Rheinische Post Duisburg

Eine Karriere wie eine Achterbahn

- VON ELISABETH HUTHER

Angelique Kerber hat zum Auftakt der Australian Open eine deutliche Niederlage hinnehmen müssen. Zwischen die Erfolge der einstigen Nummer eins der Welt mischen sich immer wieder Tiefpunkte.

MELBOURNE Dass Angelique Kerbers sportliche Ambitionen zum Auftakt ins Tennis-Jahr einen Dämpfer bekommen würden, war bereits Mitte Januar noch vor dem ersten Match klar. Die 33-Jährige musste — wie 71 weitere Profis — nach ihrer Ankunft zwei Wochen in strikte Hotelzimme­r-Quarantäne, weil Personen auf ihrem Charterflu­g nach Australien positiv auf das Coronaviru­s getestet worden waren. Doch was Kerber am Montag (Ortszeit) in der ersten Runde der Australian Open erlebte, war dann doch ein Schock. 0:6 in 18 Minuten — so schnell verlor sie den ersten Satz gegen die US-Amerikaner­in Bernarda Pera.

„Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, hätte ich es mir zwei Mal überlegt“, sagte die deutsche Nummer eins nach ihrer Niederlage. Für die Melbourne-Siegerin von 2016 war Australien in diesem Jahr keine Reise wert. „Ich bin keine, die Ausreden sucht. Aber natürlich hat es einen Einfluss, wenn du zwei Wochen lang keine Bälle schlagen kannst“, sagte Kerber nach dem 0:6, 4:6. Dabei gehören die Australian Open zum Saisonauft­akt eigentlich zu Kerbers stärksten Turnieren. In den vergangene­n fünf Jahren erreichte sie immer mindestens das Achtelfina­le, 2016 feierte sie mit ihrem ersten Grand-Slam-Titel in Melbourne den ultimative­n Triumph.

Kaum eine Spielerin war in den vergangene­n zehn Jahren so erfolgreic­h wie sie. 20 verschiede­ne Titelträge­rinnen gab es in dieser Zeit bei den jeweils vier Grand Slams im Jahr (2020 nur drei). Superstar Serena Williams gewann seit 2011 zehn Majors. Mit drei Siegen liegt Angelique Kerber dahinter schon auf Rang zwei, gemeinsam mit Jung-Star Naomi Osaka, die sich bei den US Open im vergangene­n Jahr ihren dritten Grand-Slam-Titel sicherte.

Doch ihre ehemalige Kapitänin des Fed-Cup-Teams, Barbara Rittner, sagte einmal über sie: „Sie ist ein Mensch, der trotz der Erfolge immer wieder zweifelt, sich hinterfrag­t, sich unwohl fühlt.“Kerber zaudert schnell und zieht sich dann selbst runter. Bei ihren Konkurrent­innen

galt sie lang als labil. Bei den WTA-Finals 2015 fehlte ihr nur ein Satzgewinn zum Einzug ins Halbfinale, doch sie verlor ihr Match 0:2. „Ich höre noch das Gerede in der Umkleide. ‚Sie hat ihre Nerven nicht im Griff. Sie kann mit dem Druck nicht umgehen.‘“, sagte sie später.

Boris Becker sagte über Kerber, sie habe die Fähigkeit, sich mental hinzuricht­en. Doch wenn sie an sich glaubt, ist sie unfassbar schwer zu schlagen. Dann kann sie fast jedes Spiel noch drehen. Mit ihrer defensiven Spielweise zermürbt sie ihre Gegnerinne­n. Sie erläuft jeden Ball und bringt ihn noch zurück. Bei ihrem Triumph in Melbourne 2016 stand sie bereits in der ersten Runde vor dem Aus. Ihre Gegnerin Misaki Doi hatte schon Matchball, doch Kerber kämpfte sich zurück.

Doch trotz ihrer vielen Erfolge — sie holte 17 Jahre nach Steffi Graf erstmals wieder einen Grand-SlamTitel für die deutschen Frauen — erlebte sie viele Tiefs. In das Lob der Öffentlich­keit mischte sich immer wieder auch Kritik. Die ganz große Anerkennun­g wurde ihr nie zuteil. Vielleicht weil sie sich langsam und nahezu unbemerkt in die Spitze der Weltrangli­ste schlich. Vielleicht weil sie zunächst im Schatten von Sabine Lisicki, die 2013 das Wimbledon-Finale

erreichte, und der extroverti­erten Andrea Petkovic stand. Das Rampenlich­t war nie ihr Ding.

Petkovic berichtete in ihrem Buch „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“über eine Pressekonf­erenz mit Kerber anlässlich des Fed Cups. Ihre „gute Freundin“, wie Petkovic selbst schreibt, hatte eine Woche zuvor die Australian Open gewonnen. Alle Fragen galten ausnahmslo­s Kerber — einzig die letzte Frage wurde an Petkovic gerichtet. Mit einer gewohnt schlagfert­igen Antwort brachte sie den ganzen Raum zum Lachen. „Ich werde niemals so gut mit der Presse umgehen können wie du“, soll Kerber ihr im Nachgang anerkennen­d

gesagt haben.

Für ihren Traum vom GrandSlam-Triumph wurde Kerber lang belächelt. Als sie 14 Jahre alt war befand sie der Deutsche Tennisbund noch für nicht förderungs­würdig — ihr würden Fitness und die nötige Athletik fehlen. Doch sie bewies es allen. Auf der WTA-Tour gehört sie heute — auch mit mittlerwei­le 33 Jahren — zu den fittesten Spielerinn­en. Um ihre Beinarbeit beneiden sie viele. Kerber ist willenssta­rk, aber kein Wunderkind: Auf der Tour haben viele Spielerinn­en mehr Talent, aber wenige arbeiten so hart an sich selbst.

Vor allem den dritten Grand-SlamTitel in Wimbledon 2018 hatten ihr viele nicht mehr zugetraut. Nach ihrer Sensations­saison mit zwei Major-Titeln und Olympia-Silber 2016 war sie im Jahr darauf erheblich eingebroch­en. Bis zum Ende des Jahres war sie von Rang eins auf Platz 21 der Weltrangli­ste abgestürzt. Einige attestiert­en ihr, 2016 ein bisschen über ihren Möglichkei­ten gespielt zu haben. „Ich bin aus solchen Tiefs schon öfter herausgeko­mmen“, sagte Kerber damals. „Ich weiß, dass ich noch stärker zurückkomm­en werde. So einfach gebe ich nicht auf.“Den Beweis trat sie ein Jahr später an, als sie sensatione­ll gegen Serena Williams Wimbledon gewann.

Für Kerber gilt es das auch nach ihrem zweiten Erstrunden-Aus bei einem Grand Slam in Folge wieder zu zeigen. Zwar steigerte sie sich im zweiten Satz gegen Pera und brachte die US-Amerikaner­in immer mehr in Bedrängnis, doch ihr Auftritt im ersten Satz, wo sie zu passiv war und nach nur neun Minuten 0:3 zurück lang, dürfte sie noch eine Weile beschäftig­en.

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FOTO: DEAN LEWINS/IMAGO IMAGES Die Enttäuschu­ng steht ihr ins Gesicht geschriebe­n: Angelique Kerber nach ihrer Niederlage gegen Bernarda Pera in der ersten Runde der Australien Open.

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