Theater im digitalen Raum: Es funktioniert!
Der Youngsters Club am Schlosstheater Moers und Theaterpädagoge Robert Hüttinger haben ein bis dato einmaliges Experiment gewagt.
MOERS Es war ein völlig ungewöhnliches und am Schlosstheater Moers bis dahin einmaliges Experiment, das der Youngsters Club und Theaterpädagoge Robert Hüttinger gewagt haben: Eine Theateraufführung im rein digitalen Raum!
Die zwölf Jugendlichen im Alter von 12 bis 16 Jahren spielen schon seit dreieinhalb Jahren zusammen, haben bisher ihre Stücke selbst entwickelt. Diesmal, in Corona-Zeiten, einigte die Gruppe sich auf „36.000 Sekunden“von Julia Gastel. „Der Tag ist gekommen. Die Welt geht unter. Es bleiben der Menschheit noch zehn Stunden“, heißt es da. Was könnte in der gegenwärtigen Weltuntergangsstimmung passender sein?
Es geht um diverse Krisen und Verwicklungen und die Frage, was jeder einzelne machen würde, wenn tatsächlich in zehn Stunden alles vorbei ist. Die junge Nonne Helena hat noch nie geküsst, Flo möchte ihr helfen, ahnt aber nicht, dass Helena nicht auf smarte Typen steht. Auch Flo will noch herausfinden, wer sie wirklich ist. Mit ihrer Schwester, die so ganz anders ist, scheinbar frei und selbstbewusst, spricht sie sich aus. In der Welt von Mutter Gruber scheint alles zu entgleiten, obwohl sie in ihrem schicken Haus alles haben sollte, was das Herz begehrt. Vater John denkt nur an sein Business und wie er die junge Mitarbeitern rumkriegen kann. Gert und Stefan haben sich im Internet kennengelernt und wollen sich nun zum ersten Mal treffen. Die „End-ofthe-World-Party“scheint dafür der richtige Ort.
Die Schauspieler vom Youngsters Club spielen ihre Rollen mit viel Hingabe. Es erscheint unglaublich, dass dies gelingt, obwohl sie gar nicht zusammen auf einer Bühne stehen! Jeder agiert alleine in seinem Zimmer vor dem Laptop, Tablet oder Smartphone, nur virtuell verbunden durch eine Zoom-Konferenz. Wer sich im Stück gemeinsam in einem Raum befinden soll, hat den gleichen Hintergrund, zum Beispiel das Großraumbüro oder den Flur der Gruberschen Villa. Wer in der Szene „abtritt“, wird ausgeblendet und man sieht nur die Personen, die gerade einen Dialog führen.
Wie bei Zoom üblich, tauchen die Namen der Teilnehmenden auf, in diesem Fall die Rollennamen. Das und das punktgenaue Umschalten der Hintergründe sowie das realistische „Zusammenspiel“der Schauspieler erleichtert es dem Zuschauer die Handlung zu verfolgen. Da wird auch schon mal ein Weinglas oder ein Zettel virtuell weitergegeben und man fragt sich fasziniert, wie dies wohl geprobt wurde, damit es so reibungslos funktioniert.
Das Stück wurde über Youtube gestreamt, Zugang hatte nur, wer vom Schlosstheater einen Link bekommen hatte. Robert Hüttinger erklärt, dass es ihm und der Gruppe wichtig war, den Kreis der Zuschauer zu begrenzen. Bis zu 70 Views konnten am Freitagabend gezählt werden. Vor einem Gerät aber dürften mehr Personen zugeschaut haben. Hüttinger schätzt, dass die Premiere bis zu 140 Zuschauer hatte – und das sind mehr, als in die Räume des
Theaters gepasst hätten. Nicht nur das, auch das Gelingen des Experiments wurde von allen Beteiligten als riesiger Erfolg gefeiert. Zu Beginn der Proben war noch nicht klar gewesen, ob und wie das Stück überhaupt aufgeführt werden sollte. Lassen sich überhaupt Emotionen erzeugen, wenn man sich nicht live sehen und miteinander agieren kann?
Die Youngsters wollten es unbedingt hinkriegen. Nach einigen Live-Proben im Sommer traf man sich ab Herbst jede Woche per Zoom. Technische Probleme wie das Einblenden von Musik sowie das Gestalten der Übergänge mussten gelöst werden. Hüttinger saß in seiner „Regiekabine“und war parallel mit den Spielern über das Handy in Kontakt, etwa um zu melden, ob jemand näher ans Mikro soll oder Ähnliches.
„Alle waren sehr aufgeregt“, erzählt der Theaterpädagoge. „Wir hatten mehrere Notfall-Szenarien, was wir tun, wenn alles zusammenbricht. Doch glücklicherweise, bis auf einige kleine Aussetzer, hat es gut funktioniert! Die Kids hatten alle Spaß und fanden es großartig! Wie gut, dass sie sich darauf eingelassen haben, obwohl sie eigentlich schon Zoom-müde sein müssten
vom andauernden Homeschooling!“Ein analoges Theater-Erlebnis konnte die Aufführung freilich nicht ersetzen, weder für die Akteure noch für die Zuschauer. Und doch war es ein besonderes Erlebnis für alle und umso wichtiger, da es den Abschied der Zeit mit Robert Hüttinger bedeutete, der das Schlosstheater zum Ende der Spielzeit verlassen wird.