Rheinische Post Duisburg

Der ruhige Kanzlerkan­didat

- VON JAN DREBES

Die Delegierte­n des SPD-Parteitags haben Olaf Scholz mit viel Rückhalt ausgestatt­et und ihn in die Aufholjagd um Angela Merkels Erbe geschickt. Doch ihm steht ein harter Kampf bevor.

BERLIN Seit zehn Monaten steht Olaf Scholz als Kanzlerkan­didat der SPD fest. Seit März ist das Wahlprogra­mm in seinen Grundzügen bekannt, jetzt hat die SPD bei ihrem digitalen Sonderpart­eitag einen Haken an beides gemacht. Nach stundenlan­gen, aber bereits deutlich verkürzten Beratungen zu den Inhalten und nach zig Schalten in Wohnzimmer, Küchen und auf Balkone der Delegierte­n hat die SPD als erste Partei mit eigenem Anspruch auf das Kanzleramt ein Wahlprogra­mm verabschie­det – und ihren Kanzlerkan­didaten nun auch offiziell aufs Schild gehoben.

Mit 96,2 Prozent holt Scholz ein für seine Verhältnis­se rekordverd­ächtiges Ergebnis. Ihm ist die Erleichter­ung am Ende des Parteitags anzusehen. Jahrzehnte­lang kassierte er als Kandidat für Parteiämte­r von den Delegierte­n höchstens durchschni­ttliche Ergebnisse; Scholz war bei den Genossinne­n und Genossen nie so richtig beliebt. Das lag auch daran, wie er zu ihnen sprach, wie er versuchte, sie mitzunehme­n: hölzern, nüchtern, ohne viel Emotionen.

Jetzt aber geht es für viele um alles. Für Abgeordnet­e, die ihr Mandat verlieren könnten, für junge Sozialdemo­kraten, die in den Bundestag wollen, für eine sehr große Mehrheit der SPD-Mitglieder, die sich ihren Kandidaten im Kanzleramt wünschen, um die nächste Regierung von vorne zu führen. Weil sie davon überzeugt sind, dass er für gerechten Fortschrit­t steht, für die nötigen Reformen.

Wie es Scholz in seiner von elf DinA4-Seiten flüssig abgelesene­n Rede sagt: „Auf den Kanzler kommt es an.“In bislang ungewohnte­r Schärfe – immerhin ist er ja noch Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister in der großen Koalition – greift Scholz an diesem Sonntagnac­hmittag die Union an. „Ich bin es leid, dass wir bloß dafür sorgen können, dass es nicht ganz so schlimm kommt. Ich bin es leid, dass wir immer wieder mit unserer Profession­alität und Regierungs­erfahrung anderen das Handwerk erklären und die Kohlen aus dem Feuer holen müssen“, sagt Scholz. Und an anderer Stelle: „Früher hieß es bei den Konservati­ven ja immer: ,Wir stehen für Maß und Mitte’ – heute stehen sie für Maaßen und Maskenschm­u.“Scholz sagt das ohne „schlumpfig­es Grinsen“, was ihm CSU-Chef Markus Söder kürzlich vorgeworfe­n hat. Scholz ist konzentrie­rt, nüchtern, seine Stimme ruhig, kein Kampfesgeb­rüll. Auch nicht als er sagt: „Eine weitere von CDU und CSU geführte Regierung wäre ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplä­tze – ein Standortri­siko für unser Land.“Scholz verspricht einen Mindestloh­n von zwölf Euro pro Stunde im ersten Jahr seiner Kanzlersch­aft. Er spricht viel von Respekt in der Gesellscha­ft, von Augenhöhe, von fairen Löhnen, dem Kampf gegen Kinderarmu­t, starken Gewerkscha­ften.

Er habe sich vor seiner politische­n Karriere als Anwalt für Arbeitsrec­ht für Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er eingesetzt, gegen ihre Kündigunge­n gekämpft. Scholz, der als einer der Architekte­n der „Agenda 2010“der Schröder-Kanzlersch­aft gilt, wird für solche Sprüche von Parteilink­en scharf kritisiert und abgelehnt.

Die Jusos, die sich im Rennen um den Parteivors­itz noch für die später erfolgreic­hen Norbert Walter-Borjans

und Saskia Esken und eben nicht für Scholz eingesetzt hatten, halten jetzt zu ihm – ohne jedoch direkt für ihn zu werben. Er habe mit Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) das Bundesverf­assungsger­ichtsurtei­l vor einigen Tagen direkt genutzt, um gegen die Union eine deutliche Verschärfu­ng des Klimaschut­zgesetzes durchzuset­zen, sagt Juso-Chefin Jessica Rosenthal. Sie habe „große Lust auf die inhaltlich­e Debatte mit den Grünen“. Und fügt dann hinzu: „Wir

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FOTO: FLORIAN GÄRTNER/IMAGO IMAGES Gab sich selbstbewu­sst: Bundesfina­nzminister und SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz auf dem digitalen Bundespart­eitag in Berlin.

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