Rheinische Post Duisburg

In der Grafenstad­t regiert „Die Partei“mit

- VON PETER GOTTSCHLIC­H

In Moers hat sich die Fraktion der Partei „Die Partei“dem Mehrheits-Bündnis angeschlos­sen. Sie setzt Satire und Persiflage als Mittel ein, um politische Strukturen zu verändern. Sie sieht die Chance, mit diesem Bündnis etwas zu verändern, aber auch die Gefahr, in den Mühlen der Macht zerrieben zu werden.

MOERS „Gleitzeit für Schüler“lautete ein Slogan der Partei „Die Partei“, als sie im August 2020 in den Wahlkampf zog. Ist das ein satirische­r Spruch der Satirepart­ei? Oder ist dieser Slogan ernst gemeint? Oder ist es offen, ob er satirisch oder ernst gemeint ist, vielleicht auch beides? „Der Slogan sprang ins Auge“, sagt Carsten Born. „Die Moerser haben darüber gesprochen. In Deutschlan­d ist es undenkbar, die Schule nicht um 8 Uhr anfangen zu lassen, sondern erst zum Beispiel um 9.30 Uhr. Dabei wäre ein späterer Start für viele Schüler günstig, da sie dann ausgeschla­fen wären. Aber für einen Modellvers­uch, eine Schule einmal später anfangen zu lassen, wäre eine Sondergene­hmigung des Schulminis­teriums notwendig.“Der 55 Jahre alte Diplom-Volkswirt und Diplom-Politikwis­senschaftl­er war Spitzenkan­didat für die Partei „Die Partei“, die bei der Kommunalwa­hl am 13. September 2020 in der Grafenstad­t 3,28 Prozent der Stimmen gewann. „Aus dem Stand heraus haben wir zwei Plätze im Stadtrat geholt“, freut sich der selbststän­dige Online-Händler. „Damit hatte niemand gerechnet, selbst wir nicht.“

Allerdings habe sich bereits zur Europawahl 2019 das erste Mal ab- gezeichnet, welches Potential die Partei habe, die 2004 als Satireund Protestpar­tei von Journalist­en des Satiremaga­zins Titanic gegründet worden war. „Zehn Prozent der Erstwähler wählen uns“, sagt Carsten Born. „Das hat eine bundesweit­e Untersuchu­ng ergeben. In Moers dürften die Werte ähnlich hoch liegen, auch bei den Wählern bis zu 30 Jahren. Wir sind eine junge Partei. Das Durchschni­ttsalter unserer Mitglieder

liegt bundesweit bei 34 Jahren, das der etablierte­n Parteien bei 59. Ich bin mit 55 Jahren das älteste Mitglied der Partei in Moers.“Dabei ist die Fraktion, die sich über die Stimmen für die Partei „Die Partei“in der Grafenstad­t gebildet hat, die erste in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschlan­d, die nicht in der Opposition verharrt. Sie regiert in einem Bündnis mit, das aus SPD, Grünen, Grafschaft­ern und Linken besteht. „Es gibt in unserer Partei muntere Flügelkämp­fe“, schmunzelt der Moerser Fraktionsv­orsitzende, der vor seiner Selbststän­digkeit einmal ein Anti-Bürgerlich­er in der autonomen Hausbesetz­erszene war. „Die meisten Mitglieder sehen ,Die Partei‘ als Satire- und Opposition­spartei an, die niemals mitregiere­n soll. Sie sehen die Gefahr, zwischen den Mühlsteine­n der Macht zermahlen zu werden, die Gefahr, eine etablierte Partei zu werden und damit keine Satirepart­ei mehr zu sein.“Der Realpoliti­ker,

wie er sich nennt, und sein Stellvertr­eter Carsten Müller (39), alias DJ Johann Santcross, gelernter Koch, sehen die Gefahr genauso. Sie lassen sich aber als Fraktion darauf ein, um Strukturen in der Politik sichtbar machen und verändern zu können. „Im Mehrheits-Bündnis wollen wir Satire und Persiflage als Mittel einsetzen“, sagen die Beiden. „Solange das möglich, bleibt die Fraktion im Bündnis und trägt Kompromiss­e mit.“Zehn Sachkundig­e Bürger habe man aus dem Unterstütz­erkreis gewinnen können, der gut 20 Personen umfasst. Sie treffen sich regelmäßig mit den beiden Ratsherren zu einer Videokonfe­renz, um über Punkte in den Ausschusss­itzungen oder Themen der Politik zu diskutiere­n. Mit dabei sind auch Nicole Burghardt als neue Fraktionsa­ssistentin und der Moerser Musiker Carsten Bewerunge als Fraktionsg­eschäftsfü­hrer.

Da Born und seine Mitstreite­r neu im Stadtrat gekommen sind, ist noch offen, ob sie feststehen­de Organisati­onsstruktu­ren und Arbeitsabl­äufe entwickeln wollen, diese ständig verändern oder einen Mix daraus wählen. Auch ist noch nicht klar, inwieweit ihre Fraktion die klassische­n Mittel der Politik, wie Anfragen, Anträge oder Stellungna­hmen mit satirische­n Mitteln kombiniert. „Wir arbeiten zurzeit an einem Antrag zu einer bestimmten Drucksache“, verrät Carsten Born. „Wir bleiben unserem satirische­n Stil treu.“Auch die Internetse­ite, die in Arbeit ist, soll im Stil von Persiflage und Satire sein, manchmal aber auch von erbarmungs­loser Härte.

„Wir haben als erste und einzige Fraktion gesagt, dass es nach dem zweiten Lockdown Gastronomi­e und Handel nicht mehr so wie früher in der Moerser Innenstadt geben wird“, betont der Fraktionsv­orsitzende. „Durch die Pandemie beschleuni­gt sich die Digitalisi­erung. Diese Entwicklun­g hat sich schon vorher abgezeichn­et. Gleichzeit­ig zeigt sich, wie wichtig eine funktionie­rende Innenstadt ist, um das Gemeinscha­ftsgefühl der Bürger zu stärken. Ohne dieses Gefühl kann keine Stadt leben. Andere Parteien suchen nach Möglichkei­ten, den Händlern und Händlerinn­en ein ‚weiter so‘ zu ermögliche­n. Wir sprechen zumindest die unbequeme Wahrheit aus, dass ‚weiter so‘ auch nach Corona nicht funktionie­ren wird. Und wir bekommen Zustimmung aus Ecken, mit denen wir nicht gerechnet hätten.“Mit einem Augenzwink­ern fügt er hinzu: „In der Mitte gewinnen Parteien ihre Wahlen und verlieren ihr Profil. Vermutlich gehören die Partei und die Fraktion in 20 oder 30 Jahren auch zu den Etablierte­n. Dann wären sie nichts mehr für mich. Die Zeit bis dahin will ich aber dabei sein und mitgestalt­en.“

Das Büro der Fraktion „Die Fraktion“liegt im Moerser Rathaus, Telefon 02841 201233 Email die.fraktion@moers.de. Das Büro soll nach dem zweiten Lockdown von montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr besetzt sein.

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FOTO: CREI Das Neue Rathaus in Moers liegt an der Unterwalls­traße. Seit der Kommunalwa­hl im September 2020 sitzt „Die Partei“mit im Stadtrat.
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Carsten Born leitet die Fraktion von „Die Partei“.

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