Rheinische Post Duisburg

Dem Fußball fehlt das Echo aus der Kurve

- VON KARSTEN KELLERMANN UND JANNIK SORGATZ

In der Pandemie tun sich Vereine schwerer, die Stimmung im Umfeld richtig einzuschät­zen. Ohne das lautstarke Feedback von den Rängen verändert sich so das Spiel für die Profis genauso wie für die Verantwort­lichen.

MÖNCHENGLA­DBACH Die Corona-Pandemie hat den Fußball in ein abgeschlos­senes soziales Funktionss­ystem verwandelt. Die Spiele gehen weiter, indes für die Öffentlich­keit nur als Medienerei­gnis. Fans sind im Stadion nicht erlaubt, und sie fehlen, das werden die Klubs nicht müde zu betonen. Statt Fan-Gesänge gibt es die Rufe der Spieler und Anweisunge­n der Trainer zu hören. Was noch fehlt: Das Echo der Fans als Seismograp­h ist für Stimmungen „draußen“.

Man darf die Frage stellen: Wären die Dinge zum Beispiel auf Schalke anders gelaufen, wenn die Fans dabei gewesen wären seit März 2020? Wenn sie dem Klub hörbar die Meinung gegeigt hätten? Wäre der Klub möglicherw­eise nicht derart in den Abwärtsstr­udel geraten? Das ist Spekulatio­n. Aber eine These wert.

Denn dass der Resonanz-Körper Fankurve wichtig ist, hat nun auch Borussia Mönchengla­dbachs Manager Max Eberl im Interview mit unserer Redaktion gesagt. „Es fehlt uns sicher eine zweistelli­ge Prozentzah­l, wo ich sage: Du hast das Stadion hinter dir, die Fans, die die Mannschaft in der 88. Minute nach vorn peitschen, die unterstütz­en und Druck auf den Gegner erzeugen. Das mag in anderen Stadien weniger eine Rolle spielen, aber bei uns spielt das eine große Rolle“, sagte Eberl. „Darum fehlen uns die Fans nicht nur atmosphäri­sch, sondern auch unterstütz­end, um erfolgreic­h zu sein. Das Stadion wäre doch explodiert nach den herausrage­nden Spielen gegen die Bayern und Dortmund – und genauso wäre es explodiert nach der Derby-Niederlage. Auch das harte Trockenbro­t gehört dazu. Dem stellen wir uns.“

Eberl sagte das im Kontext der Fan-Kritik, die es nach dem der Derby-Niederlage gegen den 1. FC Köln an der Aufstellun­g gab, die Trainer

Marco Rose gewählt hatte. Das Gladbacher Fanprojekt stellte deswegen gleich nach dem Spiel sogar die Vertrauens­frage in Richtung Rose, warf dem 44-Jährigen vor, wer mit einem Derby spiele, haben den Klub nicht verstanden. Später lenkte Thomas Ludwig, der Vorsitzend­e des Fanprojekt­s ein, indem er auf die fehlende Möglichkei­t verwies, im Stadion auf Entwicklun­gen zu reagieren. „Zu normalen Zeiten wären wir ja im Stadion gewesen und hätten mit einem riesengroß­en Pfeifkonze­rt Trainer und Mannschaft in die Kabine geschickt. Aber die Zeiten sind nun mal nicht normal, und somit war die kurze Meldung der emotionale Ausdruck der vielen tief enttäuscht­en

Fans“, sagte Ludwig. Der Meldung folgte jedoch ein üppiges Grollen in den sozialen Netzwerken.

„Wir haben das wahrgenomm­en“, gab Trainer Marco Rose im Vorfeld des Spiels am Sonntag beim VfL Wolfsburg (18 Uhr/Sky) bekannt. Die Wucht dessen, was aus der Fanszene kam, war neu für ihn als Gladbach-Trainer, zuvor wurde er vor allem gefeiert. Den Großteil seiner Zeit hat er aber unter Corona-Umständen verbracht. Ein Nachteil, wie Eberl findet.

„Dass das Feedback aus der Kurve fehlt, ist auch für Marco schade. Er hat den Klub kennengele­rnt, spüren gelernt und ihn gefühlt. Aber er fühlt ihn nicht in allen Facetten, er kann es nicht wegen der Situation. Ich habe hier Jubelfeier­n ebenso erlebt wie Pfeifkonze­rte. Das macht diesen Klub besonders. Es fehlt aktuell eine ganz wichtige Wurzel des Vereins, die Marco in weiten Teilen seiner Zeit hier bisher nicht erleben konnte. Das ist natürlich ein Faktor, der nochmal mehr Bindung erzeugt“, sagte Eberl. Ob Rose in der neuen Saison noch da ist, um mehr Gladbach-Feeling aufzusauge­n, ist weiter offen, es gebe keine Entscheidu­ng stellte Eberl klar.

Rose ist auch nach Gladbach gekommen, um genau diese Facetten, die ein Traditions­verein wie Borussia hat, zu erleben. Nun ist da der aseptische Corona-Zustand, der Fußball verhallt seit knapp einem Jahr buchstäbli­ch ohne Echo. Das kann Vorteile haben, weil das Fan-Raunen Stimmungen anheizen kann. Es fehlt jedoch ein wichtiges Gleichgewi­cht. Die Gladbacher sind auch und gerade in der Corona-Zeit mit ihren Fans im Dialog, versuchen Schwingung­en aufzunehme­n. Doch die letzte Wahrheit liegt in der Emotion des Augenblick­s, also in der Kurve selbst. Und da ist das große Schweigen. Wenn es unter normalen Umständen so ist, weiß ein Team: Es ist fünf vor zwölf. Jetzt intoniert es einfach nur Leere.

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FOTO: IMAGO IMAGES Aus der Leere des Raums: Gladbachs Trainer Marco Rose (l.) und Sportdirek­tor Max Eberl Ende 2020 beim Spiel gegen Hoffenheim.

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