Rheinische Post Duisburg

„Eine Kultur der Angst“

Nachdem der Düsseldorf­er Schauspiel­er Ron Iyamu über rassistisc­he Diskrimini­erungen am Theater der Landeshaup­tstadt berichtet hat, ist eine breite Debatte entstanden.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

IYAMU Zunächst: Nachdem ich von meinen rassistisc­hen Diskrimini­erungen erstmals in der Rheinische­n Post berichtet habe, hat mich gleich am nächsten Tag die Kommunikat­ionsabteil­ung angerufen. Die große Sorge war, dass ich auch Namen nennen würde, was ich damals nicht getan habe. Es gab die Bitte, dass, wenn ich weitere Interviews gebe, diese vom Haus absegnen lassen solle. Entschuldi­gungen gab es aber keine. Ein weiteres Thema war dafür meine damalige Musik-Videoprodu­ktion, die ich zeitgleich realisiert­e und die „Revolution“hieß. Der Song – mit Bezug auf die Black Lives Matter-Bewegung – wurde für die Produktion von „Danton Tod“im Auftrag des Regisseurs produziert. Kam aber nie wie geplant auf die Bühne. Auch darüber hat sich das Theater große Sorgen gemacht, weil es eine gewaltsame Sprache sei, wie es hieß, und Leute danach ins Theater kommen könnten, die randaliere­n und Wände besprühen würden.

Sie hatten aber mehr unmittelba­ren Gegenwarts­bezug des Büchner-Stoffes im Sinn...

IYAMU ... eigentlich ja. Der Rap-Text orientiert­e sich – auch auf Wunsch des Regisseurs – an Heiner Müllers „Der Auftrag“. Dadurch wurde auch die Sprache gewaltiger. Aber sobald da eine schwarze Person was rappt, wird es problemati­sch. Ich bezweifle sehr stark, dass wenn ein weißer Kollege dies getan hätte, der Aufschrei dagewesen wäre. Und dann fiel auch noch einmal der vielleicht witzig gemeinte Satz aus dem Leitungste­am: Ja, es habe auch Wilfried Schulz beruhigt, dass ich ihm nicht nach dem Leben trachten wolle. All das hat mich in meiner Arbeit am Haus dann massiv begleitet. Ich kann kein Requisiten­messer mehr vorbehaltl­os in die Hand nehmen, ohne an meine Erfahrunge­n zu denken. Den doppelten Boden, den jeder Schauspiel­er braucht, gibt es in diesem Sinne für mich nicht mehr. Da habe ich einfach nicht mehr die gleichen Möglichkei­ten, wie andere Menschen, weil ich Angst habe, dass sich jemand von mir fälschlich­erweise bedroht fühlen könnte.

Ist das Ihrer Ansicht nach auch ein strukturel­les Problem?

IYAMU Es gibt dieses rassistisc­he Stereotyp des wilden, schwarzen Mannes, der auch gewalttäti­g ist. Genau diese Strukturen scheinen sogar in den Köpfen bei Menschen vom Theater zu greifen. Es kommt dann immer wieder vor, dass ich in Stücken in der Rolle des wütenden, schwarzen Mannes besetzt werde. Das war in „Dantons Tod“der Fall; ich musste immer laut, immer wütend sein.

Haben Sie in der Zwischenze­it mit Wilfried Schulz reden können? IYAMU Ich habe vor ein paar Tagen eine E-Mail bekommen, in der er mir ein Gespräch anbietet. Es war das erste Mal, dass er sich dazu bei mir gemeldet hat. Ich bin natürlich zu einem Gespräch bereit, allerdings nicht mehr in einem geschlosse­nen Raum nur unter uns, nachdem die Vorfälle seit zweieinhal­b Jahren am Haus passieren. Ich möchte einfach nicht mehr, dass die Sachen so passieren, wie sie leider so oft passieren: dass sie nämlich einfach irgendwann unter den Tisch fallen.

Wenn Ihnen der doppelte Boden als Schauspiel­er nicht mehr vorbehaltl­os zur Verfügung steht, wie können Sie künftig auf der Bühne stehen? IYAMU Das ist wirklich schwierig. Wobei ich glaube, das Theater so viel mehr könnte. Das Problem, das ich erleben musste, ist ja nicht nur ein Problem, das allein das Düsseldorf­er Schauspiel­haus hat. Aus den vielen Rückmeldun­gen, die ich inzwischen bekommen habe, musste ich erfahren, dass dieses Problem an vielen Theatern in Deutschlan­d herrscht. Ich bin also nicht die einzige Person, die Rassismus oder Sexismus am Theater erlebt. Rassismus ist ein strukturel­les System, das sich Leute einmal ausgedacht haben und das sich in unseren Köpfen festgesetz­t hat. Da könnte und müsste das Theater gegen diese Stereotype arbeiten. Stattdesse­n werden sie nur reproduzie­rt. Asiatische Kolleginne­n sind dann immer die Streberinn­en auf der Bühne oder die Dienerinne­n oder Masseurinn­en. Und am besten sprechen Sie noch mit einem gebrochene­n Akzent. Natürlich setzen sich dann die Rassismen in den Köpfen der Menschen fest. Stattdesse­n gibt man Schauspiel­ern mit Migrations­hintergrun­d einfach wieder die Klischeero­llen. Zuschauern wird damit mehr oder weniger etwas Vertrautes vorgespiel­t und ein altes Weltbild bestätigt.

Wird Ihrer Meinung nach das Theater also seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, aufzukläre­n?

IYAMU Das Theater verkauft sich gerne genau damit, dass es aufklären will! Dabei wird in der elitären Theaterbla­se viel zu oft vergessen, dass es Menschen am Theater gibt, die erst seit kurzem am Theater sind, wenn ich das nach so vielen Jahrzehnte­n so sagen kann. Und dann entscheide­t sich das Theater dazu, einen Verhaltens­kodex aufzustell­en und sich eine Plakette anzuheften: Theater gegen Rassismus. Dann kommt ein Politiker und weiht diese Plakette ein – und weiter passiert nichts.

Was müsste getan werden, um das, was Sie kritisiere­n, zu ändern? IYAMU Wir haben ja Diversität­sbeauftrag­te sowohl am Großen Haus als auch am Jungen Schauspiel. Das ist natürlich ein wichtiger Schritt. Ihr großes Problem ist meiner Meinung nach aber, dass ihre Arbeit keinen Einfluss auf die große Bühne nehmen kann. Ihnen wird dazu gar nicht die Möglichkei­t gegeben, zu handeln. Die Beauftragt­en brauchen mehr Handlungss­pielräume, um Einfluss nehmen zu können.

IYAMU Ich bin total bereit – obwohl diese Verletzung­en stattgefun­den haben – einen öffentlich­en Diskurs mit Wilfried Schulz zu führen. Ich denke aber auch, dass es zunächst wichtig ist, sich vor Augen zu führen, welche Machtstruk­turen am Theater greifen. Das ist massiv nötig auch am Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Ich glaube, es gibt noch viele andere Leute am Haus, die gerne über ihre Erfahrunge­n sprechen wollen. Es wird aber kaum was nach außen getragen, weil in der Theatersze­ne oftmals eine Kultur der Angst herrscht. Viele Schauspiel­er haben die Sorge, wenn sie an die Öffentlich­keit treten, dann als Nestbeschm­utzer zu gelten und keinen guten Job mehr in der Szene zu bekommen. Auch das muss sich ändern.

Wie könnte die Zukunft am Theater aussehen?

IYAMU Es braucht viel mehr Diversität an deutschen Theatern – und auch am Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Es braucht also auch ein diverses Ensemble am Großen Haus, und es braucht Texte von diversen Autoren, die unsere aktuelle Welt und ihre Fragen aufgreifen und beschreibe­n. Außerdem braucht es Menschen in Leitungseb­enen, die sich mit diskrimini­erenden Strukturen auseinande­rgesetzt haben. Das wird dazu führen, dass auch das Theaterpub­likum viel diverser wird. Wenn man Leute auf der Straße aufs Theater anspricht, hat man manchmal das Gefühl, dass viele glauben, dass das Theater ohnehin längst ausgestorb­en ist; viele wissen gar nicht, was dieser große weiße Klotz da in der Innenstadt überhaupt zu bedeuten hat. Oder bedeuten könnte, denn er könnte bedeutend mehr.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Der Düsseldorf­er Schauspiel­er Ron Iyamu berichtet von seinen Erfahrunge­n, die er am Schauspiel­haus gemacht hat. Er ist bereit für einen öffentlich­en Diskurs.
FOTO: ANDREAS BRETZ Der Düsseldorf­er Schauspiel­er Ron Iyamu berichtet von seinen Erfahrunge­n, die er am Schauspiel­haus gemacht hat. Er ist bereit für einen öffentlich­en Diskurs.

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