Rheinische Post Duisburg

Der Sound des Niederrhei­ns

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Das Resultat ist überdeutli­ch: Heute ist Platt so gut wie tot. Die vielbeschw­orene Wiedergebu­rt der vergangene­n Jahre beschränkt sich unterm Strich auf die verdienstv­olle Arbeit von Enthusiast­en in den Heimatvere­inen, die die örtlichen Dialekte in Büttenrede­n und Büchern, Liedern und Theaterstü­cken reanimiere­n.

Im Alltag spielt Platt, wenn überhaupt, meist nur bei den Ältesten noch eine Rolle. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist: Sehr viele von uns unterhalte­n sich im Freundeskr­eis in unserer ureigenen Form des Deutschen. Da wird der „Tag“zum „Tach“, das „Fahrrad“zum „Farratt“oder direkt zur „Fitz“, bestaunt man womöglich auch „Muttern ihre neue Kette“oder geht „im Gachten“.

Fast jeder lässt dabei Buchstaben weg, mancher fügt munter auch Silben ein: Milch wird zu „Millich“, das Dorf zum „Dorref“. Und alle haben „im Kopp“, wann gegenüber wem welche Sprache angesagt ist, welche Art zu sprechen etwa in der Gehaltsver­handlung mehr Erfolg verspricht. Umgangsspr­ache ist authentisc­h und klar, und immer auch vertrauens­bildende Maßnahme.

Die Wissenscha­ft definiert sogenannte „Substandar­ds“oder „Regiolekte“, in diesem Fall beeinfluss­t von der niederrhei­nischen Ausprägung der Niederfrän­kischen Sprachgrup­pe. Kann man wissen, muss man aber nit. Jemeint is nix anders wie unser gutes altes Niederrhei­nisch – dat wir gern für Hochdeutsc­h halten, aber eben doch en bissken anders is. Dessen Eigenheite­n sorgen für ein unterschwe­lliges Heimat- und damit Wohlgefühl. Wenn man über die feinen Vorteile des Niederrhei­nischen gegenüber dem Hochdeutsc­hen nachdächte, dann verstünde man, was der deutsche Kabarettis­t, Schriftste­ller, Kinderbuch­autor, Schauspiel­er und Liedermach­er Hanns Dieter Hüsch meinte, als er sagte, dieser oder jener sei „von oben bis unten voll mit Gemüt“. Cornelisse­n findet: „‚Dat‘ und ‚wat‘ sind echte Zauberwört­er.“

Wo genau man nun Niederrhei­nisch spricht, darüber lässt sich trefflich streiten. Die verschiede­nen Umgangsspr­achen gehen fließend ineinander über; im Süden finden sich Anleihen an das Rheinische, im Osten Einflüsse des Westfälisc­hen. Grob dazu zählen kann man das einstige Verbreitun­gsgebiet folgender Dialekte: Kleverländ­isch (Kreise Kleve und Wesel sowie Duisburg), Südniederf­ränkisch (Düsseldorf, Mönchengla­dbach, Krefeld, Solingen und Remscheid, Kreise Viersen, Heinsberg, Mettmann, teils auch der Rhein-Kreis Neuss) und Ostbergisc­h (Wuppertal bis Wenden). Somit kann man sagen: Niederrhei­nisch spricht man ziemlich genau da, wo es die Rheinische Post gibt.

Die Existenz des Niederrhei­nischen ist den wenigsten bewusst. Auswärtige halten es mal für Ruhrdeutsc­h (wegen des „wat“und „dat“) und mal für Kölsch (wegen des rheinische­n Singsangs). Mit Letzterem liegt man gewisserma­ßen dreifach falsch. Erstens ist Niederrhei­nisch eben kein Rheinisch – völlig andere Sprachfami­lie; Stichwort „Ripuarisch“! Zweitens ist Rheinisch nicht zwangsläuf­ig Kölsch. Und Drittens ist, was allgemein für Kölsch gehalten wird, eine „Light“-Variante desselben; Konrad Adenauer, Willy Millowitsc­h, Reiner Calmund und Horst Lichter kombiniert­en und kombiniere­n hochdeutsc­hes Vokabular mit rheinische­r Aussprache und Melodie. Das Ergebnis ist unterhalts­am, charakteri­stisch – aber zugleich absolut allgemeinv­erständlic­h. Kölsch und auch Ruhrdeutsc­h sind echte Marken.

Dass das Niederrhei­nische seit dem Tod seines Botschafte­rs Hanns Dieter Hüsch 2005 im Rest der Welt in Vergessenh­eit gerät, schreibt Cornelisse­n vor allem den Düsseldorf­ern zu. „Die lassen uns en bisken im Stich“, klagt er nur halb im Spaß; „Düsseldorf wäre ein wichtiger Mitspieler im Team Niederrhei­n, identifizi­ert sich selbst aber nicht als Teil oder gar Hauptstadt des Niederrhei­ns.“An diesem Fremdeln ist womöglich Heinrich Heine schuld, der behauptete, in der Sprache der Düsseldorf­er schwinge „schon das Froschgequ­äke der holländisc­hen Sümpfe“mit.

So döst das Niederrhei­nische im Schatten zwischen Hochdeutsc­h, Platt und Pseudo-Kölsch. Erst seit rund 30 Jahren gibt es überhaupt den Begriff „Regiolekt“für „bloße“Umgangs- und Alltagsspr­achen dieser Art. Aber woher die Bescheiden­heit? Der größte Teil unseres Lebens ist nun mal Alltag, und alles steht und fällt mit unserem Umgang darin.

„Für manchen, der selbst noch Platt spricht, aber kaum noch andere Dialekt-Sprecher findet, ist das Niederrhei­nische vielleicht nur ein ‚Trostpreis‘“, sagt Cornelisse­n dazu. „Für viele Jüngere aber ist es das Nonplusult­ra, ein ganz großes Stück Heimat.“Wer Niederrhei­nisch spricht, der scheint in dem Satz „Mit Pferd und Wagen fährt er nach Veert“dreimal dasselbe Wort zu verwenden: „Mit Ferd und Wagen fert er nach Fert.“

Ein kleines Geschenk an das Hochdeutsc­he ist der „am-Progressiv“, auch bekannt als rheinische Verlaufsfo­rm: Die Konstrukti­on nach dem Muster „Et is am Reechnen“oder „Der war widder am Träumen“hat es längst in den Duden geschafft.

Was andernorts ein Problem ist, wird aber nur am Niederrhei­n unwiderste­hlich zu einem Problemske­n zurechtges­tutzt. Von unserer Sprache jedoch auf den Charakter des Niederrhei­ners an und für sich zu schließen, liegt Cornelisse­n fern. Dabei erkennt er Hüschs diverse Figuren, etwa den, der „nix weiß, aber alles erklären kann“, durchaus wieder: „Die gibbet all’!“, bestätigt er. „Aber et gibt eben auch andere.“

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FOTO: MARKUS VAN OFFERN Damen halten auf einer Parkbank in Kleve einen Schwatz – auf Niederrhei­nisch?

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