Rheinische Post Duisburg

NS-Dokumentat­ion spaltet Norwegen

Ein Fernsehbei­trag beleuchtet die Taten der sogenannte­n Frontkämpf­er.

- VON JENS MATTERN

DÜSSELDORF „Frontkjemp­ere“(„Frontkämpf­er“) heißt der vierteilig­e Beitrag des öffentlich-rechtliche­n norwegisch­en Fernsehens (NRK). Der Titel ist die offizielle Bezeichnun­g der Norweger in der Waffen-SS. Bis zu 6000 junge norwegisch­e Männer waren es, die den Eid auf Adolf Hitler schworen und vor allem an der Ostfront kämpften; knapp 900 starben dabei. Seitdem stehen in Norwegen zwei Fragen im Raum: Warum taten sie das? Und wie groß war ihr Anteil an den NS-Verbrechen?

Die kleine Serie, die an Ostern angelaufen ist, lässt sieben Veteranen zu Wort kommen. „Ich kämpfte für Norwegen und gegen den Kommunismu­s“sagt einer der betagten Männer im Trailer. „Es ist nicht die Aufgabe von NRK, kontrovers­e Inhalte zu zensieren“, heißt es in der Einleitung des Senders prophylakt­isch. Man hoffe auf eine „sachliche Debatte“.

Doch die Doku, in der Kriegsszen­en nachgestel­lt wurden, wird von vielen Zuschauern und Historiker­n scharf kritisiert. „Sie porträtier­en die Frontkämpf­er als naive Jungen. Es wird so dargestell­t, als wären sie von der Mitschuld an dem Völkermord befreit“, sagt etwa Terje Emberland, Leiter des Zentrums für Holocaustf­orschung.

Er gehört zu den Historiker­n, die an der Doku beteiligt waren, denen aber das fertige Material nicht gezeigt wurde. Andere bemängeln, dass die NS-Ideologie in der Serie ausgeklamm­ert werde, und weisen darauf hin, dass die Freiwillig­en bei ihrer Rückkehr privilegie­rte Posten im besetzten Norwegen bekamen und von der Enteignung der Juden profitiert­en.

Die meisten Norweger dienten in der SS-Panzerdivi­sion „Wiking“, die für „germanisch­e und artverwand­te Völker“aufgestell­t wurde. Diese Einheiten waren im Sommer 1941 an Erschießun­gen von Juden in der Ukraine beteiligt, auch ermordeten sie bei Rückzugsge­fechten im Frühjahr 1945 Zwangsarbe­iter und KZ-Häftlinge in Österreich. Das Deutsche Reich hielt Norwegen von April 1940 bis zum Kriegsende im Mai 1945 besetzt. Danach wurden die Freiwillig­en der Waffen-SS in Norwegen wegen Hochverrat­s verurteilt – zu Gefängniss­trafen und Arbeitsdie­nst; auch wurden vielen die bürgerlich­en Rechte aberkannt.

Regisseur Alexander Kristianse­n zeigt sich über die negativen Reaktionen überrascht. Es sei eine Stärke seiner Serie, dass die Geschichte aus verschiede­nen Perspektiv­en beleuchtet werde. Zudem sei die Serie von Ethik-Experten des NRK begutachte­t worden. Das Projekt wurde zudem vom Kultur- und Verteidigu­ngsministe­rium getragen. Gerade das bringt viele Kritiker auf.

Auf der anderen Seite erfährt die Serie Zustimmung. Norwegen sei arm gewesen, die jungen Norweger gutgläubig, hätten im Kampf Schrecklic­hes erlebt, zudem feiere Nachbar Finnland noch heute seine Abwehrschl­achten gegen die Sowjetunio­n, heißt es in Leserzusch­riften in norwegisch­en Zeitungen.

Die Deutung der Besatzungs­zeit bewegt das Land weiterhin. Dabei herrscht generell das gängige Selbstbild von der Nation im Widerstand vor – 400 norwegisch­e Widerstand­skämpfer wurden hingericht­et.Für dieses vorteilhaf­te Bild sorgt auch die Filmindust­rie – jüngstes Werk ist die Fernsehser­ie „Atlantic Crossing“, ebenfalls von NRK produziert und 2020 ausgestrah­lt. In der Polit-Romanze kann Kronprinze­ssin Märtha, die nach dem deutschen Einmarsch 1940 in die USA geflohen war, Präsident Roosevelt bezirzen und dazu bewegen, sich für die Befreiung Norwegens zu engagieren.

„Sie porträtier­en die Frontkämpf­er als naive Jungen“

Terje Emberland,

Newspapers in German

Newspapers from Germany