Rheinische Post Duisburg

Höckes Parteitag

- VON GREGOR MAYNTZ

Beim AfD-Delegierte­ntreffen in Dresden macht der Thüringer Parteichef deutlich, wie groß sein Einfluss bereits ist – und dass er die Partei jederzeit in eine Zuspitzung zu treiben versteht. Das schlägt sich im Wahlprogra­mm nieder.

DRESDEN Die Szene am Sonntagmit­tag in der Dresdner Messe ist symptomati­sch für diesen zwölften AfD-Bundespart­eitag: Wie von der Tarantel gestochen springt Parteivize Beatrix von Storch auf und kann nicht fassen, was gerade mit großer Mehrheit beschlosse­n wurde: Migrations­stopp. Nicht mal Menschen mit weniger als fünf Millionen Euro dürfen noch nach Deutschlan­d einwandern. Die prominente Politikeri­n fängt sich als einzige Reaktion darauf eine Rüge ein, da sie sich zur Geschäftso­rdnung gemeldet, aber nicht dazu gesprochen hatte.

Gegen den vom Verfassung­sschutz als Rechtsextr­emist eingestuft­en Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hat der Bundesvors­tand mit seinem stellenwei­se relativ moderaten Wahlprogra­mmentwurf keine Chance. Bevorzugte es Höcke als Frontmann des offiziell aufgelöste­n, nationalpa­triotische­n „Flügels“bei früheren Parteitage­n, im Verborgene­n die Fäden zu ziehen, sucht er nun ständig die Konfrontat­ion mit den Bremsern – und fährt einen inhaltlich­en Sieg nach dem anderen ein.

Auch bei der Frage der Migration hatten Experten der AfD davor gewarnt, den Bedarf der Wirtschaft an Fachkräfte­n auszublend­en und die Türen für alle, also auch für Nobelpreis­träger, zu verschließ­en. Eine Wortmeldun­g von Höcke und dessen Beschwören einer drohenden „kulturelle­n Kernschmel­ze“reicht, um beim Parteitag eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu bekommen. Wieder und wieder will der Thüringer Rechtsausl­eger ein klares „politische­s Signal“.

So hat er zuvor eine gefahrenle­ugnende Corona-Resolution durchgeset­zt, so hat er mit der Beschwörun­g eines „Kriegsrech­tes“eine scharfe Verurteilu­ng des Verfassung­sschutzes durchgeset­zt, so hat er eine Ablehnung des Familienna­chzuges ins Programm bekommen. Da können AfD-Fachpoliti­ker noch so massiv davor warnen, dass das verfassung­swidrig sein könnte und dass die AfD als Familienpa­rtei sich damit auch gegen verzweifel­te verfolgte christlich­e Familien stellt. Höcke sagt: „Wir sind hier nicht in der rechtliche­n, sondern in der politische­n Sphäre“

– und schon hat er wieder eine Mehrheit fürs Zuspitzen gefunden.

Die Stimmung ist bei Streitfrag­en entspreche­nd. Da können Parteichef Jörg Meuthen und Ehrenvorsi­tzender Alexander Gauland noch so sehr für eine verklausul­ierte EU-Fundamenta­lkritik werben, die Mehrheit will es auf die Spitze treiben: „Austritt aus der EU sofort“, lautet die Devise, die ins Wahlprogra­mm gestimmt wird. Differenzi­erungen sind im Saal, kommen aber nicht durch. Den meisten Applaus bekommt der Abgeordnet­e Karsten Hilse mit der vor kämpferisc­hen Emotionen triefenden Begründung: „Weil die EU sterben muss, wenn Deutschlan­d leben will.“

Eine im Wahlkampf angreifbar­e Positionie­rung nach der anderen ersetzt die vom Vorstand verschickt­e Version des Wahlprogra­mmes. Am Samstagabe­nd kommt die Vorgabe ins Programm, wonach die Bundeswehr die „besten Traditione­n der deutschen Militärges­chichte leben“müsse. Am Sonntagmor­gen folgt der Einsatz der Bundeswehr beim Ausfliegen von abzuschieb­enden Flüchtling­en. Und um ein Haar hätte die AfD sogar die Forderung reingeschr­ieben, dass gefährdete Personen

(also wohl auch AfD-Politiker) künftig Waffen in der Öffentlich­keit tragen dürfen. Die Abstimmung ergibt ein 229:229-Stimmen-Patt, muss wegen einer technische­n Panne wiederholt werden und ergibt dann doch eine knappe Mehrheit dagegen.

Den drohenden Bruch durch einen eskalieren­den Personalko­nflikt hat die Partei gleich zu Beginn abgeräumt. Weder die Auswahl der Spitzenkan­didaten für den Bundestags­wahlkampf kommt auf die Tagesordnu­ng noch der beantragte Sturz von Parteichef Meuthen. Die Witterung, dass das bei den Wahlen am Ende allen nur schaden könne, ist stärker als das Rachegefüh­l nach Meuthens Kampfansag­e an den rechten Flügel beim Parteitag in Kalkar. Aber nicht nur durch sein fast dutzendfac­hes inhaltlich­es Intervenie­ren macht Höcke klar, dass die Tage für Meuthen gezählt sind. Am Rande des Delegierte­ntreffens stellt er auch klar, dass er Meuthen nicht für geeignet hält, die AfD zu führen. Die Abrechnung ist also nicht abgesagt, sondern nur auf den Parteitag nach den Bundestags­wahlen vertagt.

Vorerst wird alles den Wahlen untergeord­net. Das lässt auch die Strömungen zusammenfi­nden. So schafft es von Storch hinter den Kulissen, ihre Empörung über das neue Migrations­kapitel in eine weitere Initiative zu bringen. Sie bekommt dazu mehrere Delegierte auf ihre Seite. Und vor allem einen: Höcke. Den Aussagen werden nun bei einer wiederholt­en Abstimmung ein paar Zähne gezogen. Das führt zwar zu Missbehage­n. Aber Höcke sagt, das sei nun eine „ganz wichtige Sache“. Und damit ist die Mehrheit wieder sicher. Man wird das Treffen von Dresden den ersten Höcke-Parteitag nennen können.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Björn Höcke bei einem seiner Interventi­onen beim AfD-Parteitag in der Dresdner Messehalle.

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