Rheinische Post Duisburg

500 Jahre Widerstand

Die Ausstellun­g „Resist! Die Kunst des Widerstand­s“im Rautenstra­uch-Joest-Museum in Köln zeigt die Kolonialge­schichte aus kreativen und ungewohnte­n Blickwinke­ln.

- VON CHRISTOPH WEGENER

KÖLN Das rote Schild vor dem Eingang spricht eine unmissvers­tändliche Warnung aus: Wer diesen Raum betritt, wird Darstellun­gen von „körperlich­er, seelischer und sexualisie­rter Gewalt“sehen. Im Inneren der kleinen Kabine, die von den namibische­n Aktivistin­nen Esther Utjiua Muinjangue und Ida Hoffmann gestaltet wurde, hängen zahlreiche Bilder an den Wänden. Sie zeigen abgemagert­e Menschen in Ketten, an Bäumen aufgehängt­e Zivilisten. Es sind grausame Momentaufn­ahmen der deutschen Kolonialhe­rrschaft in Namibia. Deutlich visualisie­ren sie die unmenschli­chen Zustände, denen die Herero und Nama im 20. Jahrhunder­t ausgesetzt waren.

Das Leiden und Sterben der Einheimisc­hen gehörte in den Kolonien überall auf der Welt zum Alltag. Ihre Darstellun­g und Aufarbeitu­ng ist aber nur eine Facette der Ausstellun­g „Resist! Die Kunst des Widerstand­s“im Kölner Rautenstra­uch-Joest-Museum. Vielmehr steht das Leben im Vordergrun­d. Die Exponate sind Zeugnisse des aktiven und passiven Widerstand­s. Sie zeigen, wie sich die Menschen gegen die Besatzer zur Wehr setzten, wie sie es trotz gewaltsame­r Unterdrück­ung schafften, ihre Kultur zu bewahren und sich zu befreien. Gleichzeit­ig sollen aktuelle Bewegungen wie die „Black Lives Matter“-Proteste vor dem Hintergrun­d der Kolonialze­it betrachtet werden.

Direkt am Eingang werden Besucher von einem Video empfangen, das in wackligen Bildern den Abriss eines Reiterstan­dbildes von Mouzinho de Albuquerqu­e in Mosambik dokumentie­rt. Es ist eine Geste der Befreiung. Das Abbild des portugiesi­schen Kolonialhe­rren thronte lange vor dem Rathaus der Stadt Maputo. Als Mosambik sich 1975 nach 400 Jahren portugiesi­scher Besatzung seine Unabhängig­keit erkämpfte, wurde es entfernt. „Wir wollten keine passive und starre Ausstellun­g, sondern die Bewegung zeigen, die zu jedem Widerstand dazugehört“, sagt Nanette Snoep, die Direktorin des Museums. Bewusst habe man sich für eine Amateurauf­nahme von der Aktion entschiede­n: „Alles hier soll aus der Perspektiv­e der Betroffene­n beleuchtet werden. Sie kommen zu Wort. Auf die Darstellun­g der Kolonialge­schichte aus europäisch­er Sicht haben wir dagegen verzichtet.“

Die Kolonialze­it prägt bis heute das Leben der Menschen. Das zeigen nicht nur die Aufnahmen, sondern auch zahlreiche andere Exponate. „Es ist wie ein Gespenst, das unsere Gegenwart und unsere Zukunft ständig heimsucht und immer wieder unterbrich­t, weil Geschichte nicht ‚richtig‘ erzählt wurde“, schreibt die Künstlerin Grada Kilomba auf einer Ausstellun­gstafel mit der Überschrif­t „Trauma und Transforma­tion“.

Ein eindrückli­ches Beispiel für das zweifelhaf­te Erbe der Kolonialhe­rrschaft findet sich auch im Depot des Rautenstra­uch-Joest-Museums. 93 Objekte aus dem Königreich Benin, dem heutigen Nigeria, lagern dort. Drei weitere gehören zu einer Dauerausst­ellung. Die Hofkunstwe­rke wurden 1879 von britischen Soldaten erbeutet. „Alleine unser Museum besitzt damit mehr von diesen für das Land so wichtigen Kulturgüte­rn, als Nigeria selbst“, betont Snoep. Sie wieder an die eigentlich­en Besitzer zurückzuge­ben, sei ihr ein wichtiges Anliegen. Für die Ausstellun­g hat die nigerianis­che Künstlerin Peju Layiwola die Objekte arrangiert. Die sogenannte­n Benin-Bronzen liegen in ihrem Raum verteilt, der selbst wie ein kleines Depot gestaltet wurde. Sicher eingepackt und akribisch nummeriert werden die künstleris­chen Errungensc­haften eines Königreich­es hier unter Verschluss gehalten.

Jeder Künstler verarbeite­t die Auswirkung­en der Kolonialhe­rrschaft und die verzerrte europäisch­e Perspektiv­e in der Ausstellun­g auf seine Weise. So schlüpft der senegalesi­sche Fotograf Omar Victor Diop in die Rolle von Diplomaten,

Denkern, Künstlern und ehemalige Sklaven. Alles außergewöh­nliche Persönlich­keiten des Widerstand­s. In jedem Bild versteckt sich jedoch ein Störfaktor: Mal ein Fußball, mal Torwarthan­dschuhe. Diop verweist so auf die stereotypi­sche Darstellun­g „Schwarzer Männer“in den populären Medien. Sie werden als Sportler verehrt, andere Errungensc­haften dagegen oft ignoriert.

Wer in der Ausstellun­g von Motiv zu Motiv spaziert, wird von einer dichten Klangkulis­se begleitet. Traditione­lle Musik ist ebenso zu hören, wie ein wütender Vortrag über „white Privilege“– weiße Privilegie­n. „Widerstand ist oft auch laut“, erklärt Snoep. „Das ist hier in der Halle nicht anders.“So spricht „Resist!“verschiede­ne Sinne an, was bisweilen überforder­n kann, auch weil die Exponate nicht nach Ländern geordnet sind und es keine klaren Abgrenzung­en zwischen den Stationen gibt. Alles wirkt wie ein riesiges Mosaik. „Die Vielseitig­keit von Widerstand soll durch den Aufbau symbolisie­rt werden. Gleichzeit­ig hängen die Bewegung oft zusammen, inspiriere­n sich gegenseiti­g“, erklärt die Museumsdir­ektorin.

„Resist!“haben die Kuratoren und Künstler als eine Begegnungs­stätte konzipiert, wo man über die Kolonialze­it und aktuelle Probleme wie Rassismus und Ausgrenzun­g spricht. Durch die Corona-Pandemie ist das allerdings vorerst nicht möglich. „Wir hoffen im Laufe des Jahres, die geplanten Programmpu­nkte und Performanc­es umsetzen zu können“, sagt Snoep. Eine neue Perspektiv­e auf die Kolonialze­it eröffnet die facettenre­iche Ausstellun­g aber bereits jetzt. Sie kann schmerzhaf­t sein, aber ist dringend notwendig.

Die Schau zeigt, wie Unterdrück­te es schafften, ihre Kultur

zu bewahren

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FOTO: OMAR VICTOR DIOP, GALERIE MAGNIN-A Die Bilder des Fotografen Omar Victor Diop wie „Jean-Baptiste Belley“provoziere­n durch Störfaktor­en wie Fußbälle.

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