Stadt fördert Kinder in ärmeren Vierteln
Viele Heranwachsende gerieten zuletzt aus dem Blick. Experten und Kinderschützer fürchten, dass vor allem benachteiligte Kinder zum Verlierer der Pandemie werden. Die Stadt will ein besonderes Präventionsprojekt ausbauen.
DÜSSELDORF Die Stadt will, dass Kinder in Vierteln mit hohem sozialen Handlungsbedarf trotz Pandemie weiter gesund aufwachsen können. „Wir wollen die Projekte zur frühkindlichen Gesundheitsförderung, zu der auch eine eigene Kita-Eingangsuntersuchung gehört, ausbauen“, sagte Jugendamtsleiter Johannes Horn am Dienstagabend im Jugendhilfeausschuss des Rates. Bislang werden elf Kitas in Hassels-Nord, Rath und Wersten Süd-Ost von besonderen Präventionsmanagerinnen betreut. Bei dem Projekt kooperieren Jugend- und Gesundheitsamt. Untersucht werden unter anderem motorische und sprachliche Fähigkeiten sowie soziale Kompetenzen. Vor der Pandemie kamen in aller Regel Kinderärztinnen aus dem Gesundheitsamt und Kinderkrankenschwestern in die Einrichtungen.
„2020 Jahr war das wegen der enormen Herausforderungen für das Gesundheitsamt oft nicht möglich, wir haben dann einen Teil der Aufgaben übernommen“, sagt Sabrina Hantke, die im Aktivtreff der Arbeiterwohlfahrt in Wersten als eine von drei Präventionsmanagerinnen des Projekts arbeitet. Die Risiken für Kinder aus Sozialräumen mit vielen benachteiligten Familien seien deutlich gestiegen, meint die Sozialpädagogin. „Wir haben Kinder erlebt, die nach Monaten ohne Kita im sprachlichen Bereich wieder von vorne anfangen mussten“, sagt sie. Einige seien lange Zeit aus dem Blick geraten, weil sie von ihren Eltern aus Sorge vor einer Ansteckung nicht in die Kita geschickt wurden. Entscheidend ist, dass es in dem Präventionsprojekt nicht bei einer Momentaufnahme bleibt. „Wir begleiten die Familien auch lange nach der Eingangsuntersuchung und helfen ihnen in ihrem Alltag“, sagt Hantke.
Weil die Erfahrungen gut sind und die Hilfe durch die Pandemie noch wichtiger geworden ist, will die Stadt das Förderprojekt ausbauen. „In den drei Sozialräumen sollen vier weitere Kitas von der langfristigen Begleitung durch die Expertinnen profitieren“, sagt Thomas Klein vom Jugendamt. Stimme die Politik zu, sollen darüber hinaus weitere Düsseldorfer Quartiere aufgenommen werden. „Wir denken in einem ersten Schritt an Flingern-Süd und Holthausen, aber auch über Garath und Oberbilk kann man nachdenken“, sagt Klein. Angedacht ist zudem, die Präventionsmanagerinnen demnächst auf vollen statt auf halben Stellen arbeiten zu lassen. Der Projektetat würde sich – auch wegen anderer Erweiterungen – von aktuell 150.000 auf rund eine halbe Million Euro erhöhen, meint Ursula Kraus, die im Jugendamt die Bereiche Prävention und Gesundheit koordiniert. „Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Corona die schwerwiegenden Folgen von Armut für Gesundheit, Bildung und Teilhabe verschärft und im schlimmsten Fall unumkehrbar macht“, sagt die Expertin. Im Ausschuss kündigte Horn an, rasch eine Vorlage zu den Ausbauplänen zu präsentieren.
Tatsächlich warnen nach 14 Monaten im Corona-Modus Kinderschützer, Jugendplaner und Präventionsexperten vor den Folgen des
Ausnahmezustands für die Heranwachsenden. Dass die Lage ernst ist, kann Bettina Erlbruch, Geschäftsführerin des Düsseldorfer Kinderschutzbundes (KSB), an den Beratungen der jüngeren Vergangenheit ablesen. So ging es 2019 bei vier von insgesamt 181 Terminen um klassische Kinderschutz-Themen. „In diesem Bereich geben uns Nachbarn, Erzieher und manchmal auch über sich selbst erschrockene Eltern Hinweise auf mögliche Übergriffe, Vernachlässigungen oder Überforderungen“, sagt Erlbruch. 2020, im ersten Pandemiejahr, stieg die Zahl dieser Kinderschutz-Beratungen auf 15 von insgesamt 246 Terminen. Und in den ersten vier Monaten dieses Jahres waren es neun von 106 Beratungen. Bliebe es bei dieser Entwicklung, würde mit 27 Beratungen zum Kinderschutz am Jahresende ein neuer Höchststand erreicht. „Wir spüren sehr deutlich die gestiegene Spannung in den Familien, die Nerven liegen immer häufiger blank“, sagt Erlbruch. Ein großes Problem: Beratungsangebote wie die Familiencafés des KSB bleiben coronabedingt nach wie vor geschlossen. In wirklich dringenden Fällen bieten die Mitarbeiter Beratungsspaziergänge unter freiem Himmel an. Darüberhinaus gibt es Telefon- und Online-Angebote. „Aber die können nicht alles ersetzen“, sagt Erlbruch, die sich in den vergangenen Monaten andere Prioritäten gewünscht hätte. „Für die Lufthansa gab es sofort ein gigantisches Rettungspaket, aber das Aufholpaket für Kinder und Jugendliche mit seinen zwei Milliarden Euro wurde erst vor ein paar Tagen verabschiedet“, sagt sie.