„Die RKI-Leute waren keine große Hilfe“
Der Landrat des Kreises Heinsberg erinnert sich an das Krisenmanagement in den ersten Tagen der Pandemie.
HEINSBERG Für viele Menschen im Kreis Heinsberg und weit darüber hinaus steht Landrat Stephan Pusch (CDU) für beispielhaftes Krisenmanagement während der Pandemie. Bekannt wurde er nicht zuletzt durch seine Facebook-Videos, in denen er bemerkenswert offen und authentisch über die Lage im Kreisgebiet berichtete.
Herr Pusch, könnten Sie sich vorstellen, Armin Laschet als Ministerpräsidenten zu beerben, sollte er nach Berlin gehen?
STEPHAN PUSCH Man soll ja nie „nie“sagen! Dennoch stellt sich für mich die Frage überhaupt nicht. Ich fühle mich hier in Heinsberg sehr wohl und habe jeden Tag eine Aufgabe vor der Brust, die mir Spaß macht.
Sie genießen großen Rückhalt in der Bevölkerung, ihre Videos zur Corona-Lage werden in den sozialen Medien hunderttausendfach geklickt und kommentiert...
PUSCH Ja, das stimmt. Ich bekomme auch Tausende Briefe und Mails mit der Bitte, doch Kanzler oder zumindest Ministerpräsident zu werden.
Aber…
PUSCH ...das ist nicht mein Ziel. Ich bin sehr glücklich über die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeitern und über das Vertrauen, das mir die Bevölkerung aus dem Kreis Heinsberg entgegenbringt. Das hat sich auch in meinem Wahlergebnis im letzten Jahr widergespiegelt. Ich wurde mit fast 80 Prozent wiedergewählt.
Wir alle erinnern uns an das Ereignis im Februar 2020 in Ihrem Kreis. An Karneval bekamen Sie die Nachricht über den ersten Corona-Fall in NRW. Sie wurden quasi über Nacht deutschlandweit als Krisenmanager bekannt…
PUSCH Das fing ganz harmlos an. Mit einem Anruf von meinem Vertreter, der mir sagte, dass wir zwei bestätigte Corona-Fälle haben, die in der Düsseldorfer Uniklinik sind. Und die beiden sind ziemlich viel unterwegs gewesen in den Tagen zuvor – in Kontakt mit einer unbegrenzten Zahl an Personen im Karneval. Ich bin daraufhin sofort zur Kreisverwaltung gefahren und bekam bei der Fahrt ein mulmiges Gefühl. Denn das, was der Gau für eine Verbreitung des Virus ist, hatte stattgefunden.
Wie ging es dann weiter?
PUSCH Wir haben sofort einen Krisenstab gebildet und versucht, Kontakt mit dem Ministerium zu bekommen. Aber da war im Prinzip gar keiner zu kriegen; es war Karnevalsdienstag. Ich habe dann zunächst Finanzminister Lutz Lienenkämper kontaktiert, weil ich ihn vom Studium
her kannte. Am Abend hatte ich dann Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann am Hörer. Dem konnte ich nur sagen, was wir vorhaben.
Und das war?
PUSCH Ab Aschermittwoch sofort alle Schulen und Kindergärten zumachen. Feiern einschränken, Bevölkerung warnen: Haltet Abstand. Alle Namen der Karnevalssitzung in Erfahrung bringen und Kontaktpersonen abklappern. Das haben wir in ein paar Stunden aus dem Boden gestampft. Alle guckten mich an nach dem Motto: Machen wir das jetzt wirklich so? Und ich: Ja!
Keine Zweifel gehabt, das so zu machen? Solche Eingriffe ins öffentliche Leben waren ja beispiellos.
PUSCH Eigentlich nicht! Wenn man das sachlich im Team mit allen Experten diskutiert und alle wichtigen Informationen über die Lage hat, nicht. Und das haben wir gemacht. Wir kamen zu dem Schluss, dass uns gar nichts anders übrigbleibt, also so zu handeln. Ich bin auch nicht derjenige, der sagt: Jetzt machen wir erst einmal gar nichts und warten ab, was die in Düsseldorf in der Landesregierung sagen. Das halten mir die Bürger auch zu Gute. Unser Bauchgefühl, das man haben muss, hat uns auch nicht getäuscht. Und wenn man sich heute nochmal vor Augen führt, was wir anfangs für Schwierigkeiten hatten, bin ich erstaunt, dass wir das überhaupt halbwegs hinbekommen haben. Masken und Schutzkittel waren ja sofort ausverkauft.
Tags darauf saßen Sie in Düsseldorf mit dem Gesundheitsminister und Vertretern des Robert-Koch-Instituts zusammen …
PUSCH Der Minister sagte dann zu mir: Pusch, die Pandemie, die werden wir wohl nicht mehr aufhalten. Ich habe dann vorgestellt, was wir alles machen. Und dann war da Ruhe. Mein Eindruck war, dass die erstaunt waren, dass wir in so kurzer Zeit so konsequent Maßnahmen umgesetzt haben. Und die haben eigentlich gar nichts mehr ergänzt. Es wurde nur gesagt, dass wir zur Verstärkung des
Krisenstabes noch RKI-Leute bekommen. Die waren letztlich aber keine große Hilfe, eher ein Ballast, weil wir mit dem RKI anfangs richtig gezankt haben um Standards.
Was wollten die denn?
PUSCH Sachen machen, die hier unser Gesundheitssystem an die Wand gefahren hätten. Die haben zum Beispiel verlangt, dass alle Kontaktpersonen, die irgendwie im Gesundheitssystem arbeiten, mit einem zweiwöchigen Berufsausübungsverbot belegt werden. Wenn wir das gemacht hätten, wäre das System zusammengebrochen.
Für große Aufmerksamkeit sorgen regelmäßig Ihre Videos, die Sie unter anderem auf Facebook veröffentlichen.
PUSCH Ich sage darin, was Sache ist und was mich bewegt. Und dabei nehme ich kein Blatt vor den Mund. Ich kann mich da auch in Rage reden. Man muss brutal ehrlich sein, der Bürger ist nicht blöd. Die Idee dazu hatte meine Frau gleich am ersten Abend der Pandemie. Sie meinte, ich muss die Bevölkerung über die Lage informieren. Mit einem Video würde das gut funktionieren. Und das war goldrichtig. Letztens fragte mich ein Fahrer auf dem Weg zu einem Fernsehauftritt, ob ich wegen der Videos Millionär wäre. Die Videos würden schließlich millionenfach angeklickt. Ich musste lachen. Nein, Geld verdiene ich damit nicht.
Wie sehen Sie das aktuelle Stimmungsbild in der Bevölkerung? PUSCH Der Rückhalt in der Bevölkerung ist schon schwer gebröckelt. Das ganze Chaos rund ums Impfen hat massiv dazu beigetragen. Man hätte klar sagen müssen, dass man da Mist gebaut hat. Aber stattdessen wurde rumgeeiert und nach Ausflüchten gesucht. Aber der Bürger ist nicht dumm. Manchmal denken die hohen Politiker, dass die Leute auf der Straße das alles nicht mitbekommen. Aber die kriegen das mit und machen sich ihr Bild. Die Bürger geben nicht immer Laut. Aber irgendwann ist genug.
Befürchten Sie Ausschreitungen wie in den Niederlanden?
PUSCH Wir haben derzeit eine ganz empfindliche Phase: Viele Erwartungen wurden enttäuscht. Wenn mich einer vor ein paar Wochen gefragt hätte, ob das hier auch möglich wäre, hätte ich gesagt: Nein. Aber ich bin mir da nicht mehr sicher. Wenn Volkszorn mal so richtig überkocht… Darum müssen wir die Impfung jetzt hinbekommen. Das ist die einzige Tür, die uns offensteht, um aus der Pandemie zu kommen.