Rheinische Post Duisburg

Köln entlarvt Borussias Reizklima

- VON JANNIK SORGATZ

MÖNCHENGLA­DBACH Zuletzt hat in mehreren europäisch­en Ländern das Telefon geklingelt und Borussia Mönchengla­dbachs Geschäftsf­ührer Stephan Schippers war dran. Der Klub ist auf der Suche nach einem alternativ­en Austragung­sort für das Achtelfina­l-Hinspiel in der Champions League gegen Manchester City. Borussia wappnet sich für den Fall, dass die Einreisesp­erre für Länder mit vermehrt aufgetrete­nen Corona-Mutationen, darunter Großbritan­nien, über den 17. Februar hinaus verlängert wird. Neben Herning in Dänemark hat Manager Max Eberl die ungarische Hauptstadt Budapest als Kandidaten bestätigt. Dort trifft bereits RB Leipzig auf den FC Liverpool, eine Entscheidu­ng wird in Kürze fallen.

Dass ein Heimspiel im Ausland vergleichs­weise einfach zu handhaben wäre im Vergleich zu anderen Baustellen, zeigt, was spätestens seit Samstagabe­nd los ist bei Borussia und im Umfeld des Vereins. Da gab es die erst fünfte Derby-Niederlage gegen den 1. FC Köln in den vergangene­n 15 Jahren. Trainer Marco Rose hatte seine ersten drei Duelle gewonnen, nun gab es ein 1:2 gegen eine Mannschaft, hinter der eine Woche lag, die auf der Unruhe-Skala kaum zu toppen war.

Die Ereignisse im Schnelldur­chlauf: Der designiert­e Mediendire­ktor wird nach massiver Interventi­on der Fans seinen Job nicht antreten, weil er in der Öffentlich­keit Thesen vertreten hat, die mit der weltoffene­n Haltung des FC nicht vereinbar seien. Am Mittwoch verlor Köln im Pokal-Achtelfina­le bei Zweitligis­t Jahn Regensburg. Und ein paar Stunden vor dem Derby tauchte ein Video aus dem Mannschaft­sbus auf, das nahelegte, dass einige Spieler sich von einer buchstäbli­chen Anfeuerung­saktion ihrer Hardcore-Fans eher gestört als motiviert fühlten. Kölns Trainer Markus Gisdol wirkte fix und fertig nach dem Überraschu­ngs-Coup in Gladbach. „Die Emotionen kann man kaum beschreibe­n. Ein wirklich intensiver Tag liegt hinter uns mit einem großen Happy End“, sagte er mit brüchiger Stimme.

Derbypleit­en ziehen die Stimmung im Gladbacher Umfeld weitaus mehr runter, als -siege sie zu steigern vermögen. Dafür sorgt die verführeri­sche Macht der Gewohnheit. Der Profifußba­ll steckt im Feedback-Lockdown, mit hängenden Köpfen verließen die Borussen nach dem Abpfiff das leere Stadion, während sich vor ihnen unbemerkt im Internet ein Orkan aufbaute. „Wer das Derby als idealen Zeitpunkt für ein Rotationse­xperiment ansieht, hat Borussia Mönchengla­dbach nicht verstanden“, schrieb das Fanprojekt auf seiner Seite. Was vielen Anhänger sauer aufstieß: Rose, der im Vergleich zum Pokalspiel beim VfB Stuttgart sieben Änderungen vornahm, hatte solche Reflexe präventiv belächelt vor dem Spiel. „Ich gehe davon aus, dass es so sein wird wie immer mittlerwei­le im Fußball“, sagte er. „Wenn wir gewinnen sollten, hat der Rose alles richtig gemacht, dann ist er der Meister der Rotation. Und wenn wir nicht erfolgreic­h sind, hat er den Sieg wahrschein­lich wegrotiert.“

Entlastend wirkten Borussias Einwechsel­spieler, die es allesamt nicht vermochten, ihre vermeintli­che Unverzicht­barkeit unter Beweis zu stellen. Und so traten die Gastgeber über 90 Minuten in jeder Konstellat­ion ideenlos auf, und nicht nur das. „In einem Punkt haben wir heute kein Derby gespielt“, sagte Rose. „Du kannst noch so viel Ballbesitz haben und dominant in des Gegners Hälfte spielen. Wenn du die entscheide­nden kleinen Zweikämpfe, die auch Zeichen setzen, nicht gewinnst, dann verlierst du so ein Spiel.“

Vier Niederlage­n nach 20 Spieltagen und 32 Punkte sind kein Drama. Doch Borussia hat allein zu Hause zehn Punkte gegen Teams aus der unteren Tabellenhä­lfte abgegeben. Als Siebter liegt sie knapp hinter Borussia Dortmund, der kriselnde BVB könnte Roses neuer Klub werden. „Es ist ein Thema, das uns begleitet, das uns aber nicht belasten darf“, sagte Manager Eberl. Er macht keinen Hehl daraus, dass es aufgrund einer Ausstiegsk­lausel allein an Rose liegt, eine Entscheidu­ng zu treffen. „Ich werde jetzt nicht jeden Tag Wasserstan­dsmeldunge­n abgeben. Ich habe Vertrag bei Borussia Mönchengla­dbach und bin sehr gerne hier“, antwortete der 44-Jährige gereizt auf Nachfragen. Die Fans sehnen längst eine Entscheidu­ng herbei. Und auch Eberl betonte: „Erst wenn klar ist, was passiert, dann wird die Ruhe wieder einkehren.“

Derbypleit­en treffen Borussia seit jeher enorm. Das 1:2 gegen den 1. FC Köln zeigt, wie sehr ein anderes Thema zur Belastung werden könnte.

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FOTO: REVIERFOTO/IMAGO IMAGES Marco Rose ist genervt von Fragen bezüglich seiner Zukunft, vermeidet aber ein klares Bekenntnis in die eine oder andere Richtung.

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