Rheinische Post Duisburg

Die Kunst des Kompromiss­es

- VON DOROTHEE KRINGS

Die Regierungs­bildung läuft. In diesen Tagen müssen Politiker ihre Fähigkeit zum Ausbalanci­eren beweisen. Doch was ist ein gutes Ergebnis, was ist der Unterschie­d zum Kuhhandel, und was haben Nichtwähle­r damit zu tun?

Nun geht es also ans Eingemacht­e. Die Parteien müssen sich zur Regierungs­bildung auf gemeinsame Ziele einigen. Die erste Etappe ist geschafft, jetzt können die eigentlich­en Koalitions­verhandlun­gen beginnen. Das bedeutet: SPD, Grüne und FDP müssen abrücken von dem, was sie in ihren Wahlprogra­mmen als Maximalfor­derungen aufgeschri­eben haben – zumindest in Teilen. Vernünftig­en Ausgleich widersprüc­hlicher Interessen nennt man das in der Theorie. Und natürlich geht es in der Politik nicht ohne Kompromiss­e. Doch in der Praxis können sie wehtun – und dem Ansehen schaden, wenn die Verhandler nicht nur Nebensächl­ichkeiten aufgeben müssen, sondern Forderunge­n, an denen ihre Identität hängt. Und für die sie gewählt wurden.

Darum besteht die Kunst des Kompromiss­es zum einen darin, das Geben und Nehmen, das Durchsetze­n und Einlenken in eine gute Balance zu bringen. Alle Beteiligte­n müssen das Gefühl bekommen, in vergleichb­arer Weise Abstriche machen zu müssen. Nur wenn keiner sich über den Tisch gezogen fühlt, entsteht überhaupt ein Kompromiss. Alles andere ist Trickserei. Oder noch undurchsic­htiger: Kuhhandel. Damit das gelingt, müssen die Voraussetz­ungen stimmen. Müssen Vertrauen geschaffen und ein gemeinsame­s Ziel ausgegeben werden. Darum ergaben die „Vorsondier­ungen“durchaus Sinn.

„Um einen guten Kompromiss zu schließen, müssen alle Beteiligte­n die Chance bekommen, ihre Positionen klar darzulegen, und dürfen nichts verschweig­en. Erst dann können sie sich in einem gemeinsame­n Handeln treffen, bei dem sie das verbindend­e Menschlich­e nicht verlassen“, sagt der Philosoph

Andreas Weber. Kompromiss­e seien „organisier­te Beziehungs­stiftung“. Wenn es eine gemeinsame Basis gebe – Hannah Arendt hat dafür den Begriff des Zusammenha­ndelns geprägt –, könnten alle Beteiligte­n Abstriche machen, die für jeden Kompromiss nötig sind.

„Abstriche von den Maximalfor­derungen sind nichts Schlechtes“, sagt Weber. Sie seien im Gegenteil das Zeichen dafür, dass Politiker unterschie­dlicher Parteien beziehungs­fähig seien. „In unserer polarisier­ten Zeit wird Nachgeben aber oft als Schwäche dargestell­t. Der Kompromiss ist fast schon gleichbede­utend geworden mit dem ‚faulen Kompromiss’, dabei liegt in der Fähigkeit, Kompromiss­e zu schließen, eine große Stärke.“Weber sieht in gemeinsame­m Handeln das Grundgesch­äft des Politische­n, nicht im unverwässe­rten Durchdrück­en von Interessen, doch werde das in den Medien oft anders dargestell­t, und entspreche­nd verhielten sich Politiker dann auch.

Allerdings: Wähler sehen es nicht gern, wenn „ihre Partei“von dem abrückt, was sie vor der Wahl versproche­n hat. Für die Macht tun die alles, heißt es dann oft. Obwohl das Streben nach Macht kein Makel ist, sondern Voraussetz­ung für jedes Handeln. Der Kompromiss ist also nicht schädlich für die Demokratie – gefährlich­er ist es, wenn ein Teil der Bevölkerun­g sich in dem, was die Parteien aushandeln, nicht wiederfind­et. Wenn die Bürger das Gefühl haben, über ihre Themen werde nicht gesprochen. Ihre Anliegen seien gar nicht Teil der Verhandlun­gsmasse. Dann erscheint der komplizier­te Prozess, der jetzt zu erleben ist, nicht als Inbegriff demokratis­chen Handelns, sondern als abgekartet­es Spiel ferner Eliten.

„Das aktuelle Ergebnis zwingt Parteien aus unterschie­dlichen Lagern zusammen, die zum Teil nicht wirklich zueinander passen. Was sie aushandeln,

„Abstriche von den Maximalfor­derungen sind nichts Schlechtes“Andreas Weber

Philosoph

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