Macron hat seine Corona-Wette verloren
Der französische Präsident setzte zu Beginn des Jahres alles auf eine Karte: einen raschen Sieg über das Virus durch Impfungen und wärmeres Wetter. Das ist schiefgegangen. Und nächstes Jahr wird gewählt.
PARIS Man kennt die Situation aus dem Fußball: Ein Stürmer hat schon lange kein Tor mehr erzielt, und je verzweifelter er sich müht, desto weiter entfernt er sich von seinem Ziel. Irgendwann fragen sich sogar die treuesten Fans, ob dieser glücklose Mann auf dem Spielfeld noch der Richtige für den Job ist. Emmanuel Macron befindet sich in dieser Lage. Der französische Staatspräsident, von dem es anfangs hieß, in seinen Händen werde alles zu Gold, ist für das Volk zu einer politischen Enttäuschung geworden. Ausgerechnet in einer der größten Krisen der Republik scheint Macron nicht in der Lage, Frankreich zu führen oder den Menschen zumindest einen Kompass zu geben.
So war der Spott groß, als der dritte Lockdown innerhalb eines Jahres jüngst nicht vom Präsidenten selbst, sondern von Premierminister Jean Castex verkündet wurde. Macron verstecke sich hinter dem Regierungschef, hieß es, weil ihm die Lage längst entglitten sei. Zum Verhängnis wird dem Präsidenten auch seine Feldherrenrhetorik vom Beginn der Corona-Krise. Frankreich befinde sich im Krieg, verkündete er damals. Doch das Virus raffte trotz eines harten Lockdowns mit rigiden Ausgangssperren in Frankreich weit mehr Menschen dahin als in vielen anderen Ländern Europas.
Die Pandemie deckt auch die Folgen von Macrons rigider, am Markt orientierter Reformpolitik auf. So kam das Klinikpersonal schon in den ersten Monaten an seine Grenzen, und der Zorn angesichts kaputtgesparter Krankenhäuser entlud sich auf der Straße, während sich in den Kühlhäusern die Särge stapelten. Als dann französische Patienten nach Deutschland ausgeflogen werden mussten, war die Dankbarkeit der Franzosen gegenüber dem Nachbarn riesengroß – zugleich bedeutete es eine Schmach, dass Frankreich nicht für seine eigenen Menschen sorgen konnte.
Zum Problem wird für Macron auch bisweilen sein Wankelmut. Als im Herbst die zweite Corona-Welle anrollte, änderte der Präsident unversehens seine Taktik. Er hörte nicht mehr auf den Rat der
Virologen, sondern entschied sich für einen Laissez-faire-Kurs. Als der Pariser Großraum Ende Januar alle Alarmwerte überschritt, geschah: nichts. Auch als die Inzidenz dort im März über 400 schnellte, spielte Macron auf Zeit. An der Côte d’Azur und in Teilen Nordfrankreichs verhängte die Regierung dagegen Ausgangssperren, das Fernsehen zeigte leergefegte Strände. Der Präsident schürte damit vor allem die Wut auf die privilegierte Hauptstadt.
Offensichtlich hatte der Präsident zu Beginn des Jahres alles auf eine Karte gesetzt und darauf gewettet, dass das Virus mit schnellen Impfungen und der Ankunft des Frühlings gebannt werden könne. Doch der Impfstart versank im Chaos, und dann wurden auch noch für einige Tage die Impfungen mit Astrazeneca ausgesetzt. Macron hatte seine Wette krachend verloren.
In dieser Situation agierte er erneut ungeschickt. Seine Erklärung, Frankreich habe beim Impfstopp auf das Vorpreschen Deutschlands reagiert, machte die Sache nur noch schlimmer. „Ist es Deutschland, das Europa regiert und Frankreich sagt, was es zu tun hat?“, schleuderte ihm der konservative Senator Bruno Retailleau entgegen.
Die Konkurrenz sieht inzwischen die Stunde gekommen, den Strauchelnden mit Frontalangriffen weiter zu schwächen. Vor allem Marine Le Pen macht sich berechtigte Hoffnungen, Macron 2022 bei der Präsidentenwahl vom Thron zu stoßen. Ihr Rivale habe das Land gespalten, ätzt die Rechtspopulistin.
Macrons einzige Hoffnung ist nun, die Pandemie zügig unter Kontrolle zu bekommen. Seine Bilanz ist bisher wenig überzeugend. In Erinnerung sind die „Gelbwesten“-Proteste, Streiks gegen die Rentenreform und der drohende Zusammenbruch des Gesundheitssystems während der Pandemie.