„Nicht jeden Spaziergänger kontrollieren“
Der NRW-Innenminister spricht über die Ausgangssperre, vernachlässigte Bereiche und die Lage der Landes-CDU.
Herr Reul, wie geht es Ihnen derzeit nach der überstandenen CoronaInfektion?
REUL Ich habe ein Riesen-Glück gehabt. Das ist schon belastend, wenn man das positive Testergebnis bekommt: Schock, Angst, Sorge. Aber ich habe es gut überstanden und spüre auch keine Langzeitfolgen.
Hat die eigene Erkrankung Ihren Blick auf die Pandemiebekämpfung verändert?
REUL Ich habe das Virus immer ernst genommen. Aber jetzt durch das eigene Erleben vielleicht noch ein bisschen bewusster. Wenn Sie zwei Enkel haben und die dürfen Sie nur durchs Fenster anschauen – da kommen Sie schon ins Nachdenken.
Halten Sie die Lockerungen für Geimpfte und Genesene für vertretbar, obwohl die Belastung der Krankenhäuser noch so hoch ist?
REUL Wie meistens in dieser Pandemie gilt: Hundertprozentig richtig gibt es nicht. Natürlich wird es immer drängender, die Grundrechtseingriffe zurückzunehmen. Armin Laschet war da immer auf dem richtigen Kurs. Wir müssen nachjustieren, sobald der Spielraum für Freiheitsrechte wieder größer wird. Da sind Differenzierungen nötig, keine Schwarz-Weiß-Malerei.
Konkret: Wie kann die Polizei die Ausgangssperre noch kontrollieren, wenn Geimpfte und Genesene nachts umherspazieren dürfen? REUL Die Polizei kann und soll sicher nicht jeden Spaziergänger kontrollieren – sonst hätten wir einen Polizeistaat. Aber sie kann stichprobenartig Plausibilitätsprüfungen machen und nachfragen, wenn Zweifel bestehen.
Immer mehr Polizisten müssen bei sogenannten „Querdenker“-Demos eingesetzt werden. Sehen Sie dort zunehmende Gewaltbereitschaft? REUL Ja, und die Radikalisierung auf diesen Demos macht mich sehr unruhig. Leider gewinnen auch die radikalen Kräfte immer mehr die Oberhand. Aber nicht nur die: Immer häufiger gehen auch ältere Leute aus bürgerlichen Milieus auf die Polizei los – mit Regenschirmen oder anderen Gegenständen. Das ist eine Entwicklung, die mir Sorgen macht.
Gefährdet die „Querdenker“-Bewegung die Demokratie?
REUL Ja, daher beobachtet der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen jetzt auch Teile der „Querdenker“-Szene. Anhänger der Protestbewegung vernetzen sich zunehmend mit Rechtsextremisten, üben Gewalt gegen Polizisten und staatliche Einrichtungen oder machen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen
verächtlich.
Warum legen Sie in Ihrem Entwurf für das neue Versammlungsgesetz so großen Wert auf ein Verbot gemeinsamer äußerer Kennzeichen, dass sogar Fußballfans in Trikots fürchten, sie könnten künftig belangt werden?
REUL Es gibt einige Missverständnisse rund um das Gesetz. Manche Leute lesen den Text nicht richtig. Das Militanzverbot, auf das Sie anspielen, besagt laut Bundesverfassungsgericht, dass zu der gleichförmigen Kleidung auch ein einschüchterndes Auftreten hinzukommen muss. Wie früher bei der SS oder der SA oder heute bei Neonazis, die mit Fackeln und Springerstiefeln marschieren. Eine ähnliche Wirkung kann übrigens auch vom schwarzen Block bei der Antifa ausgehen. In diesen Fällen müssen die Polizisten eingreifen können.
Sie vergleichen die SS mit der Antifa?
Auf einem anderen Gebiet sind sie weniger aktiv: Die Bordellkontrollen in NRW waren schon vor der Pandemie stark rückläufig. Warum gehen Sie gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel nicht konsequenter vor?
REUL Bei wachsenden Aufgaben haben wir immer noch zu wenige Polizisten.
Aber würden Sie es ausschließen? REUL Die Frage stellt sich derzeit überhaupt nicht. Immerhin gibt es zwischendurch noch eine Landtagswahl und da haben die Wählerinnen und Wähler das Wort.