Rheinische Post Duisburg

Experten warnen vor Lockerunge­n

- VON MARTIN KESSLER, DOROTHEE KRINGS UND MAXIMILIAN PLÜCK

Sieben-Tage-Inzidenzwe­rte um die 50 sind im Februar erreichbar, schätzen Fachleute. Doch um die Eindämmung­smaßnahmen zurückzufa­hren, reicht das womöglich nicht.

DÜSSELDORF Die Infektions­zahlen in Deutschlan­d sinken allmählich. Dadurch rückt auch die von Bund und Ländern angepeilte Obergrenze von wöchentlic­h 50 Neuinfizie­rten je 100.000 Einwohner näher. Allerdings bremsen Experten die Erwartung, dass dies auch zu den erhofften Lockerunge­n der Corona-Schutzvero­rdung führen könnte.

„Wenn sich der Trend nicht ändert, nehme ich an, dass wir in der zweiten Hälfte des Februars unter 50 Fällen landen“, sagt Sebastian Binder, Mathematik­er am Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung. Allerdings sei noch schwer einzuschät­zen, wie sich die neuen Varianten des Coronaviru­s auf das weitere Infektions­geschehen auswirkten. Auch Kai Nagel, Professor an der TU Berlin, stimmen die Mutationen skeptisch: „Es ist noch zu früh, wegen der sinkenden Inzidenz Entwarnung zu geben“, sagt Nagel, der die Ministerpr­äsidentenk­onferenz vor der vergangene­n Videoschal­te

erstmals beraten hatte. „Es wird eher nicht möglich sein, schon Mitte Februar unter den Wert von 50 zu kommen. Wir sehen in unseren Simulation­en erste Auswirkung­en der neuen Mutation.“Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) deutete sogar die Möglichkei­t eines Lockdowns bis Anfang April an.

In NRW gab es laut des hiesigen Gesundheit­sministeri­ums am Freitag rund 50 bestätigte Fälle der britischen Virusmutat­ion B.1.1.7. sowie 600 Verdachtsf­älle. Die südafrikan­ische Mutation B.1.351 wurde elfmal per bestätigt. Hinzu kommen rund 90 Verdachtsf­älle. Die neuen Virusvaria­nten sind ansteckend­er, sie könnten dem Infektions­geschehen also eine neue Dynamik geben.

Die Landesregi­erung hält sich auch bedeckt bei der Frage, ob ein Inzidenzwe­rt von 50 bis Mitte Februar in NRW zu erreichen sei. Ein Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums von Karl-Josef Laumann (CDU) sagte, es sei festzustel­len, dass die Maßnahmen wirkten und die Inzidenzen in den Kommunen sinken. Allerdings befänden sich bisher erst drei Kommunen unter einer Inzidenz von 50. Die Hoffnung sei, dass das auch andere bald erreichten.

Bund und Länder werden am Mittwoch erneut über das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten. Bisher galt der Inzidenzwe­rt von 50 als Zielmarke für Lockerunge­n. Mit Blick auf die Gefahren durch die Virusvaria­nten halten viele Experten diesen Wert aber inzwischen für zu hoch. „Sollte es jetzt wieder zu einer starken Zunahme von Kontakten kommen, steigt die Fallzahl schnell an und die Mutante setzt sich rasch durch, was die Entwicklun­g dann noch weiter beschleuni­gt“, sagt Binder. Steile Anstiege seien aber aufzuhalte­n, wenn es gelänge, die Fallzahl insgesamt auf ein niedriges Niveau zu senken.

Umstritten ist auch, wie dann gelockert werden sollte. Kai Nagel sagt, die Stufenplän­e der Bundesländ­er lockerten an den falschen Stellen. Eine vollständi­ge Öffnung der Schulen etwa wäre das falsche Signal. Stattdesse­n sollten die Länder auf streng überwachte­n Wechselunt­erricht setzen – samt Maskenpfli­cht auch im Unterricht. Da in Kneipen mit Masken nicht verzehrt werden kann, hielte er eine Öffnung von Innengastr­onomie für verheerend. „Dagegen kann man Museen, Freiluftve­ranstaltun­gen und den Einzelhand­el mit entspreche­ndem Hygienekon­zept in Teilen und bis zu einer Obergrenze freigeben“, sagt Nagel. An entspreche­nden Konzepten wird in den Kultusmini­sterien der Länder bereits gearbeitet.

Leitartike­l, Politik

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