Rheinische Post Duisburg

Massenpani­k beim Gebet

Mindestens 45 Menschen sind bei der Feier des jüdischen Fests Lag Baomer in Israel gestorben. Es war die größte Versammlun­g seit dem Ende der Pandemie. Die Genehmigun­g war umstritten.

- VON JUDITH POPPE

TEL AVIV „Für unsere haredische Gemeinscha­ft ist dies eine besondere Tragödie, und dies ausgerechn­et am glücklichs­ten Feiertag im Judentum“, erzählt Yakov Plevinsky aus der ultraortho­dox geprägten Stadt Bnei Brak in der Nähe von Tel Aviv am Telefon. In der Nacht auf Freitag wurden bei Massenfeie­rlichkeite­n ultraortho­doxer Jüdinnen und Juden am Berg Meron im Norden Israels mindestens 45 Menschen zu Tode gequetscht. Über 150 wurden verletzt. Es ist eine der größten Katastroph­en, die sich zu Friedensze­iten in Israel ereignet haben.

Plevinsky selbst war, anders als in vergangene­n Jahren, in diesem Jahr nicht dort, jedoch viele seiner Familienmi­tglieder und Freunde. Über seinen Onkel werde gesagt, dass er sich unter den Todesopfer­n befinde. Doch noch hat Plevinsky Hoffnung, dass es sich lediglich um ein Gerücht handelt. Viele der Toten sind durch die Quetschung­en nur schwer zu identifizi­eren. Zahlreiche Familienan­gehörige hatten bis Freitagmit­tag noch nichts von ihren Angehörige­n gehört.

Am Grab des Rabbis Schimon Bar Jochai, wo normalerwe­ise an diesem Tag Zehntausen­de ultraortho­doxe Juden beten, tanzen und des Bar-Kochba-Aufstands im zweiten Jahrhunder­t nach Christus gedenken, herrscht nun gähnende Leere. Am Freitag wurde das Gelände vollständi­g evakuiert. In der Nacht jedoch herrschte ein großes Chaos. Eltern suchten ihre Kinder. Das Telefonnet­z war überlastet, zumal viele der koscheren Handys, die Ultraortho­doxe häufig benutzen, besonders schlechten Empfang haben. Gleichzeit­ig klingelten ununterbro­chen die Telefone der Toten mit Anrufen von Verwandten, berichtet der Sprecher der Hilfsorgan­isation Zaka.

Polizeiang­aben zufolge wurde die Massenpani­k verursacht, nachdem einige Feiernde dicht aneinander­gedrängt auf den Stufen ausgerutsc­ht waren, die zum Grab Bar Jochais führen, und so einen Dominoeffe­kt ausgelöst hatten. Die Polizei hat Ermittlung­en aufgenomme­n, um den Vorfall zu untersuche­n. Viele kritisiere­n die Entscheidu­ng der Polizei, als Corona-Schutzmaßn­ahme einen der Zugänge zu der Grabstätte

geschlosse­n zu haben. Während die israelisch­e Polizei die Vorwürfe zurückwies, übernahm der zuständige Polizeikom­mandant, Shimon Lavi, am Freitagmor­gen die Verantwort­ung für die Katastroph­e.

Die Versammlun­g am Berg Meron war die größte Veranstalt­ung in Israel seit dem Ausbruch der Pandemie im vergangene­n Jahr. Im Vorfeld hatte es Unstimmigk­eiten darüber gegeben, ob die Feier des Festes überhaupt in dieser Form erlaubt werden sollte. Die Regierung hatte sich nicht darüber einigen können, ob es Einschränk­ungen geben soll. Kritiker warfen Netanjahu vor, er habe seine ultraortho­doxen Bündnispar­tner nicht verärgern wollen. Beamte des Gesundheit­sministeri­ums hatten jedoch die Israelis aufgeforde­rt, nicht zum Berg Meron zu reisen, da sie befürchtet­en, die Feierlichk­eiten könnten zu einer massenhaft­en Ansteckung mit dem Coronaviru­s führen, selbst wenn weite Teile der Bevölkerun­g bereits geimpft sind.

Israels Oberrabbin­er Israel Meir Lau, der ebenfalls bei den Feierlichk­eiten anwesend war, blieb mit anderen führenden Rabbinern in Meron und sprach Psalmen für die

Verwundete­n. Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu nannte den Vorfall „eine schrecklic­he Katastroph­e“und reiste in den Norden. Auch Gesundheit­sminister Juli Edelstein besuchte das Krankenhau­s der Stadt Safed, eine der vielen heiligen Städte des Judentums, unweit von Meron. Staatspräs­ident Reuven Rivlin twitterte, dass er die Entwicklun­gen mit großer Besorgnis verfolge und für die Verletzten bete.

Der deutsche Außenminis­ter Heiko Mass twitterte: „Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörige­n.“Bundespräs­ident

Frank-Walter Steinmeier und die Bundesregi­erung sprachen Israel ihr Beileid aus. „Diese Katastroph­e, die viele Menschen das Leben gekostet hat, macht uns fassungslo­s. Es ist eine Tragödie, die uns zutiefst erschütter­t“, schrieb Steinmeier am Freitag an Rivlin.

An Plevinskys Wohnung in Bnei Brak fahren derweil, wie er berichtet, ununterbro­chen Fahrzeuge mit Lautsprech­ern vorbei, um für die Genesung der Kranken zu beten: „Es ist eine Katastroph­e, an die man sich wohl noch viele Jahre erinnern wird“, sagt er.

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FOTO: DAVID COHEN/DPA Ultraortho­doxe Juden feiern dicht gedrängt am Berg Meron, bevor eine Massenpani­k ausbricht.

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