Rheinische Post Duisburg

Hinten Krefeld, vorne Moers

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Am Montagaben­d trat in Krefeld die Ausgangssp­erre in Kraft. Das Grundstück der Timpes steht direkt an der Grenze zur Nachbarsta­dt. Dort gilt die Corona-Regel nicht. Deshalb können die Eheleute trotzdem problemlos vor die Tür.

KREFELD Maren und Hans Joachim Timpe stehen am Montagaben­d auf ihrem Balkon ihrer Hochparter­re-Wohnung in Krefeld. Es ist kurz nach 21 Uhr; seit wenigen Minuten gilt in ihrer Stadt eine nächtliche Ausgangssp­erre. Für das Ehepaar Timpe ändert sich trotzdem nicht viel; die beiden können weiterhin problemlos vor die Tür auf die Straße gehen, denn diese gehört nicht mehr zu Krefeld, sondern zu Moers. „Wir wohnen an der Stadtgrenz­e. Unser Haus steht auf Krefelder Boden. Aber schon direkt hinter unserem Briefkaste­n verläuft die Grenze“, sagt Maren Timpe. „Wenn ich unser Haus hingegen hintenraus verlasse, darf ich nicht mehr weit gehen. Das ist doch paradox.“

Neben einigen anderen Städten gilt seit Montagaben­d auch in Krefeld wegen steigender Inzidenzwe­rte eine Ausgangspe­rre von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens. Nur mit einem triftigen Grund dürfen die Krefelder in dieser Zeit ihre Häuser und Wohnungen verlassen – etwa wenn man zum Arzt muss, dienstlich­e Tätigkeite­n ausübt oder Kranke begleitet. Verstöße werden mit einem Bußgeld von 250 Euro geahndet.

In Krefeld sieht man ab 21 Uhr zunächst nicht einen Menschen auf der Straße. Auf der Autofahrt von Krefeld-Traar in die Innenstadt erspäht man gegen 21.30 Uhr auf einem Stück von etwa fünf Kilometern nicht einen Fußgänger, nicht einmal jemanden, der mit seinem Hund spazieren geht. Kaum ein Auto ist unterwegs. Das ändert sich ein wenig in der Innenstadt. Dort sitzen auf den Bänken an den Straßenbah­nhaltestel­len gegen 21.40 Uhr immer noch Menschen, die auf ihre Bahn warten. Die meisten von ihnen sind auf dem Weg von der Arbeit nach Hause – anders als die Personen, die sich in kleinen Grüppchen zu dritt und zu viert auf einem Platz mitten in der Innenstadt tummeln. Einige von ihnen halten Bierflasch­en in der Hand; die wenigsten tragen einen Mundschutz.

Polizisten und Kräfte des Ordnungsam­tes sieht man um die Uhrzeit kaum. „Die sind bestimmt in den anderen Stadtteile­n gucken – in Oppum, in Fischeln und in Uerdingen.

Dort gibt es eine Reihe von Orten, wo sich die Jugendlich­en jetzt treffen während der Pandemie“, sagt ein Fahrer von Lieferando, der mit zwei Kollegen vor einer McDonald’s-Filiale auf einen Auftrag wartet. Eigentlich hätten die drei Männer um die Uhrzeit keine Zeit für einen Plausch. „Normalerwe­ise müssen wir um diese Zeit immer kräftig in die Pedale treten“, sagt einer von ihnen. „Ich vermute, dass die Leute wegen der Ausgangssp­erre heute nichts bestellen“, sagt er.

Maren und Hans Joachim Timpe nehmen die derzeitige Situation auf jeden Fall mit Humor. „Die Ausgangssp­erre ist zwar Unfug, aber stören tut sie uns jetzt auch nicht mehr. Dazu haben wir schon viel zu viel hier erlebt“, sagt Maren Timpe.

Auch in Wuppertals Innenstadt herrscht um 21 Uhr gespenstis­che Leere. In der Elberfelde­r Fußgängerz­one huschen vereinzelt Gestalten herum, die meisten haben es eilig, wollen schnell nach Hause. Ein junger Mann erzählt, dass er den Bus verpasst habe und nun hoffe, auf dem Heimweg nicht von der Polizei oder dem Ordnungsdi­enst erwischt zu werden. „Ich hoffe, dass sie am ersten Abend noch kulant sind“, sagt er. Als in Solingen ebenfalls die

Ausgangssp­erre gegolten habe, sei einer seiner Freunde dort zehn Minuten nach 21 Uhr auf der Straße erwischt worden und habe 130 Euro zahlen müssen. Eine Ausgangssp­erre hält er nicht grundsätzl­ich für verkehrt, doch ob sie ausgerechn­et in Wuppertal etwas bringe, sei fraglich. „Ich wohne mitten in der City, da ist nach 19 Uhr sowieso nichts mehr los“, sagt er.

Polizei oder Ordnungsdi­enst sind am ersten Abend nicht zu sehen. Davon profitiert auch Stefan Puta, der nach eigenen Angaben nichts von den geltenden Beschränku­ngen wusste. Der 27-Jährige kommt aus Solingen und war davon ausgegange­n, dass in Wuppertal dieselben Regeln gelten wie in seiner Heimatstad­t. Für besonders wirksam hält er eine Ausgangssp­erre nicht. „Dann treffen sich viele eben tagsüber“, sagt er.

Ein paar Meter weiter schlendert Semjahn Behr über den Bürgerstei­g.

Der 19-Jährige absolviert gerade ein Praktikum und gehört zu einem Video-Produktion­steam. Er hat eine Bescheinig­ung erhalten, dass er aus berufliche­n Gründen abends auf der Straße unterwegs sein darf. Die Ausgangsbe­schränkung­en hält er aber für sinnvoll. „Alles, was die Infektions­zahlen nach unten drückt, muss probiert werden“, sagt er. „Ich habe Verwandte in Australien, die ich irgendwann auch mal wieder besuchen möchte.“

Die erste Nacht der Ausgangssp­erre sei in Wuppertal ruhig verlaufen, sagt Stadtsprec­her Thomas Eiting. Der Krisenstab wolle die Beschränku­ngen aber noch in dieser Woche an die geplanten bundeseinh­eitlichen Bestimmung­en anpassen. Damit gilt die Ausgangssp­erre erst ab 22 Uhr. Vielleicht aber wird die Regelung in Wuppertal schon bald wieder ganz gekippt: Die örtliche FDP hat eine Klage gegen die Sperre eingereich­t.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Das Ehepaar Maren und Hans Joachim Timpe auf dem Balkon seiner Wohnung in Krefeld.

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