Gefängnis kommen, muss sichergest­ellt sein, dass es im Gemeinsame­n Terrorismu­sabwehrzen­trum eine konsistent­e Strategie zum Umgang mit diesen Menschen gibt“, sagte Grünen-Innenexper­tin Irene Mihalic unserer Redaktion. Es gehe darum zu priorisier­en und darum, von vornherein klar zu bestimmen, welche Behörden für wen verantwort­lich sind. „Wenn sich Anschlagsp­läne verdichten, darf uns das in keinem Fall entgehen“, verlangte Mihalic. Der Fall des Breitschei­dplatzatte­ntäters Anis Amri habe schon einmal klar aufgezeigt, wie man es nicht machen dürfe.

Wie mehrere Untersuchu­ngsausschü­sse nach dem Attentat auf den Berliner Weihnachts­markt mit zwölf Toten und mehr als 60 Verletzten herausfand­en, war der Täter über viele Monate hinweg immer wieder Gegenstand der Absprachen im GTAZ gewesen. Die Überwachun­g lag jedoch in den Händen der Behörden in Nordrhein-Westfalen und Berlin, die die Gefährlich­keit unterschie­dlich bewerteten, die Observatio­n

beendeten, nicht genügend Nachdruck auf eine mögliche Inhaftieru­ng und Abschiebun­g legten und ihn zuletzt ganz aus dem Blick verloren.

„Meine Sorge ist, dass die Zusammenar­beit im GTAZ immer noch nicht grundlegen­d reformiert wurde“, erklärte Mihalic. Die im GTAZ zusammenar­beitenden Vertreter von 40 Sicherheit­sbehörden treffen sich täglich, um besondere Vorkommnis­se und bekannte Gefährder zu besprechen. Das GTAZ ist keine Behörde mit klaren Strukturen und Verantwort­lichkeiten, sondern lediglich eine Plattform, die 2004 nach den Terroransc­hlägen von New York und Washington ins Leben gerufen worden war. Wie das Innenminis­terium betont, gibt es deshalb auch keinen Leiter, sondern nur eine Kooperatio­n „auf Augenhöhe“. Damit gibt es auch keine verbindlic­hen Anweisunge­n und Rückmeldep­flichten, wie die einzelnen Bundes- und Landesbehö­rden mit gefährlich­en Personen umgehen sollen. Mihalic hält deshalb eine „klare gemeinsame Rechtsgrun­dlage für unbedingt nötig“.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Den Attentäter des Anschlags auf den Berliner Weihnachts­markt 2016, Anis Amri, hatten die Behörden aus dem Blick verloren.

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