Die Tücken der Grenzwerte
Was für eine Enttäuschung! Selbst bei einem Inzidenzwert von 50 warnen Experten inzwischen davor, die Corona-Regeln zu lockern. Ihre Argumente sind nachvollziehbar: Die Mutationen des Coronavirus sind ansteckender – und längst im Land unterwegs. Wer jetzt öffnet, riskiert also, dass sich das Elend mit kurzfristiger Wiederbelebung des sozialen Lebens und erneuter Schließung fortsetzt. Wer sollte das wollen? Doch die Bevölkerung wurde auf einen willkürlichen Grenzwert eingeschworen. Durchhalten, bis wöchentlich 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner erreicht sind, hieß es. Nun soll der Wert doch zu hoch sein, da sind Frust, Unwille, Wut programmiert.
Die Regierung sollte also aufhören, den Bürgern mit scheinbar objektiven Grenzwerten zu suggerieren, es könne einen Punkt geben, ab dem alles wieder „normal“werde. In Wahrheit geht es längst darum, sich an neue Verhaltensnormen zu gewöhnen. Langfristig. Menschen in Räumen ohne Maske zu begegnen, wird absehbar ein Problem bleiben. Also sollten die Verantwortlichen nicht mehr auf Inzidenz-Grenzen starren, sondern überlegen, wie draußen oder in großen Räumen oder mit evaluierter Belüftung viel soziales Leben ermöglicht werden kann. Das sollte auch kulturelle Angebote umfassen. Und die sollten zuerst für jene entwickelt werden, die gerade am bittersten und leider auch nachhaltigsten unter den Kontaktbeschränkungen leiden: Kinder, Jugendliche, isolierte Ältere – und all jene, die sich um diese Menschen kümmern. Und auch nur noch die Zähne zusammenbeißen.
Zielwerte vorzugeben – und aus noch so guten Gründen wieder einzukassieren, hilft nicht mehr weiter. Es muss endlich um die Gestaltung eines neuen Daseins gehen, das sich niemand gewünscht hat. Und das doch alle trifft.
BERICHT EXPERTEN WARNEN VOR LOCKERUNGEN, TITELSEITE