Das laute Schweigen
Die Zivilgesellschaft sollte in der Corona-Krise viel aktiver sein. Es braucht einen Ruck.
Manchmal, so scheint es in diesen Tagen, ist alles wie früher. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern, die ersten Blumen sprießen – und doch nichts ist mehr so wie vor der Corona-Pandemie. Vieles fühlt sich vertraut an – und doch ist alles anders. Für die, die nicht auf Krankenstationen um das Leben von Covid-Betroffenen kämpfen oder fürchten, beschränkt sich der der Kampf gegen das Virus auf schlichte Regeln: daheim blieben, Abstand halten, Masken tragen, möglichst wenige Menschen treffen. Und doch: Die ganze Welt sieht sich einem unsichtbaren Feind gegenüber, Staaten auf der ganzen Welt ringen um den besten Weg aus der Krise heraus. In Deutschland macht die Politik Fehler, darauf wird zu Recht immer wieder hingewiesen.
KERSTIN MÜNSTERMANN
Aber wo sind eigentlich die konzertierten Aktionen der Zivilgesellschaft. Wo die großen Stimmen der Kirchen, der Kultur, der Wissenschaft – abgesehen von den immer selben Experten in den Talkshows? Alles und alle wirken angesichts der nicht enden wollenden Pandemie seltsam gelähmt. Wo ist der große Aufruf der Kultur?
Das eine prägende Lied, die eine gemeinsame Aktion? Wo die von Kirchen organisierte Schweigeminute im ganzen Land? Wo der Zusammenschluss der Forschungseinrichtungen, um noch stärker gegen das Virus vorzugehen? Wo der Aufruf, an Universitäten Infocenter zum Impfen einzurichten, Seniorentransporte aus Kirchengemeinden zu organisieren? Es fehlt die Perspektive. Stimmt. Dann müssen wir sie alle gemeinsam schaffen.
Wenn sich eine Erkenntnis durchgesetzt hat in den vergangenen Wochen, dann doch die: Ohne Impfen wird es nicht gehen. Der Alltag wird so lange nicht zurückkommen, solange nicht genügend Menschen geimpft sind – „wie früher“wird es ehrlicherweise auch dann erst, wenn die Zahl der Ungeimpften sehr klein bleibt. Daher müsste es einen Ruck geben in der Gesellschaft – ein gemeinsames Einsetzen, ein Anpacken. Die Politik darf ein großes gesellschaftliches Engagement dann nur nicht mit starren Regeln behindern. Wenigstens das nicht.
Unsere Autorin ist Leiterin des Berliner Parlamentsbüros. Sie wechselt sich hier mit ihrem Stellvertreter Jan Drebes und Elisabeth Niejahr, der Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung, ab.