So viel Belgien steckt in Duisburg
Eine Spurensuche weckt Erinnerungen, die Duisburg mit Belgien verbinden.
Was verbinden Duisburger mit Belgien? Meist dominieren Urlaubserinnerungen: Der Strand von Oostende, Pommes frites, belgisches Bier, Schokolade und Waffeln. Städte wie Gent oder Brügge sind bei Touristen beliebt. Lucky Luke, Tim und Struppi und die Schlümpfe repräsentieren die einzigartige belgische Comicwelt. Belgische Spuren entdeckt man in Neudorf zum Beispiel im „Comic-Treff“, und im Finkenkrug kann man die Vielfalt belgischer Bierbrauerkunst genießen. Doch es steckt noch mehr Belgien in Duisburg – eine Spurensuche. Bereits im 16. Jahrhundert, der Staat Belgien entstand erst 1830, waren Städte wie Gent, Brügge, Löwen oder Antwerpen Hotspots des Handels, der Kunst und Wissenschaft. Doch die Herrschaft der spanischen Habsburger und die Ketzerverfolgungen führten zur Flucht vieler Humanisten. Duisburg wurde im 16. Jahrhundert Zufluchtsort. Georg Cassander, geboren 1513 in Brügge, gehörte zu den großen Gelehrten zur Zeit der Reformation und lebte seit 1558 zeitweise in Duisburg auf der Poetgasse (heute Gutenbergstraße). Karl van Utenhove fand Asyl in Schloss Friemersheim. Auch die Genter Familie Otho floh nach Duisburg. Das Netzwerk der Humanisten rund um den großen Kosmographen Gerhard Mercator zeigt die aktuelle Ausstellung „Geister und Genies“im Stadtmuseum am Innenhafen.
Neben England wurde das heutige Belgien Kernland der industriellen Revolution. Der Kohleabbau als Treiber startete in Belgien bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts - deutlich früher als in Duisburg. Der Belgier Lambert Bicheroux errichtete 1855 auf dem Hochfeld neben der Niederrheinischen Hütte ein Walzwerk. Parallelen zum Duisburger Strukturwandel zeigten sich später in der Kohle- und Stahlkrise im wallonischen Teil Belgiens. Eine ungewöhnliche Verbindung zu Duisburg pflegte der kürzlich verstorbene belgische Millionär Roland Bartholomé. Ein erheblichrer Teil seines Nachlasses fließt aktuell als Projektförderung in den Landschaftspark Duisburg-Nord. Roland Bartholomé will das historische Erbe alter Industrieanlagen erhalten.
Die französisch-belgische Besetzung Duisburgs in Folge des Versailler Vertrags hatte die politische Atmosphäre vergiftet. Wohnraum im Wasserviertel (Mainstraße/Ecke Lahnstraße) wurde für die höheren belgischen Offiziersränge benötigt. Zu den konfliktbehafteten Ereignissen gehört der Zwischenfall auf der Hochfelder Eisenbahnbrücke. Am 30. Juni 1923 explodierte in einem belgischen Militärzug während der Überquerung der Brücke eine Bombe. Es gab mehrere Tote. Als Folge des Attentats mit der mutmaßlichen deutschen Täterschaft verschlechterte sich das Klima zwischen Besatzern und Bevölkerung weiter. Das „Diktat des Versailler Vertrags“schürte Revanchegelüste, die schließlich zum Zweiten Weltkrieg führten.
Unter den deutschen Kriegsgräueln hat das Königreich Belgien in zwei Weltkriegen schwer gelitten. Umso bemerkenswerter erscheint aus heutiger Sicht die Normalisierung der Beziehungen nach Kriegsende. Die traditionelle Verbindung zwischen Duisburg und dem Drehkreuz Antwerpen auf dem Schifffahrts
und Landwege förderte den Wirtschaftsaufschwung auf beiden Seiten. Heute ist die Duisburger Logistikbranche eng mit Belgien verbunden. Zehn belgische Unternehmen sind im IHK-Handelregister eingetragen; darunter namhafte Logistik-Unternehmen wie Dasbach und More Intermodal.
Aber auch der kulturelle und gesellschaftliche Austausch trug zur Normalisierung bei. In positiver Erinnerung bleibt die Brüsseler Weltausstellung im Jahr 1958. Sie führte dazu, dass Duisburg die Expo-Brücke erhielt. Die künstlerisch hochwertige Ausstattung und die Glasfenster der Liebfrauen-Kulturkirche stammen ebenfalls aus der Brüsseler Expo. Und nicht nur das: Duisburger
Kunst-und Literaturfreunde verweisen auf den Schriftsteller Georges Simenon, den surrealistischen Maler René Magritte, den Chansonnier Jacques Brel oder Adolphe Sax, der 1840 das Saxophon erfunden hat. Es lohnt, sich intensiver mit unserem belgischen Nachbarn zu beschäftigen.
Der föderale Staat Belgien entstand 1830 aus den niederländischen Südprovinzen und dem Westteil des Großherzogtums Luxemburg. Die deutschsprachige Gemeinschaft kam nach dem 1. Weltkrieg mit Eupen-Malmedy und Neutral-Moresnet dazu. Deutsch ist neben Flämisch und Französisch die dritte Nationalsprache des 11,5 Millionen Einwohner zählenden Belgiens.