Atemlos durch die Nacht
Jochen Distelmeyer trat mit neuem Sound-Design im Club des Zakk auf.
DÜSSELDORF Als Kopf der Band Blumfeld gehörte Jochen Distelmeyer lange Jahre zur Speerspitze der intellektuellen, politischen deutschen Popmusik. Es gab Exegeten seiner Texte, Interviews wurden manchmal mit geradezu ehrfurchtsvoller Haltung geführt. Wenn allerdings heute jemand unbelastet von dieser Vorgeschichte auf ein aktuelles Solokonzert von ihm geht, dann wird es gar nicht so einfach sein, ihm zu erklären, dass es sich nicht um einen Schlagerabend handelt.
Im Club des Zakk herrscht von Anfang eine ausgelassene Stimmung. In Stücken wie „Zurück zu mir“, „Hey Dear“oder „Im Fieber“vom aktuellen Album „Gefühlte Wahrheiten“erzählt Jochen Distelmeyer von hormonüberschießenden Disconächten. Man kann sagen, seine Erzähler-Figuren rennen atemlos durch die Nacht. In Helene Fischers gleichnamigen Hit heißt es: „Bist du richtig süchtig, Haut an Haut ganz berauscht? / Fall in meine Arme und der Fallschirm geht auf.“Jochen Distelmeyer singt in „Nur der Mond“nicht Unähnliches: „Brauch dich jetzt hier Haut an Haut / Dicht an dicht, fühlst du es auch? Hier in meinen Armen, bei mir sollst du sicher sein.“
Wie immer hat Distelmeyer eine klare Entscheidung für ein Sounddesign getroffen, das den gesamten Abend trägt. Er selbst spielt ausschließlich Akustik-Gitarren, womit
Man fühlt sich oft an die Hochzeit der amerikanischen Disco-Musik in den 70ern und 80ern erinnert
er sich zumindest optisch ein wenig in Richtung Liedermacher-Ästhetik bewegt. Seine Band öffnet den Klang an Bass, Schlagzeug und Keyboard aber zu einem warmen und weichen Teppich. Man fühlt sich wie beim Hören des aktuellen Albums oft an die Hochzeit der amerikanischen Disco-Musik in den 1970erund 1980er-Jahren erinnert. In die US-amerikanische Popgeschichte sortiert er sich dann auch explizit ein, wenn er zum Beispiel sein Lied „Tanz mit mir“zum von Nat King Cole oder Frank Sinatra interpretierten Standard „Nature Boy“hin erweitert.
Das Oeuvre seiner Band Blumfeld würdigt Jochen Distelmeyer auch, allerdings nur das aus der zweiten Schaffensperiode, als der ganz wütende, von E-Gitarren getriebene Protest-Sound schon Geschichte war. Trotzdem schlagen ihm hier auch von den Pop-Intellektuellen im Publikum hohe Wellen der Liebe entgegen, wenn er zum Beispiel in „Wir sind frei“eine quasi anarchistische Utopie des freien Lebens freier Menschen in einer freien Welt entfaltet.
Im zweiten, energisch geforderten Zugabenblock kündigt er seinen „kontroversesten Song“an. Es ist „Der Apfelmann“vom letzten Blumfeld-Album „Verbotene Früchte“. Damals begann er, die Utopie der Freiheit selbst zu leben, dichtete Lieder über Flussläufe und Farbenfeuerwerke im April. Warum also jetzt nicht auch die Freiheit leben, atemlos durch die Nacht zu treiben?