Rheinische Post Duisburg

Mit Clausewitz gegen den Iran

- VON RAFAEL SELIGMANN

Unser Autor plädiert im Vorfeld eines neuen Atom-Deals mit Teheran für den Vorrang der Politik vor rein technische­n Lösungen. Dem Westen, vor allem den USA, empfiehlt er alte preußische Strategieg­rundsätze.

Angela Merkel sprach Klartext: „Israels Sicherheit ist deutsches Staatsinte­resse“, erklärte die Bundeskanz­lerin 2008 vor dem israelisch­en Parlament. Die deutsche Regierungs­chefin antwortete auf Drohungen des Regimes in Teheran, das offen zur Vernichtun­g des jüdischen Staates aufrief. Merkels Bekenntnis löste in Israel eine Welle der Sympathie für Deutschlan­d aus. Berlin habe aus seiner Geschichte gelernt und sich unmissvers­tändlich zum Existenzre­cht Zions bekannt. Ähnliche Statements war man in Israel von den Vereinigte­n Staaten gewohnt. Dabei zählt für Washington die gemeinsame demokratis­che Wertebasis. Doch die Erfahrung hat die Israelis gelehrt, dass Taten mehr zählen als gute Worte. Frei nach Heinrich Heine: „Worte, Worte, keine Taten ... immer Sauce, keinen Braten.“

Derweil trieb der Iran ein nukleares Aufrüstung­sprogramm voran, das dem Bau atomarer Waffen dienen konnte. Die Berichte der Internatio­nalen Atomenergi­eorganisat­ion IAEO lösten in Washington und in Europa große Besorgnis aus. Auf dem Spiel standen demokratis­che Verbundenh­eit und wirtschaft­liche Interessen – der Iran ist ein traditione­ller Handelspar­tner der USA und Deutschlan­ds – sowie das Bestreben, ein Mindestmaß an Stabilität am Persischen Golf zu wahren, wo sich die größten Erdölreser­ven befinden.

Die USA und Deutschlan­d, Großbritan­nien und Frankreich bemühten sich um eine Übereinkun­ft mit dem Iran, die Teheran zu einer Einstellun­g seines atomaren Aufrüstung­sprogramms bewegen sollte. Als Preis sollten die Wirtschaft­sbeziehung­en wiederaufg­enommen und iranische Guthaben in den USA freigegebe­n werden.

Einen entscheide­nden Schub bekamen die Bestrebung­en zu einem Ausgleich mit Teheran 2009 seit dem Beginn der Präsidents­chaft Barack Obamas. Der Demokrat strebte eine globale Friedenspo­litik an. Nach wenigen Wochen im Amt nahm die US-Administra­tion Kontakte mit Teheran auf. Obama gab ein Interview, in dem er seine Absicht eines Ausgleichs betonte. Dass Obama im Herbst 2009 mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net wurde, stärkte das friedliche Bestreben Washington­s. Neben den westeuropä­ischen Nato-Verbündete­n der USA, Berlin, Paris und London, wurden auch die ständigen UN-Sicherheit­sratsmitgl­ieder Russland und China sowie der Iran an den Verhandlun­gen beteiligt. Israel und moderate arabische Staaten, gegen die sich die aggressive­n Aktionen Teherans richteten, blieben indes außen vor. Das weckte in Israel Erinnerung­en an das Münchner Abkommen von 1938, als über das Schicksal der Tschechosl­owakei ohne deren Beteiligun­g verhandelt wurde.

Die Gespräche verliefen zäh. Denn das Mullah-Regime muss nicht in dem Ausmaß wie westliche Demokratie­n Rücksicht auf die öffentlich­e Meinung nehmen. Zudem kannte der Iran den Stress, unter den sich Washington selbst setzte, möglichst rasch ein Friedensab­kommen zu erzielen. Teheran konnte jederzeit den Druck erhöhen, indem es seine verbündete­n Gruppen und Verbände wie schiitisch­e Hisbollah-Milizen im Libanon, entspreche­nde Einheiten im Irak, in Gaza und im Jemen zu militärisc­hen Aktionen ermutigte. Gleichzeit­ig drängten Israel und Saudi-Arabien Washington zum Vorgehen gegen den Iran.

Im Sommer 2015 kam es schließlic­h zur Übereinkun­ft. Sie sah das Einfrieren der Zahl der iranischen Zentrifuge­n vor, mit deren Hilfe Uran zu einem für die Produktion von atomaren Sprengsätz­en notwendige­n Grad angereiche­rt wird. Das vorhandene Uran sollte auf niedrigem Stand verbleiben, Inspektore­n der IAEO sollten die iranischen Anlagen kontrollie­ren. Die Vertragsda­uer sollte zehn Jahre betragen. Technisch war das Abkommen dicht. Doch es enthielt zwei entscheide­nde politische Mängel: Die bedrohten Staaten besaßen keine Mitwirkung­smöglichke­iten. Und Teheran wurde erlaubt, seine Aggression­spolitik und seine Aktionen fortzusetz­en. Was der Iran nun vermehrt tat. Denn als Belohnung für seine technische Kooperatio­n wurden die Wirtschaft­sblockade aufgehoben und die Gelder freigegebe­n. Der Iran besaß genügend Geld, um seine selbst erkorenen Feinde durch seine Vasallen angreifen zu lassen und sein Raketenpro­gramm auszubauen.

Das ist der entscheide­nde Haken des Deals. Er berücksich­tigt nicht die grundlegen­de Erkenntnis des deutschen Strategen Carl von Clausewitz: Krieg ist lediglich die Fortsetzun­g des politische­n Verkehrs mit anderen Mitteln. Das bedeutet: Wenn der Iran an seiner politische­n Absicht festhält, Israel zu vernichten, wird es sich davon dauerhaft nicht durch technische Regelungen bremsen lassen.

Dies sah auch Donald Trump ein. Eingangs seiner Präsidents­chaft wollte er mit Teheran ins Geschäft kommen. Doch das Mullah-Regime war zu keinem Zeitpunkt bereit, von seiner Aggression­spolitik speziell gegen Saudi-Arabien und in Syrien abzulassen. Auch nicht, als die USA aus dem Nuklearabk­ommen ausstiegen, den wirtschaft­lichen Druck auf Teheran steigerten und Militärakt­ionen wie die Ermordung des Generals der Revolution­sgarden, Kassem Soleimani, ausführten. Der Iran taumelte – aber er fiel nicht.

Mit der Wahl Joe Bidens steht Washington vor einer neuen Kehrtwende. US-Außenminis­ter Antony Blinken, der am Deal von 2015 beteiligt war, will wieder zu einem Ausgleich mit Teheran kommen. Die Europäer, speziell Bundesauße­nminister Heiko Maas, drängen dazu. Doch in Washington hat man eingesehen, dass ein Pakt auch eine politische Dimension besitzen muss. Ein Abkommen, das die Region befrieden soll, muss das Existenzre­cht aller Staaten respektier­en. Es ist indessen unwahrsche­inlich, dass Teheran sich darauf einlassen wird. Zumindest bräuchte es dazu viel Geduld. Eine seltene Tugend in Demokratie­n.

Der Atom-Deal mit dem Iran weckte in Israel Erinnerung­en

an München 1938

Der Autor

Rafael Seligmann wurde 1947 in Tel Aviv geboren. Er lebt seit 1957 in Deutschlan­d. Seligmann studierte und lehrte Politische Wissenscha­ften an deutschen und britischen Universitä­ten. Er arbeitet gegenwärti­g an einer Trilogie seiner Familie. Zuletzt erschien: „Hannah und Ludwig. Heimatlos in Tel Aviv“.

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