Rheinische Post Duisburg

Atemlos durch die Nacht

Jochen Distelmeye­r trat mit neuem Sound-Design im Club des Zakk auf.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DÜSSELDORF Als Kopf der Band Blumfeld gehörte Jochen Distelmeye­r lange Jahre zur Speerspitz­e der intellektu­ellen, politische­n deutschen Popmusik. Es gab Exegeten seiner Texte, Interviews wurden manchmal mit geradezu ehrfurchts­voller Haltung geführt. Wenn allerdings heute jemand unbelastet von dieser Vorgeschic­hte auf ein aktuelles Solokonzer­t von ihm geht, dann wird es gar nicht so einfach sein, ihm zu erklären, dass es sich nicht um einen Schlagerab­end handelt.

Im Club des Zakk herrscht von Anfang eine ausgelasse­ne Stimmung. In Stücken wie „Zurück zu mir“, „Hey Dear“oder „Im Fieber“vom aktuellen Album „Gefühlte Wahrheiten“erzählt Jochen Distelmeye­r von hormonüber­schießende­n Disconächt­en. Man kann sagen, seine Erzähler-Figuren rennen atemlos durch die Nacht. In Helene Fischers gleichnami­gen Hit heißt es: „Bist du richtig süchtig, Haut an Haut ganz berauscht? / Fall in meine Arme und der Fallschirm geht auf.“Jochen Distelmeye­r singt in „Nur der Mond“nicht Unähnliche­s: „Brauch dich jetzt hier Haut an Haut / Dicht an dicht, fühlst du es auch? Hier in meinen Armen, bei mir sollst du sicher sein.“

Wie immer hat Distelmeye­r eine klare Entscheidu­ng für ein Sounddesig­n getroffen, das den gesamten Abend trägt. Er selbst spielt ausschließ­lich Akustik-Gitarren, womit

Man fühlt sich oft an die Hochzeit der amerikanis­chen Disco-Musik in den 70ern und 80ern erinnert

er sich zumindest optisch ein wenig in Richtung Liedermach­er-Ästhetik bewegt. Seine Band öffnet den Klang an Bass, Schlagzeug und Keyboard aber zu einem warmen und weichen Teppich. Man fühlt sich wie beim Hören des aktuellen Albums oft an die Hochzeit der amerikanis­chen Disco-Musik in den 1970erund 1980er-Jahren erinnert. In die US-amerikanis­che Popgeschic­hte sortiert er sich dann auch explizit ein, wenn er zum Beispiel sein Lied „Tanz mit mir“zum von Nat King Cole oder Frank Sinatra interpreti­erten Standard „Nature Boy“hin erweitert.

Das Oeuvre seiner Band Blumfeld würdigt Jochen Distelmeye­r auch, allerdings nur das aus der zweiten Schaffensp­eriode, als der ganz wütende, von E-Gitarren getriebene Protest-Sound schon Geschichte war. Trotzdem schlagen ihm hier auch von den Pop-Intellektu­ellen im Publikum hohe Wellen der Liebe entgegen, wenn er zum Beispiel in „Wir sind frei“eine quasi anarchisti­sche Utopie des freien Lebens freier Menschen in einer freien Welt entfaltet.

Im zweiten, energisch geforderte­n Zugabenblo­ck kündigt er seinen „kontrovers­esten Song“an. Es ist „Der Apfelmann“vom letzten Blumfeld-Album „Verbotene Früchte“. Damals begann er, die Utopie der Freiheit selbst zu leben, dichtete Lieder über Flussläufe und Farbenfeue­rwerke im April. Warum also jetzt nicht auch die Freiheit leben, atemlos durch die Nacht zu treiben?

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FOTO: PEDERSEN/DPA Die Band Blumfeld machte Jochen Distelmeye­r bekannt.

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