Hinten Krefeld, vorne Moers
Am Montagabend trat in Krefeld die Ausgangssperre in Kraft. Das Grundstück der Timpes steht direkt an der Grenze zur Nachbarstadt. Dort gilt die Corona-Regel nicht. Deshalb können die Eheleute trotzdem problemlos vor die Tür.
KREFELD Maren und Hans Joachim Timpe stehen am Montagabend auf ihrem Balkon ihrer Hochparterre-Wohnung in Krefeld. Es ist kurz nach 21 Uhr; seit wenigen Minuten gilt in ihrer Stadt eine nächtliche Ausgangssperre. Für das Ehepaar Timpe ändert sich trotzdem nicht viel; die beiden können weiterhin problemlos vor die Tür auf die Straße gehen, denn diese gehört nicht mehr zu Krefeld, sondern zu Moers. „Wir wohnen an der Stadtgrenze. Unser Haus steht auf Krefelder Boden. Aber schon direkt hinter unserem Briefkasten verläuft die Grenze“, sagt Maren Timpe. „Wenn ich unser Haus hingegen hintenraus verlasse, darf ich nicht mehr weit gehen. Das ist doch paradox.“
Neben einigen anderen Städten gilt seit Montagabend auch in Krefeld wegen steigender Inzidenzwerte eine Ausgangsperre von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens. Nur mit einem triftigen Grund dürfen die Krefelder in dieser Zeit ihre Häuser und Wohnungen verlassen – etwa wenn man zum Arzt muss, dienstliche Tätigkeiten ausübt oder Kranke begleitet. Verstöße werden mit einem Bußgeld von 250 Euro geahndet.
In Krefeld sieht man ab 21 Uhr zunächst nicht einen Menschen auf der Straße. Auf der Autofahrt von Krefeld-Traar in die Innenstadt erspäht man gegen 21.30 Uhr auf einem Stück von etwa fünf Kilometern nicht einen Fußgänger, nicht einmal jemanden, der mit seinem Hund spazieren geht. Kaum ein Auto ist unterwegs. Das ändert sich ein wenig in der Innenstadt. Dort sitzen auf den Bänken an den Straßenbahnhaltestellen gegen 21.40 Uhr immer noch Menschen, die auf ihre Bahn warten. Die meisten von ihnen sind auf dem Weg von der Arbeit nach Hause – anders als die Personen, die sich in kleinen Grüppchen zu dritt und zu viert auf einem Platz mitten in der Innenstadt tummeln. Einige von ihnen halten Bierflaschen in der Hand; die wenigsten tragen einen Mundschutz.
Polizisten und Kräfte des Ordnungsamtes sieht man um die Uhrzeit kaum. „Die sind bestimmt in den anderen Stadtteilen gucken – in Oppum, in Fischeln und in Uerdingen.
Dort gibt es eine Reihe von Orten, wo sich die Jugendlichen jetzt treffen während der Pandemie“, sagt ein Fahrer von Lieferando, der mit zwei Kollegen vor einer McDonald’s-Filiale auf einen Auftrag wartet. Eigentlich hätten die drei Männer um die Uhrzeit keine Zeit für einen Plausch. „Normalerweise müssen wir um diese Zeit immer kräftig in die Pedale treten“, sagt einer von ihnen. „Ich vermute, dass die Leute wegen der Ausgangssperre heute nichts bestellen“, sagt er.
Maren und Hans Joachim Timpe nehmen die derzeitige Situation auf jeden Fall mit Humor. „Die Ausgangssperre ist zwar Unfug, aber stören tut sie uns jetzt auch nicht mehr. Dazu haben wir schon viel zu viel hier erlebt“, sagt Maren Timpe.
Auch in Wuppertals Innenstadt herrscht um 21 Uhr gespenstische Leere. In der Elberfelder Fußgängerzone huschen vereinzelt Gestalten herum, die meisten haben es eilig, wollen schnell nach Hause. Ein junger Mann erzählt, dass er den Bus verpasst habe und nun hoffe, auf dem Heimweg nicht von der Polizei oder dem Ordnungsdienst erwischt zu werden. „Ich hoffe, dass sie am ersten Abend noch kulant sind“, sagt er. Als in Solingen ebenfalls die
Ausgangssperre gegolten habe, sei einer seiner Freunde dort zehn Minuten nach 21 Uhr auf der Straße erwischt worden und habe 130 Euro zahlen müssen. Eine Ausgangssperre hält er nicht grundsätzlich für verkehrt, doch ob sie ausgerechnet in Wuppertal etwas bringe, sei fraglich. „Ich wohne mitten in der City, da ist nach 19 Uhr sowieso nichts mehr los“, sagt er.
Polizei oder Ordnungsdienst sind am ersten Abend nicht zu sehen. Davon profitiert auch Stefan Puta, der nach eigenen Angaben nichts von den geltenden Beschränkungen wusste. Der 27-Jährige kommt aus Solingen und war davon ausgegangen, dass in Wuppertal dieselben Regeln gelten wie in seiner Heimatstadt. Für besonders wirksam hält er eine Ausgangssperre nicht. „Dann treffen sich viele eben tagsüber“, sagt er.
Ein paar Meter weiter schlendert Semjahn Behr über den Bürgersteig.
Der 19-Jährige absolviert gerade ein Praktikum und gehört zu einem Video-Produktionsteam. Er hat eine Bescheinigung erhalten, dass er aus beruflichen Gründen abends auf der Straße unterwegs sein darf. Die Ausgangsbeschränkungen hält er aber für sinnvoll. „Alles, was die Infektionszahlen nach unten drückt, muss probiert werden“, sagt er. „Ich habe Verwandte in Australien, die ich irgendwann auch mal wieder besuchen möchte.“
Die erste Nacht der Ausgangssperre sei in Wuppertal ruhig verlaufen, sagt Stadtsprecher Thomas Eiting. Der Krisenstab wolle die Beschränkungen aber noch in dieser Woche an die geplanten bundeseinheitlichen Bestimmungen anpassen. Damit gilt die Ausgangssperre erst ab 22 Uhr. Vielleicht aber wird die Regelung in Wuppertal schon bald wieder ganz gekippt: Die örtliche FDP hat eine Klage gegen die Sperre eingereicht.