Das große Piksen
Seit einigen Tagen dürfen auch die Hausärzte gegen Corona impfen. Die Nachfrage ist riesig, der Impfstoff aber noch Mangelware. Trotzdem freuen sich Mediziner und Patienten, dass es endlich losgeht. Eindrücke aus zwei Praxen.
Ralph Köllges sitzt in einem Hinterzimmer seiner Praxis in Mönchengladbach und zieht Spritzen auf. Fingerspitzengefühl ist gefragt. Der Mediziner möchte sieben Impfdosen aus einer Ampulle von Biontech/Pfizer bekommen, also so viel wie möglich. Denn sieben statt nur sechs Impfungen pro Ampulle bedeutet bis zu 16 Prozent mehr Impfstoff. Dafür bedarf es aber einer besonderen Technik. Und Geduld, wie Köllges betont. Er hält die Spritze samt Ampulle gegen das Licht, versucht Bläschen im Ansatz zu vermeiden. Denn nur so würde es klappen. Tatsächlich gelingt es ihm, sechsmal in Folge das Maximum herauszuholen aus den kleinen Fläschchen. „Wer sagt’s denn?“, raunt er zufrieden.
Ralph Köllges gehört zu den Hausärzten in Nordrhein-Westfalen, die seit vergangener Woche in ihren Praxen Patienten gegen Covid-19 impfen. Das Gros der rund 11.000 Hausärzte in NRW werde sich wohl an den Corona-Schutzimpfungen beteiligen, sagt Monika Baaken, Sprecherin des Hausärzteverbands. In NRW soll erst Biontech/Pfizer verabreicht werden. Ab Mitte April gebe es laut Bundesgesundheitsministerium etwa zur Hälfte Biontech/ Pfizer und zur Hälfte Astrazeneca, später auch den Impfstoff von Johnson & Johnson.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) blickt positiv auf den Einstieg der Hausarztpraxen in die Corona-Impfungen. Beim Impfen sei man auf einem guten Weg. In den vergangenen Tagen seien so viele Menschen geimpft worden wie nie zuvor, so Spahn. Köllges ist Kinderarzt und hat eigentlich keine älteren Patienten. Doch das Impfen ist so etwas wie seine Leidenschaft. Seit vielen Jahren macht er sich dafür stark, dass man sich impfen lässt – sei es gegen Masern oder die Grippe. Er ist Präventionsbeauftragter fürs Impfen des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Nordrhein. Daher möchte er sich auch bei der Corona-Schutzimpfung nicht aus der Verantwortung stehlen.
Die Impfungen führt Köllges nach dem regulären Praxisbetrieb durch; begonnen hat er damit am vergangenen Donnerstag von 17 bis 20 Uhr. Dafür macht sein Praxisteam Überstunden. Während Köllges in seinem Hinterzimmer die Spritzen aufzieht, bildet sich im Treppenhaus vor seiner Praxistür eine kleine Warteschlange. Nach und nach werden die Patienten hineingerufen. Sie alle sind gekommen, um sich impfen zu lassen. Die meisten sind erleichtert, endlich die erste Spritze erhalten zu dürfen. „Da fällt einem schon ein Stein vom Herzen“, sagt eine ältere Frau. Und die meisten finden es auch besser, in der Praxis und nicht in einem Impfzentrum die Spritze zu erhalten. „So ist es viel angenehmer und familiärer. Und man weiß, dass man in guten Händen ist“, sagt ein Mann, der mit seiner Frau gekommen ist.
Köllges hat zwei Impfstraßen in seiner Praxis aufgebaut. Rund 60 Patienten werden an dem Tag geimpft, darunter Lilly Brunn, die mit ihrem Ehemann gekommen ist. „Das hat alles sehr gut geklappt“, sagen sie. In sechs Wochen werden die beiden und auch die anderen wieder in die Praxis von Ralph Köllges kommen – dann gibt es die zweite Spritze.
Auch in Solingen bei Helmut Skodda herrscht an diesem Nachmittag Hochbetrieb. Der Hausarzt hat rund 20 seiner Patienten kurzfristig darüber informiert, dass sie von ihm in der Praxis geimpft werden können. „Insgesamt haben wir in dieser Woche 36 Impfdosen zur Verfügung“, sagt der 67-Jährige, „bei etwa 2500 bis 3000 Personen, die wir
pro Quartal behandeln, müssen wir da sorgfältig auswählen.“
Martina Heymer hatte am Vortag kurzfristig erfahren, dass sie kommen kann, erzählt die 60-Jährige. Für sie sei die Nachricht eine große Erleichterung gewesen, weil sie sich wegen ihrer Vorerkrankung immer besonders vorsichtig habe verhalten müssen. „Die Impfung nimmt mir den Druck“, sagt Heymer.
Doch bevor sie die Spritze erhält, geht Arzt Sebastian Alsleben mit ihr noch den Aufklärungsbogen durch, informiert sie über mögliche Nebenwirkungen. Rund zehn Minuten dauert das Gespräch. „Darf ich sie trotzdem impfen?“, fragt er schließlich. Ein kleiner Piks, und die Sache ist erledigt. „Ein tolles Gefühl“, sagt Heymer. „Für mich ist das der Anfang einer positiven Wendung.“
Dafür, dass diese Wendung gelingt, ist auch Michaela Fiedler mit zuständig. Als leitende medizinische Fachangestellte der Praxis mischt sie die Biontech-Impfdosen mit Kochsalzlösung und zieht die Spritzen auf. Die Fläschchen dürfen nicht geschüttelt, sondern nur geschwenkt werden. Sie durfte aber schon bei Impfungen im Altenheim üben. „Am Anfang war ich nervös, da habe ich die Ampullen behandelt, als sei das pures Gold“, erzählt sie. Mittlerweile agiert die 55-Jährige routinierter. Auch sie will bis zu sieben Spritzen aus einem Fläschchen gewinnen, denn: „Das macht schon einen Unterschied, ob man 36 oder 42 Menschen impfen kann“, sagt Fiedler.
Vor allem angesichts des Andrangs, der in der Praxis herrscht. Von morgens bis abends rufen Patienten an und erkundigen sich nach einem Impftermin, kommen deshalb sogar persönlich vorbei. Die Schlange der Wartenden reiche manchmal bis weit auf die Straße hinaus, sagt Fiedler.
Das werde sich bald normalisieren, beruhigt Hausarzt Skodda, auch der zeitliche Aufwand pro Patient werde dann Routine. „Täglich 20 bis 30 Patienten im laufenden Praxisbetrieb zu impfen, das muss das Ziel sein“, sagt Skodda. „Und das wird auch funktionieren, denn wir Hausärzte haben jahrzehntelange Erfahrung im Impfen.“