In der Grafenstadt regiert „Die Partei“mit
In Moers hat sich die Fraktion der Partei „Die Partei“dem Mehrheits-Bündnis angeschlossen. Sie setzt Satire und Persiflage als Mittel ein, um politische Strukturen zu verändern. Sie sieht die Chance, mit diesem Bündnis etwas zu verändern, aber auch die Gefahr, in den Mühlen der Macht zerrieben zu werden.
MOERS „Gleitzeit für Schüler“lautete ein Slogan der Partei „Die Partei“, als sie im August 2020 in den Wahlkampf zog. Ist das ein satirischer Spruch der Satirepartei? Oder ist dieser Slogan ernst gemeint? Oder ist es offen, ob er satirisch oder ernst gemeint ist, vielleicht auch beides? „Der Slogan sprang ins Auge“, sagt Carsten Born. „Die Moerser haben darüber gesprochen. In Deutschland ist es undenkbar, die Schule nicht um 8 Uhr anfangen zu lassen, sondern erst zum Beispiel um 9.30 Uhr. Dabei wäre ein späterer Start für viele Schüler günstig, da sie dann ausgeschlafen wären. Aber für einen Modellversuch, eine Schule einmal später anfangen zu lassen, wäre eine Sondergenehmigung des Schulministeriums notwendig.“Der 55 Jahre alte Diplom-Volkswirt und Diplom-Politikwissenschaftler war Spitzenkandidat für die Partei „Die Partei“, die bei der Kommunalwahl am 13. September 2020 in der Grafenstadt 3,28 Prozent der Stimmen gewann. „Aus dem Stand heraus haben wir zwei Plätze im Stadtrat geholt“, freut sich der selbstständige Online-Händler. „Damit hatte niemand gerechnet, selbst wir nicht.“
Allerdings habe sich bereits zur Europawahl 2019 das erste Mal ab- gezeichnet, welches Potential die Partei habe, die 2004 als Satireund Protestpartei von Journalisten des Satiremagazins Titanic gegründet worden war. „Zehn Prozent der Erstwähler wählen uns“, sagt Carsten Born. „Das hat eine bundesweite Untersuchung ergeben. In Moers dürften die Werte ähnlich hoch liegen, auch bei den Wählern bis zu 30 Jahren. Wir sind eine junge Partei. Das Durchschnittsalter unserer Mitglieder
liegt bundesweit bei 34 Jahren, das der etablierten Parteien bei 59. Ich bin mit 55 Jahren das älteste Mitglied der Partei in Moers.“Dabei ist die Fraktion, die sich über die Stimmen für die Partei „Die Partei“in der Grafenstadt gebildet hat, die erste in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland, die nicht in der Opposition verharrt. Sie regiert in einem Bündnis mit, das aus SPD, Grünen, Grafschaftern und Linken besteht. „Es gibt in unserer Partei muntere Flügelkämpfe“, schmunzelt der Moerser Fraktionsvorsitzende, der vor seiner Selbstständigkeit einmal ein Anti-Bürgerlicher in der autonomen Hausbesetzerszene war. „Die meisten Mitglieder sehen ,Die Partei‘ als Satire- und Oppositionspartei an, die niemals mitregieren soll. Sie sehen die Gefahr, zwischen den Mühlsteinen der Macht zermahlen zu werden, die Gefahr, eine etablierte Partei zu werden und damit keine Satirepartei mehr zu sein.“Der Realpolitiker,
wie er sich nennt, und sein Stellvertreter Carsten Müller (39), alias DJ Johann Santcross, gelernter Koch, sehen die Gefahr genauso. Sie lassen sich aber als Fraktion darauf ein, um Strukturen in der Politik sichtbar machen und verändern zu können. „Im Mehrheits-Bündnis wollen wir Satire und Persiflage als Mittel einsetzen“, sagen die Beiden. „Solange das möglich, bleibt die Fraktion im Bündnis und trägt Kompromisse mit.“Zehn Sachkundige Bürger habe man aus dem Unterstützerkreis gewinnen können, der gut 20 Personen umfasst. Sie treffen sich regelmäßig mit den beiden Ratsherren zu einer Videokonferenz, um über Punkte in den Ausschusssitzungen oder Themen der Politik zu diskutieren. Mit dabei sind auch Nicole Burghardt als neue Fraktionsassistentin und der Moerser Musiker Carsten Bewerunge als Fraktionsgeschäftsführer.
Da Born und seine Mitstreiter neu im Stadtrat gekommen sind, ist noch offen, ob sie feststehende Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe entwickeln wollen, diese ständig verändern oder einen Mix daraus wählen. Auch ist noch nicht klar, inwieweit ihre Fraktion die klassischen Mittel der Politik, wie Anfragen, Anträge oder Stellungnahmen mit satirischen Mitteln kombiniert. „Wir arbeiten zurzeit an einem Antrag zu einer bestimmten Drucksache“, verrät Carsten Born. „Wir bleiben unserem satirischen Stil treu.“Auch die Internetseite, die in Arbeit ist, soll im Stil von Persiflage und Satire sein, manchmal aber auch von erbarmungsloser Härte.
„Wir haben als erste und einzige Fraktion gesagt, dass es nach dem zweiten Lockdown Gastronomie und Handel nicht mehr so wie früher in der Moerser Innenstadt geben wird“, betont der Fraktionsvorsitzende. „Durch die Pandemie beschleunigt sich die Digitalisierung. Diese Entwicklung hat sich schon vorher abgezeichnet. Gleichzeitig zeigt sich, wie wichtig eine funktionierende Innenstadt ist, um das Gemeinschaftsgefühl der Bürger zu stärken. Ohne dieses Gefühl kann keine Stadt leben. Andere Parteien suchen nach Möglichkeiten, den Händlern und Händlerinnen ein ‚weiter so‘ zu ermöglichen. Wir sprechen zumindest die unbequeme Wahrheit aus, dass ‚weiter so‘ auch nach Corona nicht funktionieren wird. Und wir bekommen Zustimmung aus Ecken, mit denen wir nicht gerechnet hätten.“Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „In der Mitte gewinnen Parteien ihre Wahlen und verlieren ihr Profil. Vermutlich gehören die Partei und die Fraktion in 20 oder 30 Jahren auch zu den Etablierten. Dann wären sie nichts mehr für mich. Die Zeit bis dahin will ich aber dabei sein und mitgestalten.“
Das Büro der Fraktion „Die Fraktion“liegt im Moerser Rathaus, Telefon 02841 201233 Email die.fraktion@moers.de. Das Büro soll nach dem zweiten Lockdown von montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr besetzt sein.