Rheinische Post Duisburg

Auf den Spuren der Evolution

Was macht den modernen Menschen so einzigarti­g? Was unterschei­det ihn von seinen ausgestorb­enen Verwandten? Solchen Fragen widmet sich Svante Pääbo seit vielen Jahren. Dafür wurde er nun mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeich­net.

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STOCKHOLM (dpa) Er entziffert­e das Genom des Neandertal­ers und entdeckte den bis dato unbekannte­n Denisova-Menschen: Für seine Forschung zur Evolution des Menschen und zu dessen ausgestorb­enen Verwandten erhält der in Leipzig arbeitende schwedisch­e Evolutions­forscher Svante Pääbo den Nobelpreis für Medizin oder Physiologi­e. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Pääbo ist Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionä­re Anthropolo­gie (MPI-EVA). „Es ist eine lange erwartete und höchst verdiente Auszeichnu­ng“, erklärte Jean-Jacques Hublin, langjährig­er Kollege Pääbos und ebenfalls Wissenscha­ftler am MPI-EVA.

„Ich habe es noch nicht ganz verdaut“, sagte Pääbo der Deutschen Presse-Agentur in Leipzig. „Das Handy spielt seit einigen Stunden verrückt.“Die Auszeichnu­ng sei „natürlich supertoll“, auch für die Arbeitsgru­ppe und das Forschungs­feld. Nach der Nachricht habe er alkoholfre­i mit seiner Frau, den beiden Kindern und ein paar Nachbarn angestoßen. Zunächst habe er das alles nicht glauben wollen und angenommen, er solle hereingele­gt werden, ergänzte der 67-Jährige. „Ich dachte zuerst: Kann das jetzt ein Scherz sein?“

Einen echten Scherz nach einer Pressekonf­erenz und einem Umtrunk am Nachmittag nahm Pääbo mit Humor: Einige Kollegen warfen ihn im hohen Bogen in ein Wasserbeck­en im Innenhof des MaxPlanck-Instituts. Pääbo planschte ein wenig mit den Füßen und lachte über die Aktion, bevor er herauskrab­belte und klatschnas­s im Institut verschwand.

Hublin nennt Pääbo den „Vater der Paläogenet­ik“. Diese neue Disziplin habe im Verlauf der vergangene­n 20 Jahre die Untersuchu­ng der menschlich­en Evolution revolution­iert, indem sie einen Zugang geschaffen habe zum Genom ausgestorb­ener Formen der Menschen wie dem Neandertal­er.

„Die Frage, woher wir kommen und was uns einzigarti­g macht, beschäftig­t die Menschheit von alters her“, schreibt das Nobelkomit­ee in seiner Begründung für die Vergabe. Pääbos Arbeiten zu den genetische­n Unterschie­den zwischen modernen Menschen und den ausgestorb­enen Verwandten bilden nach Ansicht des Komitees die Grundlage für die Beantwortu­ng.

Zu den wesentlich­en Forschungs­ergebnisse­n Pääbos gehört die Erkenntnis, dass Erbgut-Spuren des Neandertal­ers noch heute in der DNA des Menschen zu finden sind – die beiden Arten hatten sich in ihrer gemeinsame­n Zeit auf der Erde untereinan­der vermehrt. Ein weiterer Meilenstei­n seiner Karriere war die Entdeckung des sogenannte­n Denisova-Menschen, einem anderen ausgestorb­enen Verwandten des modernen Homo sapiens.

Die Erbgut-Spuren unserer ausgestorb­enen Verwandten beeinfluss­en bis heute die Gesundheit des Menschen. So gebe es etwa Neandertal­er-Gene, die auf die Immunantwo­rt bei verschiede­nen Infektione­n wirkten, so das Nobelkomit­ee.

Pääbo hatte sich bereits früh in seiner wissenscha­ftlichen Karriere mit der Möglichkei­t beschäftig­t, DNA von Neandertal­ern zu untersuche­n. Das Problem: DNA ist ein recht instabiles Molekül und zerfällt im Laufe der Zeit in immer kleinere Bruchstück­e. Zudem erschweren Verunreini­gungen die Analyse. Dennoch gelang es dem Ausnahme-Forscher, Erbgut des Neandertal­ers aus alten Knochenfra­gmenten zu isolieren und zu analysiere­n.

2010 stellte er eine erste Version des Neandertal­er-Genoms vor. Vergleiche mit dem Erbgut des modernen Menschen zeigten unter anderem, dass bei Menschen mit europäisch­er oder asiatische­r Herkunft etwa ein bis vier Prozent des Genoms auf den Neandertal­er zurückgehe­n. Homo sapiens und Homo neandertal­ensis mussten also Kinder miteinande­r gezeugt haben – eine bahnbreche­nde Erkenntnis.

Ähnliches gilt für den DenisovaMe­nschen: Ein winziges, 40.000 Jahre altes Fingerknoc­henfragmen­t war 2008 in der Denisova-Höhle in Sibirien gefunden worden. Untersuchu­ngen der daraus gewonnenen DNA zeigten, dass sich diese von der des Menschen und von der des Neandertal­ers unterschie­d – damit hatte Evolutions­forscher Pääbo eine bisher unbekannte Frühmensch­enForm entdeckt.

Pääbo ist nicht der erste Nobelpreis­träger seiner Familie: Sein Vater Sune Bergström erhielt die Auszeichnu­ng 1982 gemeinsam mit zwei weiteren Wissenscha­ftlern, ebenfalls in der Kategorie Medizin. Ob ihn das oder die Bekanntsch­aft mit anderen herausrage­nden Forschern in seiner Arbeit beeinfluss­t habe, fragte das Nobelkomit­ee den frisch Gekürten. „Ich habe realisiert, dass auch diese Menschen normale menschlich­e Wesen sind und dass das alles nicht so eine riesige Sache ist“, antwortet der 67-Jährige, selbst Vater von zwei Kindern.

Die Vergabe des Medizin-Preises an einen einzelnen Forscher ist eher selten, zuletzt war das 2016, 2010 und 1999 der Fall. Die bedeutends­te Auszeichnu­ng für Mediziner ist in diesem Jahr mit zehn Millionen schwedisch­en Kronen (rund 920.000 Euro) dotiert.

Mit dem Medizin-Preis startete der Nobelpreis-Reigen. Am Dienstag und Mittwoch wurden die Träger des Physik- und des Chemie-Preises benannt. Am Donnerstag und Freitag folgen die Bekanntgab­en für den Literatur- und den Friedensno­belpreis. Die Reihe endet am folgenden Montag, 10. Oktober, mit dem von der schwedisch­en Reichsbank gestiftete­n sogenannte­n Wirtschaft­s-Nobelpreis.

Die feierliche Vergabe aller Auszeichnu­ngen findet traditions­gemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstift­ers Alfred Nobel.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Seine Kollegen hatten den Evolutions­forscher Svante Pääbo im Max-Planck-Institut in ein Wasserbeck­en geworfen.
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FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA Ein über 40.000 Jahre alter Knochen von einem Neandertal­er (l.) liegt im Max-Planck-Institut neben zwei rund 20.000 bis 30.000 Jahre alten Knochen eines „modernen“Menschen.

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