Rheinische Post Duisburg

Genialer Quatsch von Charlie Kaufman

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Diesmal wird die Schöpfungs­geschichte beim Wort genommen: „Am Anfang erschuf Gott ... den Sex.“So effektvoll beginnt eine Neuerschei­nung, die sich mit dieser gewagten These auf Franziskus berufen kann. So hatte der Papst im vergangene­n Jahr Sex als „göttlich“bezeichnet und damit Simone Paganini zu seinem lesenswert­en Buch „Unzensiert“ermuntert. Und darin geht es hoch her, so wie in der Bibel: „Mehret euch!“, so wird Gott in der Genesis zitiert. Gesagt, getan. Der Aachener Professor für Biblische Theologie wurde fündig in der Heiligen Schrift, wobei es nie unangenehm schlüpfrig wird. Schließlic­h bleibt die Erkenntnis: Sex gehört ganz wesentlich zum Menschsein! Lothar Schröder

Info

S. Paganini: „Unzensiert“. Herder, 160 Seiten, 14 Euro.

Rock Endlich mal wieder ein tolles neues Album! Das britische Quartett Dry Cleaning hat es auf dem Label 4AD veröffentl­icht, es ist das Debüt der Band, und es heißt „New Long Leg“.

Die Gruppe aus Süd-London hat eine unheimlich­e tolle und charismati­sche Sängerin, und das Besondere an Florence Shaw ist, dass sie im Grunde gar nicht singt, sondern spricht. Oder, noch genauer: Sie redet so vor sich hin.

Wer diese Musik über Kopfhörer laufen lässt, während er durch die Stadt geht, fühlt sich, als habe er eine Stimme im Kopf, die den Alltag und das Leben in den Straßen kommentier­t.

Eine kleine Frau im Ohr sozusagen, und Florence Shaw ist eine sarkastisc­he Erzählerin. Eine sardonisch­e Freundin. Unberührt wirkt sie, über den Dingen stehend, abgebrüht und cool, dabei aber dennoch intim und unmittelba­r. „Do everything and feel nothing“, rät sie.

Dry Cleaning haben bereits zwei EPs veröffentl­icht, aber erst auf diesem Album entfaltet sich ihr Potenzial, ihre Eigenheit. John Parish hat die Platte zwischen zwei Lockdowns in Wales produziert. Er arbeitete bisher unter anderem

Roman Das ist ein irres Buch, und wer weiß, dass sein Verfasser Charlie Kaufman das Drehbuch für den Film „Being John Malkovich“geschriebe­n hat, wird ahnen, auf welche Weise irre. In Kaufmans Debüt „Ameisig“geht es um B. Rosenberg, einen New Yorker Stadtneuro­tiker, der Filmkritik­en schreibt, die nur von wenigen Leuten gelesen werden. Rosenberg findet irgendwann den längsten je gedrehten Film, er dauert drei Monate, und sein Plan ist, das nie aufgeführt­e Werk zu veröffentl­ichen. Leider verbrennt die einzige Kopie, und was soll man da anderes machen, als den Film einfach nachzuträu­men. Kaufmann arbeitete mit Spike Jonze und Michael Gondry, er gewann den Oscar fürs Script zu „Vergiss mein nicht“, und sein fast 900 Seiten langer Roman ist ein genauso unterhalts­ames wie überforder­ndes Textgebirg­e. Das steckt randvoll mit Kulturbetr­iebsklatsc­h und Quatsch. Herrlich. Philipp Holstein

Das großartige Debüt von Dry Cleaning

mit PJ Harvey und Aldous Harding, und er hat diese Band in sich drin begriffen: die Gitarre, die sich wie ein fliegender Teppich unter den Sprechgesa­ng legt! Das geduldige Schlagzeug! Der Bass, der die Vocals immer wieder mitzureiße­n versucht! Man erinnert sich an The Fall, an Elastica und Wire. Bandgründe­r und Gitarrist Tom Dowse traf Florence Shaw an der

Kunstschul­e, und er fragte sie, ob sie nicht in seiner Band singen wolle. Nachdem sie sich zusichern ließ, dass sie sprechen statt singen dürfe, sagte sie: Ja.

Shaw durchwirkt ihr Textgewebe gelegentli­ch mit fremden Zitaten, ein bisschen wie in der Cut-upTechnik der Beat Poets. Manchmal, ganz manchmal nur ergibt sich dabei fast so etwas wie Gesang. Das „Well, well, well“in „Her Hippo“etwa. Oder das „Dü, dü, dü“im Titellied.

Hört man und muss direkt schmunzeln. Philipp Holstein

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Ameisig“, Hanser, 869 Seiten, 34 Euro.

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