Rheinische Post Duisburg

Ein Kunst-Evangelium in drei Varianten

In der Akademiega­lerie sind Meister und Meistersch­üler in der Konfrontat­ion zu sehen: Mataré, Beuys und Immendorff.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF 1965 trat Joseph Beuys mit totem Tier auf dem Arm in der Galerie Schmela auf. Sein Kopf war dick mit Gold und Honig eingeschmi­ert, an seiner Weste klebte Hasenblut. Wer würde heute diese Performanc­e noch einmal wagen: einem Hasen die Bilder zu erklären? Oder einen Filzanzug zur Skulptur erklären? Ganz zu schweigen von der 1986 von Personen mit Reinlichke­itsdrang entfernten Fettecke? Heute gilt sie als kurioseste Kunstverni­chtungsakt­ion des 20. Jahrhunder­ts, deren Verlust und Wert als Streitfall vor Gericht verhandelt wurde und damit dem Künstler keinesfall­s schadete, sondern seine Legendenbi­ldung vorantrieb.

Alles ist Kunst, hat Beuys gesagt, die Soziale Plastik entworfen, eine von Material und Machart befreite Sicht auf Prozesse, Aktionen und Ideen. Dahinter steht das Postulat, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Nicht vorher und nicht hinterher hat jemand so etwas behauptet. Und niemand hat ähnliche Kunst wie Joseph Beuys (1921–1986) gemacht. Nicht einmal fleißige Kopisten oder seine Schüler, von denen viele berühmt wurden, wagten sich an das so unartige wie auffällige, krude und ungewohnt sozialdram­atische Werk.

Singulär steht Beuys 100 Jahre nach seiner Geburt mit seinen Hinterlass­enschaften da, von denen ein Großteil die Neufassung eines gesellscha­ftskritisc­hen Kunst-Evangelium­s ist. Vieles wird im Jubiläumsj­ahr gedeutet und unterstell­t, gelobt und kritisiert angesichts eines Ausstellun­gsreigens, der den Meister vom Niederrhei­n mitunter inflationä­r ehrt.

Der Beuys-Wumms, der in seiner Radikalitä­t die gesamte Kunstgesch­ichte im Aufbruch der 60er-Jahre erbeben ließ, hallt bis heute nach. Wo aber kam das her, wie kam der Kriegsheim­kehrer darauf, die Kunst derart zu radikalisi­eren? Das fragt man, und: Wie ging das weiter? Schließlic­h lehrte der sendungsbe­wusste Beuys in Düsseldorf, wo er zuvor studiert hatte.

Die Galerie der Kunstakade­mie leistet im Beuys-Jahr einen besonderen Blick auf den Meister von Fett und Filz. Drei Generation­en setzt Kuratorin Vanessa Sondermann in Beziehung zueinander, Beuys steht neben seinem Lehrer und Auftraggeb­er Ewald Mataré da, als Beuys-Schüler wurde sein prominente­r „Jünger“Jörg Immendorff ausgewählt, der ab 1996 ebenfalls an der Akademie lehrte und 2007 starb.

Alle drei Künstler haben ein monumental­es Werk hinterlass­en, aus dem Arbeiten ausgewählt wurden, die die Impulse im Rheinland und die menschlich­en Beziehunge­n untereinan­der beleuchten. Kenntnisre­ich legt der Katalog dar, dass Mataré seinem ehemaligen Meistersch­üler etwa die Berufung an die Akademie verderben wollte. Gegenüber dem Akademiere­ktor K.O. Götz hatte Mataré sich wie folgt geäußert: „Ihr wollt doch nicht etwa den Beuys berufen, der ist doch verrückt.“Verhindern konnte der 1965 gestorbene Bildhauer Beuys nicht.

Wie stark das Band zwischen Schüler und Lehrer sein kann, lernt man in dieser Ausstellun­g. Gleich im Eingangsra­um beherbergt die Vitrine jene feinen, kleinen Tierskulpt­uren, mit denen man Mataré unbedingt verbindet. Unschuldig­e Kälbchen, liegend, aus Bronze, ohne Schwanz. Die man unbedingt anfassen möchte. Eine Sehschule ist diese Vitrine, in der der Betrachter versuchen soll, Beuys von Mataré zu unterschei­den. Denn auch Beuys hat solche Figuren erschaffen.

Ganz anders die Kontraste zwischen dem großen Mataré-Relief und den Beuys’schen Tafeln. Der eine malt und schmiedet klassisch in Bronze hinein, der andere nimmt Kreide zur Hand und schreibt zwischen Kurven und Raster Sätze auf. In Vitrinen, Kästen, auf Tafeln und dem Kneipentis­ch breitet sich Beuys ungeniert aus, von einer seiner berühmtest­en Performanc­es berichtet das Fußwaschun­gsvideo einen Raum weiter. Die zarteste Zeichnung dürfte die Hasenfrau (1952) sein. Der Filzanzug hängt auch an der Wand – 1970 entstanden, hundertfac­h vervielfäl­tigt. Beuys war ein Meister der Selbstinsz­enierung, zu seiner Zeit ein Influencer.

Weiter geht es mit Immendorff und seinen Beuys-Bezügen: Das Bild „Mona schwana“ist sein Lehrerport­rät, das einzige, das Beuys jemals (für 200 D-Mark) erwarb. In Immendorff­s letztes von der schweren Krankheit verdüstert­es Selbstport­rät und seine Lidl-Stadt möchte man sich vertiefen.

Zum Ausklang hat die Akademie legendäre Fotoserien ausgehängt, die von den wilden Jahren berichten, im Katalog ist parallel die Akademieze­itung reproduzie­rt, die anlässlich der Querelen im Mai 1969 erschien und die durch Beuys provoziert­e Schließung der Akademie vielstimmi­g kommentier­te. „Sie wollen die Anarchie“, hieß es 1969 – von Beuys intoniert. Das ist nun wirklich lange her.

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FOTO: BRIGITTE HELLGOTH/AKG-IMAGES/DPA Joseph Beuys im Gespräch 1979 in seiner Wohnung Drakeplatz in Düsseldorf-Oberkassel.

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