Mit Clausewitz gegen den Iran
Unser Autor plädiert im Vorfeld eines neuen Atom-Deals mit Teheran für den Vorrang der Politik vor rein technischen Lösungen. Dem Westen, vor allem den USA, empfiehlt er alte preußische Strategiegrundsätze.
Angela Merkel sprach Klartext: „Israels Sicherheit ist deutsches Staatsinteresse“, erklärte die Bundeskanzlerin 2008 vor dem israelischen Parlament. Die deutsche Regierungschefin antwortete auf Drohungen des Regimes in Teheran, das offen zur Vernichtung des jüdischen Staates aufrief. Merkels Bekenntnis löste in Israel eine Welle der Sympathie für Deutschland aus. Berlin habe aus seiner Geschichte gelernt und sich unmissverständlich zum Existenzrecht Zions bekannt. Ähnliche Statements war man in Israel von den Vereinigten Staaten gewohnt. Dabei zählt für Washington die gemeinsame demokratische Wertebasis. Doch die Erfahrung hat die Israelis gelehrt, dass Taten mehr zählen als gute Worte. Frei nach Heinrich Heine: „Worte, Worte, keine Taten ... immer Sauce, keinen Braten.“
Derweil trieb der Iran ein nukleares Aufrüstungsprogramm voran, das dem Bau atomarer Waffen dienen konnte. Die Berichte der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO lösten in Washington und in Europa große Besorgnis aus. Auf dem Spiel standen demokratische Verbundenheit und wirtschaftliche Interessen – der Iran ist ein traditioneller Handelspartner der USA und Deutschlands – sowie das Bestreben, ein Mindestmaß an Stabilität am Persischen Golf zu wahren, wo sich die größten Erdölreserven befinden.
Die USA und Deutschland, Großbritannien und Frankreich bemühten sich um eine Übereinkunft mit dem Iran, die Teheran zu einer Einstellung seines atomaren Aufrüstungsprogramms bewegen sollte. Als Preis sollten die Wirtschaftsbeziehungen wiederaufgenommen und iranische Guthaben in den USA freigegeben werden.
Einen entscheidenden Schub bekamen die Bestrebungen zu einem Ausgleich mit Teheran 2009 seit dem Beginn der Präsidentschaft Barack Obamas. Der Demokrat strebte eine globale Friedenspolitik an. Nach wenigen Wochen im Amt nahm die US-Administration Kontakte mit Teheran auf. Obama gab ein Interview, in dem er seine Absicht eines Ausgleichs betonte. Dass Obama im Herbst 2009 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, stärkte das friedliche Bestreben Washingtons. Neben den westeuropäischen Nato-Verbündeten der USA, Berlin, Paris und London, wurden auch die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder Russland und China sowie der Iran an den Verhandlungen beteiligt. Israel und moderate arabische Staaten, gegen die sich die aggressiven Aktionen Teherans richteten, blieben indes außen vor. Das weckte in Israel Erinnerungen an das Münchner Abkommen von 1938, als über das Schicksal der Tschechoslowakei ohne deren Beteiligung verhandelt wurde.
Die Gespräche verliefen zäh. Denn das Mullah-Regime muss nicht in dem Ausmaß wie westliche Demokratien Rücksicht auf die öffentliche Meinung nehmen. Zudem kannte der Iran den Stress, unter den sich Washington selbst setzte, möglichst rasch ein Friedensabkommen zu erzielen. Teheran konnte jederzeit den Druck erhöhen, indem es seine verbündeten Gruppen und Verbände wie schiitische Hisbollah-Milizen im Libanon, entsprechende Einheiten im Irak, in Gaza und im Jemen zu militärischen Aktionen ermutigte. Gleichzeitig drängten Israel und Saudi-Arabien Washington zum Vorgehen gegen den Iran.
Im Sommer 2015 kam es schließlich zur Übereinkunft. Sie sah das Einfrieren der Zahl der iranischen Zentrifugen vor, mit deren Hilfe Uran zu einem für die Produktion von atomaren Sprengsätzen notwendigen Grad angereichert wird. Das vorhandene Uran sollte auf niedrigem Stand verbleiben, Inspektoren der IAEO sollten die iranischen Anlagen kontrollieren. Die Vertragsdauer sollte zehn Jahre betragen. Technisch war das Abkommen dicht. Doch es enthielt zwei entscheidende politische Mängel: Die bedrohten Staaten besaßen keine Mitwirkungsmöglichkeiten. Und Teheran wurde erlaubt, seine Aggressionspolitik und seine Aktionen fortzusetzen. Was der Iran nun vermehrt tat. Denn als Belohnung für seine technische Kooperation wurden die Wirtschaftsblockade aufgehoben und die Gelder freigegeben. Der Iran besaß genügend Geld, um seine selbst erkorenen Feinde durch seine Vasallen angreifen zu lassen und sein Raketenprogramm auszubauen.
Das ist der entscheidende Haken des Deals. Er berücksichtigt nicht die grundlegende Erkenntnis des deutschen Strategen Carl von Clausewitz: Krieg ist lediglich die Fortsetzung des politischen Verkehrs mit anderen Mitteln. Das bedeutet: Wenn der Iran an seiner politischen Absicht festhält, Israel zu vernichten, wird es sich davon dauerhaft nicht durch technische Regelungen bremsen lassen.
Dies sah auch Donald Trump ein. Eingangs seiner Präsidentschaft wollte er mit Teheran ins Geschäft kommen. Doch das Mullah-Regime war zu keinem Zeitpunkt bereit, von seiner Aggressionspolitik speziell gegen Saudi-Arabien und in Syrien abzulassen. Auch nicht, als die USA aus dem Nuklearabkommen ausstiegen, den wirtschaftlichen Druck auf Teheran steigerten und Militäraktionen wie die Ermordung des Generals der Revolutionsgarden, Kassem Soleimani, ausführten. Der Iran taumelte – aber er fiel nicht.
Mit der Wahl Joe Bidens steht Washington vor einer neuen Kehrtwende. US-Außenminister Antony Blinken, der am Deal von 2015 beteiligt war, will wieder zu einem Ausgleich mit Teheran kommen. Die Europäer, speziell Bundesaußenminister Heiko Maas, drängen dazu. Doch in Washington hat man eingesehen, dass ein Pakt auch eine politische Dimension besitzen muss. Ein Abkommen, das die Region befrieden soll, muss das Existenzrecht aller Staaten respektieren. Es ist indessen unwahrscheinlich, dass Teheran sich darauf einlassen wird. Zumindest bräuchte es dazu viel Geduld. Eine seltene Tugend in Demokratien.
Der Atom-Deal mit dem Iran weckte in Israel Erinnerungen
an München 1938
Der Autor
Rafael Seligmann wurde 1947 in Tel Aviv geboren. Er lebt seit 1957 in Deutschland. Seligmann studierte und lehrte Politische Wissenschaften an deutschen und britischen Universitäten. Er arbeitet gegenwärtig an einer Trilogie seiner Familie. Zuletzt erschien: „Hannah und Ludwig. Heimatlos in Tel Aviv“.