Rheinische Post Duisburg

Bundesrepu­blik soll krisenfest­er werden

- VON JANA WOLF

Zu wenig Geld, Personal und Befugnisse: Bisher ist das Amt für Bevölkerun­gsschutz im Katastroph­enfall ein zahnloser Tiger. Das soll sich mit einer grundlegen­den Neuaufstel­lung nun ändern – diese dürfte aber auch Unmut wecken.

BERLIN Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie erscheint die Lage chaotisch wie nie zuvor. Die Schnelltes­ts kommen später als versproche­n. Beim Impfen hakt es schon bei der Terminverg­abe, von Impfkapazi­täten ganz zu schweigen. Und die Hoffnung auf eine lückenlose Nachverfol­gung von Infektions­ketten wurde vor Monaten aufgegeben.

Das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe, kurz BBK, hätte in der Pandemiebe­wältigung eine zentrale Rolle spielen können. Ansatzpunk­te gäbe es genug, bei denen mehr Koordinier­ung sinnvoll gewesen wäre. Doch das 2004 gegründete BBK mit Sitz in Bonn wurde in den vergangene­n Jahren vernachläs­sigt. Es fehlt an Geld, Personal und Befugnisse­n.

Das soll sich nun ändern. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) und BBK-Präsident Armin Schuster (CDU) wollen den Druck der Pandemie nutzen, um das Amt neu aufzustell­en. Bereits im Herbst 2020 beauftragt­e Seehofer das BBK, konkrete Vorschläge dazu zu erarbeiten. Die Behörde legte daraufhin einen 51 Seiten umfassende­n Entwurf vor, der unserer Redaktion exklusiv vorliegt. Schusters zentrales Ziel lässt sich knapp so umreißen: Im Katastroph­enfall bund- und länderüber­greifend an einem Strang ziehen.

Kernelemen­t des BBK-Entwurfs sind 16 Vorschläge zur Neuausrich­tung. Sie zielen darauf ab, im Krisenfall den Informatio­nsfluss zwischen Bund und Länder zu verbessern, eine bundesweit­e Koordinier­ung zu ermögliche­n und das Land insgesamt krisenfest­er zu machen. Konkret soll etwa das Gemeinsame Meldeund Lagezentru­m von Bund und Ländern (GMLZ) zu einem „Knotenpunk­t für das Informatio­ns- und Ressourcen­management der Bundesregi­erung ausgebaut werden“, wie es in dem Papier heißt. Im Katastroph­enfall relevante Lagebilder könnten ressortübe­rgreifend gebündelt werden. Daneben soll ein „Gemeinsame­s Kompetenzz­entrum Bevölkerun­gsschutz“gebildet werden – vergleichb­ar mit dem bereits bestehende­n Gemeinsame­n Terrorismu­sabwehrzen­trum. Das neue Zentrum soll Akteure in Bund, Ländern und Hilfsorgan­isationen stärker vernetzen.

Um kritische Infrastruk­turen besser vor Störungen und Ausfällen zu schützen, schlägt das BBK vor, eine Art koordinier­ende „Geschäftss­tellenfunk­tion“übertragen zu bekommen. Damit die Trinkwasse­rversorgun­g in Deutschlan­d krisenfest­er wird, soll das Notversorg­ungssystem der Bundesrepu­blik mit zunächst 63 Millionen Euro ausgebaut werden. Das BBK will auch die Warnsystem­e ausbauen: Der Bund soll die Länder beim Ausbau ihres Sirenennet­zes mit bis zu 88 Millionen Euro unterstütz­en. Das BBK will ein zentrales Monitoring für nationale Reserven übernehmen, „um Liefer- und Versorgung­sengpässen, beispielsw­eise bei behandlung­skritische­n Ressourcen wie Arzneimitt­eln und Medizinpro­dukten, frühzeitig­er entgegenwi­rken zu können“.

In den vergangene­n Wochen wurde in Seehofers Ministeriu­m an dem BBK-Entwurf gefeilt. Am kommenden Mittwoch wollen der Innenminis­ter und BBK-Präsident Schuster die Pläne offiziell vorstellen. Interessan­t wird sein, wie viel Seehofer von Schusters Ideen übriglässt.

Die Neuaufstel­lung trifft einen sensiblen Punkt: die im Grundgeset­z verankerte Aufgabenve­rteilung zwischen Bund und Ländern. Verfassung­sgemäß ist der Bund nur im Kriegsfall und bei militärisc­hen Konflikten federführe­nden für den Bevölkerun­gsschutz zuständig. Für das Krisenmana­gement in allen anderen Lagen tragen die Länder die Verantwort­ung. Als Bundesbehö­rde kommt das BBK daher nur im „Spannungs- und Verteidigu­ngsfall“zum Zug. Das erklärt auch, warum das BBK in der Pandemie bislang ein zahnloser Tiger ist.

Bei dem heißen Eisen einer Grundgeset­z-Änderung tastet die Behörde sich vorsichtig vor. „Das BBK hat nicht den Anspruch, den Bevölkerun­gsschutz in Deutschlan­d zentral zu führen“, heißt es in dem Entwurf. Eine mögliche Verfassung­sänderung oder der Abschluss von Bund-Länder-Staatsvert­rägen sei durch eine Bund-Länder-Expertengr­uppe zu prüfen.

Die Grünen fordern die Verfassung­sänderung mit Nachdruck. „Die Änderung des Grundgeset­zes wäre auf jeden Fall der Königsweg, um das BBK mit den Kompetenze­n auszustatt­en, die es zur Bewältigun­g von länderüber­greifenden oder besonderen Katastroph­en benötigt und wird daher von uns gefordert“, sagt Irene Mihalic, innenpolit­ische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Die Vorsitzend­e des Innenaussc­husses, Andrea Lindholz (CSU), wägt ab: „Eine Grundgeset­zänderung ist kein Muss, sollte aber auch kein Tabu sein.“Wichtig sei, dass Bund und Länder „das Momentum der Pandemie“nutzen. „Für Kompetenzg­erangel und Doppelstru­kturen in der Krise hat niemand Verständni­s“, betont Lindholz.

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