„Wir sehen zu, wie sich eine Familie zerlegt“
Mit seinem neuen Stück will das Kommödchen Theater ins Netz und das Netz ins Theater bringen. Irgendwie komisch und doch typisch.
Wir reden über „Crash“, oder? MAIER-BODE So sieht es aus.
Haben Sie sich für unsere kleine Videokonferenz denn besonders gewandet?
JACOBS Ich habe mich extra so leger gekleidet, damit ich nicht zu formell rüberkomme.
MAIER-BODE Bei mir ist das aber anders, weil ich ja kein Homeoffice machen darf, sondern im Kommödchen physisch anwesend sein muss. Darum sitze ich jetzt hier also direkt vor dem Bühnenbild, das gerade entsteht.
Und ich wollte Sie schon fragen, wie komisch Ihr Wohnzimmer im Hintergrund aussieht.
MAIER-BODE Nee, das ist unsere Kiste, die wir eigens für das neue Stück angefertigt haben.
Verändern uns eigentlich Videokonferenzen? Seit fast einem Jahr kommunizieren wir alle doch mehr oder weniger über merkwürdig aufgeteilte Bildschirme.
MAIER-BODE Stimmt, aber manchmal ist das auch ganz praktisch, wenn man nicht durch die Weltgeschichte düsen muss.
JACOBS Ich kenne inzwischen manche Leute nur noch vom Bildschirm und finde es befremdlich, sie dann irgendwann wirklich treffen zu müssen. Für mich sind diese Menschen quasi wie Ingo Zamperoni, dem man ja auch nur am Bildschirm begegnet. Was aber total fehlt, ist das Durcheinanderreden. Man hat bei Videokonferenzen diese Sprachhygiene. Das ist fatal beim Brainstorming, wenn man das Gefühl hat, eine sehr starke Idee will jetzt raus – und wird dann überlagert von anderen Ideen.
EHRING Trotzdem versuchen wir manchmal, auch ein bisschen das Chaos bei unseren Konferenzen zuzulassen. Mal gelingt das, mal nicht. Allen fehlt ja gerade die private Plauderei vor und nach den Konferenzen, vor der Kaffeemaschine oder in einer Raucherpause auf dem Balkon.
Wurde denn auch für „Crash“vor den Bildschirmen geprobt, um die echte Situation im Stück zu erleben?
EHRING Wir haben tatsächlich den gesamten Schreibprozess ohne ein einziges Live-Treffen hinbekommen. Und wir haben das Stück in verteilten Rollen auch nur in Videokonferenzen gelesen. Die richtigen Proben aber finden – nach Schnelltests
– jetzt auf der Bühne statt mit dem mehr oder weniger direktem Zusammentreffen.
MAIER-BODE Was übrigens ein großes Erlebnis ist.
Das Bühnenbild besteht aus vier großen Bildschirmen, das sehe ich schon im Hintergrund … MAIER-BODE … na ja, wir lassen einen großen schwarzen Kasten auf die Bühne bauen. Und der sieht dann ungefähr so aus wie die Bildschirmaufteilung bei Zoom.
Beeinflusst das die Ästhetik des Stücks, in dem die Akteure mehr in ihrer Mobilität auf der Bühne eingeschränkt sind und damit noch stärker die Sprache im Vordergrund steht?
MAIER-BODE Wir haben uns das auch erst einmal sehr wortlastig vorgestellt. Aber unser Regisseur ist da sehr kreativ, wie man auch in den Kisten agieren und miteinander kommunizieren kann.
Das heißt aber auch, Herr Ehring, dass Sie kein Klavier spielen dürfen.
EHRING Oh doch. Zumindest bei der Entstehung. In den Zoom-Konferenzen habe ich mich immer wieder kurz ans Klavier gesetzt nach dem
Motto: Könnt ihr mich hören? – und habe dann alle gefragt, ob sie sich dies oder jenes vorstellen können. Aber auf der Bühne funktioniert das natürlich leider nicht. Es wird Halb-Playbacks geben.
In „Crash“versuchen vier Geschwister, sich per Videokonferenz über ein gemeinsames Geschenk zur Goldhochzeit der Eltern zu verständigen.
JACOBS Und dafür haben wir die Form des Vierkammerspiels erfunden. Die Geschwister sitzen in ihren einzelnen Kammern: Wir haben einen Unternehmer in Chicago, einen Beamten, der im Homeoffice seine Kinder hüten muss, eine junge Professorin, die in Hamburg auf der Suche nach ihrer Identität ist, und schließlich einen Sportlehrer, der daheim auf dem Sofa sitzt und sich eine ganz eigene Version der Realität gebaut hat.
Und diese vier Geschwister sollen nur über das Geschenk für die Eltern reden?
JACOBS Genau, und das klingt auch alles ganz einfach. Aber alle leben in ihrer eigenen Blase, sind gefangen in ihren Denkmustern, aus denen sie nicht mehr herauskommen. Eigentlich genau das, was wir heute auch in der Gesellschaft erleben. Da wird das Geschenk zum kleinen Zündstoff, mit dem sich die Familie aber schließlich komplett zerlegt.
Das hört sich nicht mehr nach einem reinen Kabarett-Programm an.
JACOBS Stimmt. Wir sind ja sowieso immer schon unterwegs gewesen zwischen Theater und Kabarett. Und jetzt machen wir noch einmal einen deutlichen Schritt hin zum Theater, wobei wir die Figuren mit einer größeren Tiefe anlegen. Also sehen wir einer Familie dabei zu, wie diese sich zerlegt, so, wie sich unserer Ansicht nach auch die Gesellschaft zerlegt.
Wird das Kabarett dadurch ein bisschen unpolitischer?
JACOBS Na ja, Politik ist nicht unbedingt immer das, was die Herren Söder und Laschet so treiben. Das ist ja nur die Oberfläche. Politik findet meines Erachtens auch und vor allem im Privaten statt. Und das lässt sich halt am besten mit Menschen und mit Geschichten erzählen. MAIER-BODE Und das ist eine Freiheit, die das Kommödchen hat und die weit über das hinausgeht, was andere Ensemble-Kabarettbühnen tatsächlich wagen.
Eine andere gesellschaftliche Debatte: Divers ist das Ensemble des Kommödchens noch nicht.
EHRING Das stimmt. Da können wir sozusagen hinter uns selbst nicht zurück. Aber es ist sicherlich ein Weg, den das Kommödchen noch beschreiten wird. Wir können eben in jeder Hinsicht nicht aus unserer Haut und können deshalb auch nur unsere Perspektive spiegeln. Wir reden also notgedrungen über uns.
Ist der Tag der „Uraufführung“von „Crash“auch schon eine Botschaft – mit dem Familienfeiertag Christi Himmelfahrt?
JACOBS Daran haben wir – ehrlich gesagt – gar nicht gedacht. Aber es passt natürlich gut.
Warum sollte man „Crash“unbedingt sehen, und wer sollte „Crash“auf gar keinen Fall sehen?
EHRING Gute Frage, also lehne ich mich mal weit aus dem Fenster: „Crash“sollte man unbedingt sehen, weil es unter den vielen Theater-Streaming-Angeboten eins der lustigsten ist. „Crash“sollten auf keinen Fall Menschen sehen, die zu quadratisch strukturiert sind; die also sehr gefestigt sind in ihren Meinungen und schon wissen, wo es langgeht.
MAIER-BODE Unbedingt sehen aus dem Grund: Weil das Stück eine einzigartige Verbindung von analoger und digitaler Aufführung ist. Wir haben ein total analog gebautes Bühnenbild, was Digitalität behauptet; und wir senden es digital aus und werden es später analog bedienen! Wer digital nicht ganz so fit ist, sollte es sich auf jeden Fall im Kommödchen anschauen.
JACOBS Das ist ein Superstück für alle, die auch Lust haben, jetzt in der Zeit Menschen zu sehen, die vor allem Spiellaune haben. Es ist sehr komisch, hochaktuell und musikalisch. Wer sich im Kabarett lieber belehren lässt, sollte es vielleicht nicht schauen. Wir wollen ein Kabarett der Fragen machen, nicht der Antworten.
Und wird das neue Ensemble-Stück „Crash“einmal ein historisches Stück werden, mit dem die Menschen sich daran erinnern, wie man damals in Corona-Zeiten per Video hauptsächlich miteinander kommunizierte?
EHRING Hallo, kann mich jemand hören? Und verstehen? Hallo? Hallooo...