Warum mir das Feiern plötzlich fehlt
Seit über einem Jahr sind Clubs geschlossen. Unser Autor erzählt, was er am Nachtleben vermisst.
Ein Abend im Club, das bedeutet für mich vor allem: ewig lange Schlangen vor der Theke und dem Klo, überteuerte Getränke und zu laute Musik. Ich hätte nie gedacht, dass ich all das einmal vermissen würde, und doch habe ich jetzt diesen Punkt erreicht. Vor der Corona-Pandemie hatten Diskos für mich schlicht an Reiz verloren. Alles eng, alles unentspannt und oft ereignisloser, als man zu Beginn des Abends erwartet beziehungsweise gehofft hatte. Die perfekte Party gibt es nur in Hollywood-Filmen, und die haben die Messlatte, wie in so vielen Bereichen, fast unerreichbar hoch gelegt. Auf die bierverklebte Tanzfläche zog es mich deswegen nur noch selten.
Seit ein paar Wochen passiert jedoch etwas Merkwürdiges. Immer wieder erwische ich mich bei dem Gedanken, wie großartig es wäre, einfach mal wieder loszuziehen, mir den Alltagsstress von der Seele zu tanzen und zu singen. Immer leicht neben dem Takt, ziemlich schief und unangemessen laut, aber wen stört das in der Menge schon? Es ist nicht so, als hätte ich die Nachteile des Nachtlebens vergessen. Im Gegenteil. Meine wenig euphorischen Erinnerungen daran sind so präsent wie eh und je. Doch inzwischen sehne ich mich regelrecht danach. Es fehlt mir, mich in einen überfüllten Raum zu quetschen. Es fehlt mir, ständig vom Tanznachbarn angerempelt zu werden, dessen improvisierte Choreografie nach dem vierten Tequila allzu expressiv ist. Und es fehlt mir sogar, zu warten – auf mein Getränk, auf das nächste gute Lied und auf den Kumpel, der eigentlich nur kurz eine Zigarette rauchen wollte und nun schon seit einer halben Stunde verschwunden ist.
Doch warum ist das so? Habe ich mir immer nur eingeredet, dass Clubs nicht mehr meine Welt sind? Kommen verdrängte Sehnsüchte zum Vorschein, die sich nur mit wummernden Bässen stillen lassen? Vielleicht. Wahrscheinlicher ist aber eine andere Erklärung: Ich sehne mich nach einem Abend in der Disko, weil er ein kompletter Gegenentwurf zur aktuellen Situation ist. Nachtleben, dass bedeutet soziale Nähe statt digitalem Abstand. Es sind Abende voller ausgelassener Augenblicke, in denen Zukunftssorgen in weite Ferne rücken. Vor allem im Moment ein verlockender Gedanke.
Zudem vermisse ich, wie auch in vielen anderen Bereichen, wohl mehr die Entscheidungsfreiheit, als das Nachtleben selbst. Vor Corona habe ich keine Clubs besucht, weil ich das so wollte. Jetzt sind ihre Türen geschlossen und ich fühle mich deswegen irgendwie eingeschränkt und machtlos. Das ist Jammern auf hohem Niveau, dessen bin ich mir bewusst. Viele Menschen haben in den letzten Monaten ihre Arbeit, oder – noch schlimmer – Freunde oder Verwandte verloren. Sie mussten Träume, Wünsche und Pläne aufgeben, ohne selbst Schuld daran zu tragen. Von alldem bin ich bisher verschont geblieben und dafür sehr dankbar.
Gleichzeitig kann man die persönliche Betroffenheit von der Situation irgendwann schwer ignorieren, und sollte das auch nicht. Probleme zu verdrängen, haben sie noch nie besser gemacht. Stattdessen ist es wichtig und nur menschlich sich hin und wieder zu beklagen und mit anderen darüber zu sprechen, wie sehr man sich doch nach der früheren Normalität sehnt. Und wenn es nur der merkwürdige Wunsch nach einer Nacht in einem Club ist, die sich vielleicht erfrischend anders anfühlt. Oder halt genauso enttäuschend wird wie vor der Pandemie.