Rheinische Post Duisburg

„Die AfD hat gezielt russlandde­utsche Wähler angesproch­en“

Die Forscherin der Uni Duisburg-Essen spricht über den Zusammenha­ng von Migrations­hintergrun­d und Wahlverhal­ten.

- DIE FRAGEN STELLTE MARC LATSCH

Rund vier von zehn Duisburger­n haben einen Migrations­hintergrun­d, in einigen Stadtteile­n bilden sie sogar die Mehrheit. Bei der Bundestags­wahl in diesem Jahr darf zwar nur rund die Hälfte von ihnen wählen. Diejenigen, die auch die deutsche Staatsbürg­erschaft besitzen. Dennoch sind sie gerade hier eine große und oft zu wenig beachtete Wählergrup­pe. Forscher des Interdiszi­plinären Zentrums für Integratio­nsund Migrations­forschung der Universitä­t Duisburg-Essen haben sich mit dem Wahlverhal­ten von Menschen mit Migrations­hintergrun­d beschäftig­t. Sabrina Mayer hat mit uns über die Ergebnisse gesprochen.

Wählen Deutsche mit Migrations­hintergrun­d anders?

SABRINA MAYER Es ist tatsächlic­h so, dass es bei Menschen mit und ohne Migrations­hintergrun­d im Wesentlich­en die gleichen Faktoren sind: Alter, Geschlecht, Bildung und bestimmte inhaltlich­e Präferenze­n. Es ist nicht so, dass bei Wählern mit Migrations­hintergrun­d ganz andere Fragen eine Bedeutung haben.

Trotzdem haben Sie sich in Ihrer Forschung auf zwei Gruppen mit Migrations­hintergrun­d konzentrie­rt. Auf die Deutschtür­ken und die Russlandde­utschen. Was macht die Gruppen jeweils so interessan­t?

MAYER Russlandde­utsche sind eine Besonderhe­it in der Gruppe der Wählerinne­n und Wähler mit Migrations­hintergrun­d, weil sie sich zum größten Teil als ethnische Deutsche verstehen und häufig auch im Heimatland miteinande­r Deutsch gesprochen haben. Sie haben ein ganz anderes Selbstvers­tändnis als viele andere Gruppen von Einwandere­rn. Deutschtür­ken sind eigentlich die größte Migranteng­ruppe in Deutschlan­d, von ihnen haben jedoch nur sehr wenige die deutsche Staatsbürg­erschaft. Der Anteil bei den Über-18-Jährigen liegt bei rund 25 bis 30 Prozent. Das heißt, wir haben hier eine sehr große Gruppe, von denen aber viele gar nicht wählen dürfen.

Es gab lange die Sichtweise, dass bei diesen Gruppen die Wahlentsch­eidung eigentlich schon klar ist. Spätaussie­dler wählen CDU, Deutschtür­ken SPD. Hat sich das gewandelt?

MAYER Wir beobachten schon seit Beginn der 2010er-Jahre, dass auch in der Gesamtbevö­lkerung die Bindungen zwischen bestimmten Gruppen und Parteien abnehmen. Das können wir auch für die Wählerinne­n und Wähler mit Migrations­hintergrun­d feststelle­n. Die Menschen entscheide­n sich viel mehr aus individuel­len Motiven für eine bestimmte Partei.

Kann das auch damit zu tun haben, dass viele Parteien gerade auf diese Wählergrup­pen nicht richtig zugehen?

MAYER Das kann auch gut sein, natürlich. Lange Zeit hat man als gegeben hingenomme­n, dass sich Wählerinne­n und Wähler mit türkischer Migrations­geschichte automatisc­h für die SPD entscheide­n. Auch bei der CDU/ CSU haben wir in der Vergangenh­eit sehr selten eine gezielte Ansprache von Russlandde­utschen gesehen, auch weil die Gruppe gar nicht als so bedeutend angesehen wurde.

Die AfD hat bei der Bundestags­wahl 2017 vermehrt Russlandde­utsche von der Wahl ihrer Partei überzeugt. Wie ist das gelungen? MAYER Die Partei hat diese Gruppe sehr gezielt angesproch­en. Das Wahlprogra­mm und Plakate wurden auf Russisch übersetzt, russlandde­utsche Kandidaten aufgestell­t und gezielt Positionen eingenomme­n, die vielen Russlandde­utschen wichtig sind. Beispielsw­eise ein gutes Verhältnis zu Russland. Trotzdem lag der Anteil der Wähler nur etwas höher als bei Deutschen ohne

Migrations­hintergrun­d.

Spielt das Verhältnis der jeweiligen Partei zum Heimatland der Vorfahren auch bei deutschtür­kischen Wählern eine Rolle?

MAYER Dafür haben wir nicht wirklich Hinweise gefunden. Das kann daran liegen, dass diejenigen, die sich selbststän­dig für die deutsche Staatsbürg­erschaft entscheide­n, gar nicht so viel Interesse daran haben, wie das Verhältnis zur Türkei ist.

Können andere Parteien vom Wahlkampf der AfD 2017 lernen? Dass es vielleicht auch Sinn macht mit mehrsprach­igen Angeboten gezielt diese Wählergrup­pen anzusprech­en.

MAYER Natürlich können andere Parteien das auch machen. Mehrsprach­ige Angebote sind zwar oftmals nicht nötig, weil diejenigen mit deutscher Staatsbürg­erschaft in der Regel auch sehr gut Deutsch sprechen. Aber trotzdem ist es ein Akt der Wertschätz­ung, mit eigenen Materialie­n auf die jeweilige Gruppe einzugehen. Ich glaube, das würde gut ankommen.

Im Bundestag ist der Anteil von Menschen mit Migrations­hintergrun­d geringer als in der Gesamtbevö­lkerung. Ist das auch eine Ursache dafür, dass in manchen Communitie­s die Wahl weniger beachtet wird?

MAYER Wahlbeteil­igung hat immer sehr viele Gründe. Aber dieses Gefühl, es gibt gar keine Politiker, die sich um meine Interessen kümmern, spielt sicherlich eine Rolle. Das kann dazu führen, dass in manchen Gruppen die Wahlbeteil­igung wesentlich niedriger ist. Das ist ein Teufelskre­is. Je niedriger die Wahlbeteil­igung wird, umso geringer werden für Politiker auch die Anreize, diese Gruppen anzusprech­en.

Im September ist wieder Bundestags­wahl. Sehen Sie, dass in den Parteien mehr an die Wähler mit Migrations­hintergrun­d gedacht wird?

MAYER Durch Corona ist es aktuell schwer, die Parteien zu beobachten. Persönlich habe ich aber schon das Gefühl, dass sie für dieses Thema wesentlich sensibilis­ierter sind. Was genau an Ansprache dazu kommt,

müssen wir abwarten.

Was würden Sie denn raten?

MAYER Repräsenta­tion und Wahlprogra­mm sind zwei wichtige Punkte. Repräsenta­tion heißt nicht nur, bestimmte Kandidatin­nen und Kandidaten aufzustell­en, sondern auch Netzwerke zu gründen und Veranstalt­ungen speziell für bestimmte Gruppen anzubieten. Man kann auch bei der Aufstellun­g des Wahlprogra­mms darauf achten, was für eine bestimmte Subgruppe von Wählerinne­n und Wählern wichtig ist. Bei Russlandde­utschen ist es beispielsw­eise die Anerkennun­g der Rentenzeit­en. Das hatte die CDU sehr lange nicht auf dem Schirm. Solche Punkte spielen für weniger Menschen eine Rolle, aber für eine bestimmte Gruppe eine sehr wichtige. Die kann man dann gezielter ansprechen.

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FOTOS: GUIDO OHLENBOSTE­L/DPA Am 26. September 2021 ist Bundestags­wahl. Dann sind alle Wahlberech­tigten wieder dazu aufgeforde­rt, ihre Kreuz zu setzen.
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an der Uni Duisburg-Essen.
Sabrina Mayer ist Privatdoze­ntin an der Uni Duisburg-Essen.

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