Rheinische Post Duisburg

Ehrliche Pflegerefo­rm statt billiger Wahlkampf

- VON ANTJE HÖNING

Bei den Klatschkon­zerten vor einem Jahr waren sich noch alle einig: Pflegekräf­te haben mehr gesellscha­ftliche Anerkennun­g verdient. Ihre Arbeit ist körperlich hart, emotional belastend und durch Corona noch schwerer geworden. Klar ist auch, dass die Zahlung einmaliger Corona-Boni das strukturel­le Problem nicht löst. Eigentlich ist es in der Marktwirts­chaft die Aufgabe der Tarifpartn­er, Löhne auszuhande­ln. Doch die Tarifbindu­ng der Branche ist so gering, dass nicht mal die Hälfte der Altenpfleg­er nach Tarif bezahlt wird. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) scheiterte mit dem Vorstoß, einen Tarifvertr­ag für die Branche als allgemeinv­erbindlich zu erklären. Hier hat die Branchengr­öße Caritas eine üble Rolle gespielt, die das Ganze aus scheinheil­igen Gründen platzen ließ. Doch auch der Streit, der nun zwischen Heil und Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) entbrennt, lässt nichts Gutes ahnen. Eigentlich wollen beide dasselbe: die Heimbetrei­ber zwingen, nach Tarif zu bezahlen. Heime, die das ablehnen, sollen kein Geld mehr von der Pflegevers­icherung bekommen. Doch zugleich wollen sich beide als alleiniger Retter der Altenpfleg­er inszeniere­n.

Dabei sollten sie lieber gemeinsam eine fundamenta­le Frage klären: Wer soll die bessere Entlohnung bezahlen? Spahn dringt darauf, die Eigenbetei­ligung der Pflegebedü­rftigen zu deckeln. Aber Spahn wie Heil müssen sagen, wer dann für die Finanzieru­ng sorgt. Die Pflegevers­icherung? Dann sind die Sozialbeit­räge nicht wie versproche­n unter 40 Prozent zu halten. Der Steuerzahl­er? Darauf wird es hinauslauf­en. Und hier zeigt sich, wie die einst von Norbert Blüm eingeführt­e Pflegevers­icherung an ihre Grenzen stößt. Wer, wenn nicht eine große Koalition, kann eine ehrliche große Pflegerefo­rm stemmen? Das Thema ist zu wichtig für billige Wahlkampf-Scharmütze­l.

BERICHT CORONA VERSCHÄRFT PFLEGENOTS­TAND, TITELSEITE

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